Querbeet

■ gelesen von Tom Sperlich

Um eine kleine Bereicherung ärmer ist der bundesdeutsche Printmedien-Markt. Der „Informationsdienst mit den positiven Nachrichten“,'Trendwende‘ hat nämlich sein Erscheinen eingestellt. Mit 1.500 bis 2.000 Abonnenten war kaum jemals die wirtschaftliche Grundlage für das Blättchen mit Informationen aus fast allen Bereichen des menschlichen Daseins gegeben. Doch Nachrichten über „Bewußtsein und Gesellschaft im Umbruch“ erhalten die Abonnenten auch weiterhin aus diversen anderen Publikationen. Eine davon, die 'Trendwende'-Herausgeber Jochen F. Uebel seinen Lesern vorschlug, ist 'Die neue Wirtschaft‘, ebenfalls ein Newsletter und Ein-Mann-Produkt aus der Schweiz. Unter dem Untertitel „Werte im Wandel“ sollen in jeder Nummer „neue Antworten auf die Probleme der Zukunft“ angeboten werden.

„Die Energien in der Wirtschaft gehen uns alle an, ob wir uns aktiv an ihnen beteiligen oder bloß von außen zuschauen. Wir können diese Energien unterstützen (und Profite erzielen) oder bekämpfen (doch das alte Spiel von Gut und Böse funktioniert nicht mehr). Oder wir lernen, diese Energien umzuleiten. Dies bedingt aber eine neue Einstellung zur Wirtschaft und zum Wohlstand. Ähnlich wie wir einen Streit beilegen können, indem wir unsere Einstellung ändern.“

In der Probenummer fällt besonders ein Essay unter dem Titel: „Sind Sie wettbewerbsfähig?“ auf. Hier geht der Herausgeber hart mit dem „freien Wettbewerb“ unseres westlichen Wirtschaftssystems ins Gericht. Wettbewerb ist, so Christoph Pfluger, für den Sieger eine annehmbare Einrichtung, wenn er sich nicht um den Besiegten sorgen muß, auch für den Besiegten mag Wettbewerb ganz lehrreich sein, wenn er sich „einem neuen Spiel zuwenden kann“. Doch in einem geschlossenen System, wo Niederlagen sich auch auf die Sieger negativ auswirken und Folgen der systembedingten Niederlagen auch nicht mehr exportiert werden können, taugt Wettbewerb nicht viel. Die Ergebnisse dieses Wettbewerbs sind bekannt: „Die ausgepowerten Länder der Dritten Welt, die vergiftete Biosphäre und die verlorene geistige Integrität des Menschen (...).“ Des Herausgebers individueller Rat: „Wer seinem Herzen folgt, das tut, was er wirklich will, und soviel besitzt, wie er wirklich braucht, der kümmert sich nicht darum, ob er nun mehr oder weniger hat als sein Nachbar. Er ist, tut und hat einfach.“

