Ecuador: Erdölkonzerne erobern den Urwald

■ Indiovölker wollen ihr letztes Territorium im Osten des Landes verteidigen / Ein 650 Kilometer langer Pfad soll die Grenze markieren / Erdölförderung verursacht enorme Umweltschäden / Ölschicht auf den Flüssen / Riesige Umweltgebiete gerodet

Ciro Krauthausen

Unaufhaltsam donnert der mit einem fünf Meter hohen Erdöltank beladene Sattelschlepper auf uns zu. Viel Platz, um auszuweichen, gibt es auf der einspurigen, engen Urwaldpiste nicht. Sekunden, bevor das Monstrum mit Vollgas an uns vorbeirattert, können wir unseren Kleinlastwagen noch in eine winzige Einbuchtung lenken. Alle sind erleichtert: Wir haben es noch einmal geschafft. Hinten auf der Ladeplattform reißen die Indios wieder Witze und berichten lachend darüber, wie sie das letzte Mal in der Böschung landeten. Grundsätzlich weichen die Fahrzeuge der Ölmultis nicht aus. Die Erdölfirmen haben diese Straßen gebaut und ihre Chauffeure betrachten sie als Privatpisten. „Wir Indios sind die

legitimen Besitzer“

Nur 14 Stunden Autofahrt von der ecuadorianischen Hauptstadt Quito entfernt - und doch schon inmitten des Amazonasurwalds - haben Erdölmultis aus allen Teilen der Welt ihr Lager aufgeschlagen. In der Nacht wird der Urwald von den riesigen Bunsenbrennern erleuchtet, die das zusammen mit dem Öl geförderte Erdgas verbrennen. In Lago Agrio, dem Zentrum des Förderungsgebiets, überfliegen pausenlos Hubschrauber und Kleinflugzeuge die grüne Landschaft. Noch vor 20Jahren ging es anders zu im ecuadorianischen Osten; die Regierungen vergaßen ihn zeitweilig, und die Einwohner, damals noch mehrheitlich Indios, konnten ein halbwegs ruhiges Leben fristen. Nach ersten Versuchen in den zwanziger und dreißiger Jahren richteten dann aber 1970 sowohl die Regierung als auch die nordamerikanischen Erdölmultis ihr Augenmerk auf den grünen Dschungel. In den darauffolgenden Jahren verteilten die ecuadorianischen Regierungen riesige Gebiete als Konzessionen an die internationalen Firmenkolosse. Heutzutage gibt es 17 „Blöcke“, die an über ein Dutzend Multis vergeben sind. „Wir waren die ersten, die hier lebten, also sind wir die legitimen Besitzer des Territoriums.“ Der Indioführer Fausto Aragon weiß, wovon er spricht. Die „Cofanes“, die „Sionas“ und „Secoyas“, die „Zaparos“, die „Quichuas“, die „Shuares“ und „Ashuares“ und die „Huaorani“ lebten schon seit Jahrhunderten - teilweise schon, bevor die Spanier den südamerikanischen Kontinent „entdeckten“ - in dem für westliche Augen undurchdringlichen Dschungel. Es handelt sich bei ihnen nicht um Mitglieder einer einzigen Völkerfamilie: Sie alle haben ihre eigene Sprache, ihre eigene Geschichte, ihre eigene Weltanschauung; sie sind Völker für sich. Doch der Erdölboom droht, alle bis auf die Quichuas und Shuares - definitiv verschwinden zu lassen.

„Ja, die Indios, so schön, wie sie immer dargestellt werden, aber sogar die Kultur ist verlorengegangen. Ich glaube, sie haben eine große Kiste gebaut und sie weggeschafft, denn unsere Kultur ist hier nicht mehr zu sehen“, so sieht das der Bauernführer Jose Castillo, ein Mestize. Tatsächlich sind die meisten ecuadorianischen Amazonasindianer nicht mehr die Ureingeborenen, die noch vor Jahren der restlichen Welt als exotische Überbleibsel präsentiert wurden. Wir haben Gelegenheit, einem Fest der Quichua-Indios beizuwohnen. Eine Fußballmeisterschaft zwischen zehn verschiedenen Kommunen ist zu Ende gegangen, und nun soll zum Tanz aufgespielt werden. Außer der allgemeinen Armut - die Veranstalter haben alle Mühe, die Bons für die Verlosung eines Hühnchens loszuwerden - sticht besonders das westliche Auftreten der Feiernden ins Auge. Aus dem Kassettenrekorder dudeln ältliche Hits aus Kolumbien und Peru und eine mit Orgel und elektrischer Gitarre bewaffnete Band bemüht sich verzweifelt, die Anwesenden mit ihrem Gedudel zu animieren. Das einzige sichtbare Überbleibsel indianischer Kultur ist die von Zeit zu Zeit herumgereichte Chicha, ein gegorenes Getränk aus Maniokwurzeln.

