Vom Traum der Ideallinie

■ Ein Porträt über „Kraftwerk Berlin“, den dreifachen Deutschen Bowlingmeister / Norbert Griesert, Kraftwerks Nummer Eins, über den professionellen Bowling-Sport

Den naheliegenden Vergleich mit dem artverwandten Kegeln lehnt die Mannschaft des amtierenden, dreifachen deutschen Bowlingmeisters „Kraftwerk Berlin“ entschieden ab. „Unser Wettkampfsport“, versichert Norbert Griesert, die Nummer Eins von „Kraftwerk“, dem Synonym für „Volltreffer“ („Powerhouse“), „hat mit einem amüsanten Feierabend nichts zu tun.“

Ein Bundesligamatch oder Einzelturniere dauern viele Stunden und verlangen volle Konzentration. Um die zehn Pins vor der nationalen Hauptkonkurrenz aus Tübingen und Bremerhaven zu Fall zu bringen, schiebt die Sechsermannschaft „Kraftwerks“ viermal wöchentlich eine anstrengende Kugel. „Wir haben Glück, daß es in Berlin viele Bowling-Center gibt und wir ausreichend trainieren können. Unsere Gegner beneiden uns darum“, nennt Tilo Diesener, die Nummer Zwei im Kader, den wichtigen Standortvorteil in der Bowling-Hochburg Berlin.

Denn „gerade durch häufiges Trainieren“, assistiert ihm Griesert, „muß man versuchen, 'zur Maschine zu werden‘. Alle Bewegungsabläufe müssen in Fleisch und Blut übergehen.“ Das zeitraubende Training will aber auch bezahlt sein. Tilo Diesener: „Natürlich müssen wir für die Bahnmiete und die Reisekosten aufkommen. Außerdem kostet eine Spielkugel rund 400 Mark, davon braucht ein Spieler pro Saison vier, fünf Stück.“ Die Studenten, Beamten und Angestellten im Team von „Kraftwerk“ haben das seltene Glück, von einem Sponsor aus der Autobranche gefördert zu werden. Dies könnte in der angelaufenen neuen Saison letztendlich den Ausschlag für die erneute Titelverteidigung geben.

International allerdings spielen die Berliner nur eine untergeordnete Rolle, obgleich der mehrfache Deutsche Einzelmeister Norbert Griesert auch den Vergleich mit ausländischen Cracks nicht scheuen muß: 1977 war er Vize -Europameister und drang im letzten Mai in Dublin wiederum ins Halbfinale vor! Mit leuchtenden Augen verweist er auf die USA und Skandinavien, wo geradezu traumhafte Verhältnisse herrschten. In den Vereinigten Staaten kämpfen Profis um Preisgelder von annähernd 15 Millionen Mark pro Jahr. Zu den Wettkämpfen, die stundenlang live im Fernsehen übertragen werden, kommen mehrere tausend Zuschauer. Unsere nördlichen Nachbarn pflegen Bowling gar als Schulsport und triumphieren deshalb regelmäßig über die schätzungsweise 16.000 Feierabend-Bowler.

Griesert ist schon dankbar, daß er überhaupt wieder zur Kugel greifen kann, nachdem er in der letzten Runde sogar pausieren mußte: Seine Tätigkeit als Einzelhandelskaufmann ließ kein ausreichendes Training zu. Nach langem Suchen konnte er endlich eine adäquate Arbeit finden - Griesert jobbt nun in einem Bowling-Center.

Jürgen Schulz