Auf neuen (Flug-)Bahnen bewegt sich auch Robert Anton Wilson. Der vielseitige Autor (der gerade in einer „Pentalogie“ die Geschichte der westlichen Zivilisation, beginnend mit Ausgang des 18.Jahrhunderts, auf seine Weise aufarbeitet) ist Herausgeber eines neu konzipierten Newsletters 'Trajectories‘ - mit dabei: Ehefrau Arlen Wilson. Das Themenspektrum ist „Wilson-like“, nach eigenen Aussagen ist der Newsletter dem Gedanken eines „vernünftigen Futurismus“ gewidmet: „Für Leute, die mehr daran interessiert sind, die Zukunft zu erschaffen, als sich damit zu quälen, wie sie wohl sein wird.“ In der Erstausgabe von 'Trajectories‘ findet man ein Interview mit Dr. Linus Pauling, einem der anerkanntesten, aber auch umstrittensten Wissenschafter unserer Zeit. Der 88jährige, die einzige Person, die jemals zwei verschiedene Nobelpreise erhielt (für Chemie 1954 und den Friedensnobelpreis 1962), spricht in diesem Interview über die Forschungen bezüglich des Einsatzes hoher Dosen von Vitamin C. Für Dr. Pauling gibt es keinen Zweifel, daß Mega-Dosen von Vitamin C mindestens Erkältungskrankheiten unter Kontrolle halten. Diverse Doppelblind-Studien zeigen eine durchschnittliche Abnahme der Erkrankungen um 34 Prozent. Mit Fachkollegen führt Dr. Pauling aber auch Debatten um den Einsatz von Vitamin C bei Krebskranken. Sein Mitarbeiter Dr. Cameron gibt seit 1982 Hunderten von Patienten mit Krebs in fortgeschrittenem Stadium tägliche Dosen von zehn Gramm Vitamin C. Menschen, denen nur noch wenige Monate Leben in Aussicht gestellt waren, leben nunmehr mit weniger Beschwerden, manche seit 16 Jahren. Bei durchschnittlich zehn Prozent der Kranken soll sich eine beträchtliche Verlängerung der Lebenserwartung durch Mega-Dosen von Vitamin C ergeben haben. Pauling und Cameron sehen das Vitamin C nicht als Allheilmittel, sondern als Zusatz zu angebrachter konventioneller Therapie; doch führen die Wissenschaftler die Debatte mit ihren Kollegen auch darüber, daß bei einmal eingesetzter Behandlung von Krebskranken mit Vitamin C die Gaben nicht einfach wieder plötzlich abgesetzt werden können, da in diesen Fällen die Patienten binnen kurzem starben. Um Heilung geht es auch in einem anderen Beitrag des Heftchens: „Die Psychologie der Körper-Geist-Heilung“ - eine längere Buchbesprechung eines „bemerkenswerten neuen Buches“ (RAW) von Dr.E.L.Rossi. In diesem geht es um Placebo-Heilung, „magische“ Heilung, die künstliche Dualität von Körper und Geist und was diese mit „Informations-Transduktion“ zu tun hat: Vorgänge, wie etwa die Umwandlung von Schallwellen beim Telefonieren in elektrische Impulse und vice versa. Ähnliche Prozesse liegen der Fähigkeit des Gehirncortex zugrunde, Signale zum Hypothalamus zu senden, welcher die ganze Bandbreite neurochemischer und hormonaler Abläufe reguliert. Einer der wichtigsten neurochemischen Prozesse, die somit reguliert werden, ist die Bildung der sogenannten Neuropeptide, zu denen auch die bekannten „körpereigenen Opiate“, die Endorphine zählen. Neuropeptide haben, so stellt Wilson heraus, wie die Photonen der Quantenmechanik eine doppelte Funktion: innerhalb des Gehirns sind sie als Neurotransmitter aktiv, verlassen sie das Gehirn und fließen im Rest des Körpers herum, verhalten sie sich wie Hormone. Mit vielen weiteren Beispielen neuer Erkenntnisse, wie sie in dem Buch dargestellt werden, gibt die Besprechung von Robert Anton Wilson einen guten, knappen Überblick über die Erforschung der „mind-boby connection“. Erwähnenswert dazu auch noch ein anderer Beitrag: eine Übersicht über Geräte, die ebenfalls auf diesem Gebiet zum Einsatz kommen, den sogenannten „Brain Machines“ (mehr darüber in einem kommenden Artikel in der taz). Sie „tunen“ die elektro -chemischen Schwingungs-Aktivitäten des Gehirns nach Wunsch, um dadurch zum Beispiel mühelos in Entspannungszustände zu kommen. Wir können sicherlich gespannt sein, was Robert Anton Wilson und das Redaktionsteam weiterhin an spannenden Nachrichten aus den Grenzbereichen der Wissenschaften zu berichten haben.

Gleichfalls mit interessanten Themen aus den „heißen“ Forschungsgebieten kann immer wieder die 'Whole Earth Review‘ aus Kalifornien aufwarten. War es in der Frühjahrsausgabe ein Report über die Erforschung künstlich erzeugter Lebensformen, der auch die Frage aufwarf, ob man nach getaner Forschungsarbeit am Computer selbigen einfach abschalten könne, so setzen sich solche Themen auch in der Sommerausgabe der 'Whole Earth Review‘ fort. Da findet man unter anderem eine Betrachtung über die „Rechte von Robotern“, Wissenswertes über die Erforschung der bereits erwähnten Neuropeptide, jedoch auch die selbsterzählte Geschichte einer honduranischen Campesina oder einen kurzen Ausblick auf sogenannte „world beat music“.