„Unser Volk ist nicht darauf vorbereitet, ein Bombardement fremder Kulturen zu empfangen“, meint Leonardo Viteri, stellvertretender Präsident der Konföderation der indianischen Völker des ecuadorianischen Amazonasgebiets, „CONFENIAE“. Und doch verspricht in Quito die Reiseagentur „Etnotur“ den ausländischen Touristen erregende Abenteuer auf einer Dschungelexpedition. Auszug aus dem Programm: „Wenn wir erst mal Freundschaft mit den Indios geschlossen haben, können wir an ihren täglichen Aktivitäten teilnehmen, mit Blasrohren jagen und Piranas fischen. Mit ihnen zusammenzusitzen und zu essen vermittelt uns ein beeindruckendes Steinzeitgefühl.“ Kostenpunkt: 1.500 US -Dollar. Die Gastgeber der - mehrheitlich deutschen Möchtegern-Ethnologen sind die Huaorani, das letzte relativ unberührte Volk im ecuadorianischen Amazonasgebiet. Annähernd 1.500 gibt es noch von ihnen. Genaue Zahlen sind unmöglich zu ermitteln, da viele immer noch durch den Urwald streifen. „Huao“ heißt in ihrer Sprache „Mensch“, wir anderen sind für sie die „Cohouri“, die Kannibalen. Nicht immer wurde den „Huaorani“ diese Selbstdarstellung zugestanden: Früher waren sie in der ganzen Welt nur als „Aucas“ bekannt. „Aucas“ heißen auf Quichua, in der Sprache des Inkareiches, die Wilden und Fremden. Und wild und fremd waren die Huao für die restliche Weltbevölkerung schon immer. Sie waren ein Kriegervolk, stets dazu bereit, Eindringlingen ihre gefürchteten Lanzen durch den Leib zu bohren. Kleinkriege zwischen den verschiedenen Sippen hatten Tradition. Kautschuk-Boom

und Völkermord

Anfang des Jahrhunderts überzog das ganze Amazonasgebiet der Kautschuk-Boom. Riesige Vermögen wurden vom einen Tag auf den anderen mit dem weißen, aus den Kautschukbäumen sickernden Harz geschaffen. Opernhäuser mit berühmten italienischen Divas schossen inmitten des Urwalds in die Höhe. In dem glühend heißen brasilianischen Manaus baute sich ein Neureicher seine Villa aus herbeigeschafften Eisenkonstruktionen: Stoff für Träumer wie Werner Herzogs „Fitzcarraldo“. Doch der plötzliche Reichtum wurde bewußt mit dem Völkermord an den Indios bezahlt. Was sich damals an abgelegenen und schwer zu erreichenden Urwaldflüssen abspielte, gehört noch heute zu den düstersten Kapiteln der Menschheitsgeschichte. Auch die Huaorani sollten in den Boom miteinbezogen werden. Die grausamen Vorarbeiter - zumeist Mestizen - schickten Suchtrupps aus, um die Huaorani zu versklaven. Um sie heranzuschaffen, stachelten sie das botmäßigere Volk der „Zaparos“ auf. Doch sie rechneten dabei nicht mit den kriegerischen Fähigkeiten der „Huao“, die sich immer weiter in den Dschungel zurückzogen und hinhaltenden Widerstand leisteten. Heute, mehr als ein halbes Jahrhundert später, sind die „Zaparos“ durch den Kautschukboom und die Feindschaft der Huao ausgerottet: Der letzte Mensch, der ihre Sprache spricht, ist eine Nordamerikanerin.

