Britische Gewerkschaften in der Zwickmühle

Gewerkschaftsbund TUC für Boykott des umstrittenen Ausbildungsprogramms der Regierung Thatcher / Weiterer Einfluß-Verlust auf die Arbeitsmarktpolitik  ■  Aus London Rolf Paasch

Das Kürzel „ET“ steht nicht etwa für ein außerirdisches Wesen, sondern für den jüngsten Bestandteil der traurigen Arbeitsmarkt-Realität im Großbritannien Margaret Thatchers. „Employment Training“ (ET) ist das mit 1,5Milliarden Pfund (knapp fünf Milliarden DM) bisher aufwendigste Ausbildungsprogramm für jugendliche und Langzeit -Arbeitslose, die größte Verwahrungsmaßnahme für die britische Überflußbevölkerung seit Amtsantritt der Regierung Thatcher vor neun Jahren. Doch während eine propagandistische Werbekampagne der Regierung ET als großartige Hilfe auf dem Weg zum langersehnten Arbeitsplatz anpreist, kritisieren Lokalbehörden und Gewerkschaften die unzureichende finanzielle Ausstattung und mangelhafte Überprüfung tatsächlicher Trainingserfolge der seit Anfang September laufenden Ausbildungsmaßnahme.

Auf seinem Jahreskongreß in Bournemouth hat der Dachverband der britischen Gewerkschaften TUC am Mittwoch nun mit knapper Mehrheit den Boykott des Employment Training durch die Gewerkschaften beschlossen. Diejenigen Gewerkschaften, die allerdings bereits zusammen mit Lokalbehörden und Unternehmen an konkreten Schulungsprogrammen mitwirken, dürfen ihren Ausstieg über zwei Jahre hinstrecken. Auf diese Weise wurde zwischen denen, die das Regierungsprogramm für grundsätzlich unannehmbar halten und den Gewerkschaftern, denen eine unzureichende Ausbildung für die Arbeitslosen lieber ist als gar keine, ein mühsamer Kompromiß gefunden.

Er werde, so hatte in der emotional geladenen Debatte vom Mittwoch der Chef der Transportarbeiter erklärt, nicht dabei mithelfen, wie die Regierung Thatcher eine weitere halbe Million Beschäftigungslose aus der Arbeitslosenstatistik entferne. Ein Boykott, so hatte ihm sein Kollege John Edmonds von der „General Municipal Union“ entgegengehalten, werde die Regierung morgen auch kein besseres Programm aus der Tasche ziehen lassen. „Und wie soll ich denn einem Arbeitslosen klarmachen, daß wir ihm als Gewerkschafter nicht einmal das bißchen von der Regierung gewährte Training gönnen“.

Daran, daß das neue Employment Training, die im internationalen Vergleich katastrophale Situation in der beruflichen Bildung Großbritanniens entscheidend ändern könnte, glauben allerdings auch die Befürworter einer Mitwirkung an dem Programm nicht. Jugendliche Langzeitarbeitslose, die Kinder der Thatcher-Jahre, die sich dem durchschnittlich sechs Monate dauernden Training unterziehen, erhalten pro Woche ganze 30 Mark als Zulage zu ihrem Sozialhilfesatz. Nimmt man die Erfahrungen mit den bisherigen 37 verschiedenen Trainingsprogrammen der Konservativen die nun durch ET vereinheitlicht werden, zum Maßstab, so dürfte auch das ebenso unterfinanzierte Employment Training kaum einen Qualifikationsschub unter den Dauerarbeitslosen bewirken. Statt dessen, so argumentieren Gewerkschaftler und Stadträte, werden Unternehmer die Auszubildenden als billige Hilfskräfte zu ihren eigenen Zwecken mißbrauchen. Und schließlich befürchten die Gegner des Trainingsprogrammes, daß ET nur der erste Schritt zu Zwangsarbeit im Stile des US-amerikanischen „workfare„ -Programmes ist, wo den Verweigerern der Maßnahme am Ende selbst die Sozialhilfe gestrichen wird. Mit der Entscheidung für einen Boykott des neuen Ausbildungsprogrammes werden die Gewerkschaften jedoch nicht nur ihre Sitze in der von Arbeitgebern, Staat und Gewerkschaften besetzten Ausbildungskommission aufgeben müssen, der letzten jener dreiseitigen öffentlichen Organe, in denen die Gewerkschaften noch Einfluß hatten; sie haben der Regierung auch in der Zukunft zu einem sicheren Propagandaerfolg verholfen. Denn sollte das „Employment Programme“ scheitern, dann werden die Gewerkschaften schuld sein; sollte es wider Erwarten ein Erfolg werden, dann hätten die Gewerkschaften nur ihre eigene Überflüssigkeit unter Beweis gestellt.