Wie schon in 'Trajectories‘ gibt es auch in der 'Whole Earth Review‘ einen empfehlenswerten Artikel über die „mind/body-connection“. Die Autorin ist selbst erfahrene Forscherin auf diesem Gebiet. Candace Pert, Chefin des Neuro -Biochemischen Bereichs am National Institute for Mental Health in der USA, arbeitet über die Rolle der Neuropeptide und ihrer Rezeptoren als Bindeglied zwischen Geist, Gehirn und Körper. Die Peptide sind, so entdeckte sie, als Signalmoleküle die Boten emotionaler Informationsprozesse im gesamten Körper. Die Wissenschaftler um C. Pert haben herausgefunden, daß sich im Limbischen System, dem emotionalen Zentrum des Gehirns, aber auch an anderen „Sinnes-Knotenpunkten“ des Körpers extrem hohe Konzentrationen von Peptiden befinden. Diese, so Perts These, sorgen für den „Fluß der Energie“. Das bringt sie dazu, zu bemerken, daß „alle wissen um den Hang der westlichen Welt zu glauben, das Bewußtsein sitze alleine im Kopf. (...) Ich glaube, daß wir anfangen müssen, darüber nachzudenken, wie Bewußtsein in verschiedene Teile des Körpers übertragen wird. Emotionen, ausgedrückt durch Neuro -Peptide, spielen eine der wichtigsten Rollen in der Beeinflussung des Körpers; so wird klar, welche Schlüsselrolle die Emotionen im Verständnis von Krankheiten einnehmen. Unglücklicherweise arbeiten Leute, die so denken, gewöhnlich nicht in Regierungslaboratorien.“ Gehirn, Drüsen und Immunsystem bilden eine Einheit, ein Zwei-Weg -Kommunikationssystem. Pert bezeichnet es als Netzwerk, da so in diesem integrierten System Informationen verarbeitet werden. Und der Geist? „Ein Geist/mind ist aus Information zusammengesetzt und hat eine physische Grundlage - Körper und Gehirn.“ Wo aber kommt der Geist her? „Ich glaube, es ist jetzt möglich, sich Geist und Bewußtsein als eine Emanation emotionaler Informationsverarbeitung vorzustellen.“ „Geist hat auch eine andere immaterielle Grundlage, die mit der Information zu tun hat, die herumfließt: Vielleicht ist der Geist die Information, die in all diesen Körperteilen herumfließt. Vielleicht ist Geist, was das Netzwerk zusammenhält.“