1956 versuchten fünf nordamerikanische Missionare die Kontaktaufnahme mit dem Kriegervolk. Sie alle gehörten zum geheimnisumwitterten „Sommerinstitut für Linguistik“, einer nordamerikanischen Missionarsgesellschaft, deren Gründer es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Bibel in möglichst viele Sprachen zu übersetzen. Die Missionare landeten mit einem Amphibienflugzeug in der Nähe einer Behausung der „Huaorani“. Tage später waren die Fünf tot. Doch dem „Sommerinstitut“ war nicht der Garaus zu machen. Die Schwester eines der verstorbenen Missionare, Raquel Saint, gabelte Dayuma, ein junges Huao-Mädchen, auf. Mit ihrer Hilfe fand sie Kontakt zu den „Wilden“ und konnte in jahrelanger Arbeit viele von ihnen missionieren. Ihre Idee war es auch, die Huaorani in ein Reservat umzusiedeln, um sie „der Zivilisation näherzubringen“. Der Erfolg: die Huaorani zogen aus einem weitläufigen Urwaldgebiet ab und gaben den bald darauf eintreffenden Erdölfirmen den Weg frei. Dayuma, das Huao-Mädchen, sollte für ihre Vermittlung reich belohnt werden: Etliche Male reiste sie in die USA und trat in mehreren Fernsehshows als die „Königin der Aucas“ auf.

Doch auch katholische Missionare hatten ihre Schwierigkeiten mit den unbeugsamen Huaorani. 1977 schrieb der spanische Bischof Alejandro Labaca, nachdem er einen ersten Kontakt mit noch frei lebenden Huaorani erzielt hatte: „Möge Gott den Weg zu einer Evangelisierung der Huaorani ebnen. Amen.“ Zehn Jahre später nach einer geduldigen und oft fortschrittlichen Missionsarbeit starb auch er, von 75 Lanzen durchbohrt. Labaca war aufgebrochen, um Kontakt mit dem letzten unberührten Stamm der Huaorani aufzunehmen, den „Taegeri“.

Vor seinem Tod - so berichtete die linke Monatszeitschrift 'Nueva‘ - hatte er einem ecuadorianischen Ethnologen berichtet, daß er auf jeden Fall die Taegeri retten wolle. Die Erdölfirmen würden so oder so in ihr Gebiet einfallen und die einzige Alternative bestünde für ihn darin, mit ihnen vorher Kontakt aufzunehmen, um zwischen ihnen und der staatlichen ecuadorianischen Erdölfirma „CEPE“ einen Territorialkontrakt auszuhandeln. Doch die Taegeri wollten oder konnten ihn nicht verstehen. Heute, ein Jahrzehnt später, ziehen sie noch immer durch den Urwald - ohne Kontakt mit der Außenwelt aufgenommen zu haben.

Doch die Stunden der Taegeri sind gezählt. Immer weiter stoßen die Erdölfirmen in ihr Gebiet vor. „Je tiefer man in die Welt der Erdölförderer eindringt, um so mehr merkt man, daß das Volk der Huaorani in ihren Plänen nicht vorkommt“, schrieb Bischof Labaca 1979. Zwar greifen die Taegeri von Zeit zu Zeit die Erdölcamps an und bringen hin und wieder den einen oder anderen Arbeiter um, aber der Straßenbau wird dadurch nicht gestoppt. Und gerade der Straßenbau ist die ernsthafteste Bedrohung: „Jeder Bau von neuen Straßen bringt Siedler mit sich. Sie nehmen sich das Land, beginnen den Urwald zu roden und verkaufen das Holz“, schildert der Ethnologe Segundo Morales den Sachverhalt.

115 Kilometer dringt die von der französischen „Compagnie Generale des Geophysiques“ gebaute Piste schon von der Urwaldstadt Coca in Richtung Süden in den Urwald ein. Links und rechts von der Straße ist der Wald bereits verschwunden und durch etwa zwei Meter hohe Kaffeesträucher ersetzt. Die Straße führt zu mehreren Bohrstellen der Erdölmultis und endet plötzlich am Fluß Tigüino. Hier beginnt das Gebiet der Huaorani. Noch ist der Weiterbau der Straße gestoppt, doch es besteht kein Zweifel daran, daß die Erdölmultis die Piste immer weiter vortreiben wollen, um neue Förderungsstätten zu erschließen. Sollten sie es tatsächlich tun, würden sie und die ihnen folgenden Siedler den Huaorani den Garaus machen. Ihr Territorium würde durch die Straße zweigeteilt, und besonders den Taegeri wäre der Kontakt mit ihren Stammesgenossen versperrt. Das bedeutet für dieses letzte frei lebende Volk das Aus.

Immer mehr Siedler strömen in den Osten. Allein 150.000 gibt es schon in der Provinz Napo, im nördlichen Amazonasgebiet. Sie stammen aus allen Teilen des Landes und sind Opfer der ungerechten Landverteilung, die nur durch eine radikale Agrarreform gelöst werden könnte. Und doch kann von einer idyllischen Neuansiedlung nicht die Rede sein. Selbst die Funktionäre des staatlichen Instituts für Agrarreform und Kolonisation (IERAC) rechnen damit, daß mindestens 40 Prozent der Siedler nicht bereit sind, auf Dauer die zugeteilten 50 Hektar zu bebauen, sondern vielmehr Handel mit dem Land treiben wollen. Nachdem sie ihr Landstück ein, zwei Jahre bebaut haben, verkaufen sie es gewinnbringend an neue Siedler und ziehen erneut der Straße nach, um sich wieder ein neues Stück Land unter den Nagel zu reißen. Auch von einigen Indiokommunen ist bekannt, daß sie solche Geschäfte machen.

Verantwortlich für die Landverteilung an die Siedler ist IERAC. Die Funktionäre reden von einer „halbdirigierten Kolonisation“. „Wenn die Straßen gebaut werden, sitzen die Leute schon da“, erzählt der gutmütige Anibal. Erst dann tritt nämlich IERAC in Aktion, führt Landvermessungen durch, und stellt für geringes Entgelt Besitztitel aus. Dem Handel mit dem Land ist der miserabel organisierte IERAC bisher aber noch nicht beigekommen. „Wir wünschen uns einen Computer“, berichtet Anibal. Leonardo Viteri von der CONFENIAE hat angesichts solcher Zustände kein besonders gutes Bild von dem Agrarreforminstitut: „Der IERAC ist durch und durch korrumpiert.“ Indiovölker greifen

zur Selbsthilfe

Seit dem 21.Juni haben die Indiovölker nun zur Selbsthilfe gegriffen. Mit einem 650 Kilometer langen Pfad quer durch den Urwald soll das 650.000 Hektar große Territorium der Huaorani abgegrenzt und so ihre Lebensgrundlage vor Erdölmultis und Siedlern geschützt werden. „Ein ganz und gar verrücktes Projekt“, meint der spanische Kapuzinermissionar Jose Miguel tiefst beeindruckt. „Das müssen Sie sich mal vorstellen, mitten im undurchdringlichen Urwald einen Pfad von 650 Kilometern zu schlagen. Dazu wären wir Europäer gar nicht fähig.“ Delegationen aller indianischen Völker des Amazonasgebiets sollen sich an drei Bauabschnitten abwechseln. Optimistisch rechnen die Indioführer mit sechs Monaten Bauzeit. Mangels einer selbständigen Organisation der Huaorani wird das Projekt von der CONFENIAE geleitet. Auch wenn diese Organisation hauptsächlich von Quichuas geleitet wird, arbeiten doch stets Delegationen der Huaorani am Pfad mit. Wenn die Rechnung von CONFENIAE aufgeht, dürften sie Anfang 1989 fertig sein.

Die Grenzpfad beginnt immer mehr Unruhe unter den Siedlern zu verursachen. Einige Hundert von ihnen leben nämlich innerhalb des abzugrenzenden Gebiets und müßten - falls der Plan der Indios Erfolg hat - ihr Land verlassen. Augenzeugen berichten, daß einige Siedler sich schon bewaffnet haben und bereit sind, „ihr“ Land gewaltsam zu verteidigen. Aber auch die Huaorani haben schon einige Siedlerbehausungen in Brand gesteckt. „Wenn die Siedler und Multis nicht haltmachen, kann die Situation jeden Moment explodieren; die Huaoranis können jederzeit töten“, erklärt Leonardo Viteri kühl. Gerade erst laufen Verhandlungen zwischen Siedlern, Indios und IERAC an.