Die Diskussion im Artikel über die Rechte für Roboter ist ebenfalls spannend zu lesen und das Thema zwingend logisch, da der Weiterentwicklung von KI (Künstlicher Intelligenz) und Robotertechnologie immanent. Die Implikationen dieser Weiterentwicklung sind sehr vielfältig, hier geht es aber vor allem um die rechtlichen Belange der Robotertechnologie, doch auch kulturelle und existentielle Perspektiven der Künstlichen Intelligenz, die bei einem Konflikt zutreffen könnten, in den Roboter involviert sind, sollen hier nur zwei genannt sein: Das Prinzip der gefährlichen Tiere, und die Produkthaftung. Solange Roboter als komplexe Maschinen angesehen werden, haften zwar meist Hersteller oder Händler im Falle eines Sach- und Personenschadens, der durch einen defekten oder fehlprogrammierten Roboter verursacht wurde. Doch wird wahrscheinlich der Tag kommen, wo Hersteller argumentieren, daß der Roboter lebe, und sie deswegen keine Haftung übernähmen. Was außerdem, wenn der Roboter sich selbst reprogrammiert? Überdies: Wie werden auf all dies die Versicherungen reagieren? Die Gefahren, die von Robotern ausgehen können, werden wachsen, sobald sich der „Robie“ selbsttätig bewegen kann und durch die möglichen Fortschritte in der KI als „rationaler Akteur“ begriffen werden kann. Hier käme mindestens das rechtliche Prinzip über gefährliche Tiere in Betracht, denn wie auch Tiere bewegen sich die programmierten Geschöpfe und wie Tiere zeigen sie in gewisser Weise Intelligenz, was aber einer genaueren Definition philosophisch-politischer Art bedürfte. „Während der Unterschid im Schadensersatzrecht zwischen Produkthaftung und gefährlichen Tieren relativ klein ist, bringt der Übergang einen Quantensprung in metaphysischer Hinsicht. Solange KI-Roboter lediglich als reine Maschinen betrachtet werden, gibt es um ihr Dasein keine kontroversen beurteilbaren Nebenbedeutungen - sie sind anorganische Materie, pur und simpel. Wird jedoch (unter anderem) das rechtliche Prinzip über gefährliche Tiere angewandt, öffnet dies eine defitionistische und juristische Büchse der Pandora, denn ipso facto wird die „Maschine“ von einer rechtlichen Entität transformiert werden, mit Eigenschaften von Bewußtsein, wenn nicht gar dem Anschein von freiem Willen. Einmal begonnen, wird die rechtliche Entwicklung hin zu „höheren“ Kategorien so unausweichlich sein wie die physische Ausweitung der Roboterfähigkeiten.“ So könnte es dann auch zum Beispiel zu folgenden juristischen Fragestellungen kommen: Ist ein sich irrender Roboter verantwortlich, wenn er versehentlich jemanden tötet, und wer ist verantwortlich, ihm gegebenenfalls den Stecker rauszuziehen? Wird es vielleicht gar im 21.Jahrhundert eine Amnestiebewegung für Roboter geben? Einher mit Fragen der Verantwortlichkeit gehen also auch Überlegungen hinsichtlich „Bürgerrechten“ für die Roboter.

Der Artikel, dieser futuristisch, rechtsphilosophische Diskurs, ist die Kurzfassung einer Studie zweier strategischer Planer/Futuristen für das Oberste Gericht Hawaiis. Die Autoren versuchen in einer Art ganzheitlicher Betrachtungsweise mögliche zukünftige Situationen zu sondieren. So argumentieren sie etwa, daß angesichts der menschlichen Geschichte als einer von Macht, Ausschluß und Ausbeutung in einer zukünftigen idealen Gesellschaft alle Entitäten natürliche Rechte haben sollten. „Da wir eine psotindustrielle, Technologie-getriebe Gesellschaftsära betreten, müssen wir unsere untereinander bestehenden Beziehungen mit Natur und Maschinen neu bewerten, als auch die Vorstellungen von Rechten, die mit diesen neuen Beziehungen verbunden sind.“ „Wir glauben, daß die Roboter eines Tages Recht haben werden. (...) Dies hat eine Zukunft zur Voraussetzung, die sich fundamental von der Gegenwart unterscheidet. Die Erweiterung der Rechte auf Roboter könnte ein neues Verständnis für die gegenseitig in Wechselbeziehung stehenden Rechte und Verantwortlichkeiten von Menschen, Maschinen und Natur fördern. Mit solch holistischer Erweiterung der Rechte auf alle Dinge in der Natur, von Tieren und Bäumen zu Ozeanen, kommt ein erneuter Sinn für Verantwortung, Verpflichtung und Respekt für alle Dinge. Sicherlich sind diese Konzepte für die Weltsicht den meisten von uns recht fremd, (...) doch glauben wir an die starke Möglichkeit, daß es innerhalb der nächsten 25 bis 50 Jahre Rechte für Roboter geben wird.“

'Trajectories‘. The Permanent Press, P.O. Box 700 305, San Jose, Kalifornien USA.

'Whole Earth Review‘. P.O. Box 15 187, Santa Ana, Kalifornien 92 705, USA.

'Neue Wirtschaft‘. Viaduktstraße 8, CH-4512 Bellach, Schweiz.