Wir haben Gelegenheit dazu, der ersten Kontaktaufnahme beizuwohnen. Leonardo Viteri, stellvertretender Präsident der CONFENIAE, beruft sich immer wieder sanft auf ein 1983, unter dem linksliberalen Präsidenten Osvaldo Hurtado erlassenes Dekret, wo das Territorium der Huaorani dreigeteilt wird: ein Reservat von 66.570 Hektar, das den Huaorani zugeteilt wurde, ein „bioökologisches Reservoir“, über das die Huaorani zwar kein Bestimmungsrecht besitzen, das aber zu ihrem Einzugsgebiet erklärt wurde, und Teile eines Nationalparks. Das alles soll durch den Pfad abgegrenzt werden. Der örtliche Chef des IERAC in Coca winkt ab: Er müsse sich die Dokumente erst noch beschaffen, und die Abgrenzung des Territoriums sei doch bisher recht „chaotisch“, das heißt ohne Landvermessung, abgelaufen. Ganz zum Schluß kommt noch ein Siedler zu Wort. Der ältere Herr, dem man die jahrelange Landarbeit ansieht, meint ganz ruhig und kompromißbereit: „Ihr werdet eure Argumente haben, wir unsere Arbeit.“ Sein Vorschlag: sich alles noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen und sich dann in aller Ruhe zusammenzusetzen. Man sieht ihm an, daß er es ehrlich meint.

Andere sind da weniger kompromißbereit. Immer wieder ist zu hören, daß der „Fortschritt“ von zehn Millionen Ecuadorianern doch nicht von einer Handvoll „Wilder“ gebremst werden könne. Jose Miguel, der Kapuzinermissionar, kriegt bei solchen Argumenten zuviel: „Ein Volk hat doch ein Recht auf sein Territorium, hat Recht darauf, sich zu vermehren und zu leben. Sie wollen nur respektiert werden. Und wenn nicht, können wir an ihrer Beerdigung teilnehmen. Alles hängt von uns ab. Morgen kann die ecuadorianische Armee kommen und alle niedermetzeln, da sie ja 'rückständig‘ sind und ein 'Hindernis für den Fortschritt‘ bilden. Oder es taucht ein Herr mit dem Essen oder der Kleidung anhaftenden Viren auf, und das Volk der Huaorani verschwindet.“

Die Abgrenzung ist auch für die übrigen Indiovölker wichtig: „Sie wird uns erlauben, ähnliche Aktionen für andere Völker durchzuführen.“ Daß die Verteidigung eines Territoriums im großen Maßstab gerade mit dem der Huaoranis beginnt, hat seinen guten Grund. Sie sind das einzige Volk, dessen Kultur noch weitgehend von der westlichen unberührt ist, und damit - so hat man den Eindruck - zu einer Art Identifikationsobjekt geworden. Abends in einer Bar berichtet uns der biertrinkende Quichua Juan stolz darüber, wie gut die Indios mit Blasrohren umgehen können und wie lautlos sie sich im Wald fortbewegen. „Dort sind wir unschlagbar“, trumpft er auf. „Und ... wir haben die Huaoranis.“ Bei anderen fehlt es noch an derartigem Stolz und Selbstbewußtsein: „Sind die Huaoranis denn überhaupt schon zivilisiert?“, fragt denn auch ein junger Cofan, als er zur Mitarbeit am Grenzpfad aufgefordert wird.

Wie Zivilisation im ecuadorianischen Amazonasurwald aussieht, kann man in Lago Agrio, einer wahrlich aus dem Erdöl gestampften Stadt, hautnah miterleben. Die Straßen sind nicht asphaltiert, sondern mit Rohöl festgewalzt. Wenn es regnet - und es regnet viel im Amazonasgebiet verwandelt sich alles in eine schwarze Schlacke, deren Geruch penetrant in die Nase steigt. Außerhalb des „goldenen Käfigs“, der eingezäunten Siedlung des Erdölmultis Texaco, gibt es für die rund 30.000 Einwohner keine Kanalisation, keinen Strom und kein Wasser. Von einem „menschenverachtenden und umweltfeindlichen“ Ambiente wissen die Vertreter der Bauernvereinigung des Nordostens (UCANO) aus eigener Erfahrung zu berichten. Einmal hätte die Texaco sogar die Chuzpe gehabt, unter der Markthalle Erdölbohrungen durchführen zu wollen. Nur massive Demonstrationen hätten sie davon abgebracht.

Über die Zeit nach dem Erdbeben vom 5.März 1987, das an die 1.500 Menschenleben forderte und alle Straßen und Pipelineverbindungen zerstörte, berichten die Vertreter von UCANO, nach der Fertigstellung der Pipeline sei monatelang nichts an den Straßenverbindungen getan worden. Das Erdöl sei wichtiger gewesen als die Menschen. Erst die Besetzung der Pipelineinstallationen habe die Regierung zum notwendigen Brückenbau zwingen können. „Es ist schrecklich, hier zu leben“, schließt Gonzalo Castor, Pressesprecher der UCANO, das Gespräch.

Die durch Besiedlung und Erdölförderung verursachten Umweltschäden sind enorm. Öl fließt auf dem Wasser vieler Flüsse, riesige Mengen von gigantischen Urwaldbäumen werden abgeholzt und immer mehr Monokulturen - zum Beispiel Ölpalmen - angepflanzt. Der tropische Urwald ist im Grunde genommen nur „eine Wüste mit Bäumen“: Wenn er abgeholzt wird, geht sehr bald die fruchtbare Humusschicht verloren und wüstenähnliche Landschaften greifen um sich. Traditionell bebauten die Indios ihre Äcker denn auch nur zeitweise und ließen lange Pausen zwischen den Ernten. Dem massiven Menschenandrang aber ist der Urwald nicht gewachsen. Selbst die Indios vergessen angesichts des technischen „Fortschritts“ ihre ökologische Lebensweise. Heute fischen auch sie oft mit Dynamit und rotten so die Fischbestände von ganzen Flüssen aus.

„Für die gesamte Region stellt sich das Problem des brasilianischen Modells: Ein ökologisches Desaster begleitet von direktem oder indirektem Völkermord“, erklärt der Ethnologe Jorge Trujillo. Er hofft auf Alternativen. Die Abgrenzung der 650.000 Hektar der Huaorani könnte eine davon sein, wenn Regierung und Erdölfirmen deren Gebiet dann auch wirklich respektieren. Viel hängt davon ab, wie sich die neue sozialdemokratische Regierung von Rodrigo Borja verhalten wird.

496 Jahre nach der „Entdeckung“ Amerikas überlebt inmitten des Amazonasurwalds noch ein unberührtes, freies Volk. 496Jahre sind eine lange Zeit und zeugen von der Widerstandsfähigkeit der Huaorani. Die große Frage bleibt, ob sie auch in den nächsten Jahren dem Ansturm des „Fortschritts“ gewachsen sein werden. Zu wünschen wäre es nicht nur ihnen, sondern auch uns.

115 Kilometer dringt die von der französischen „Compagnie Generale des Geophysiques“ gebaute Piste schon von der Urwaldstadt Coca in Richtung Süden in den Urwald ein. Links und rechts von der Straße ist der Wald bereits verschwunden und durch etwa zwei Meter hohe Kaffeesträucher ersetzt. Die Straße führt zu mehreren Bohrstellen der Erdölmultis und endet plötzlich am Fluß Tigüino. Hier beginnt das Gebiet der Huaorani. Noch ist der Weiterbau der Straße gestoppt, doch es besteht kein Zweifel daran, daß die Erdölmultis die Piste immer weiter vortreiben wollen, um neue Förderungsstätten zu erschließen. Sollten sie es tatsächlich tun, würden sie und die ihnen folgenden Siedler den Huaorani den Garaus machen. Ihr Territorium würde durch die Straße zweigeteilt, und besonders den Taegeri wäre der Kontakt mit ihren Stammesgenossen versperrt. Das bedeutet für dieses letzte frei lebende Volk das Aus.