Heiße Phase des Unternehmens Goldmedaille

Aufwendig und abseits der übrigen Mannschaft bereitet sich der Schwimmer Rainer Henkel schon seit Wochen in der südkoreanischen Hauptstadt auf Olympia vor  ■  Aus Seoul Herr Thömmes

Das Unternehmen Goldmedaille wurde vor anderthalb Jahren ins Leben gerufen. Damals taten sich die beiden Teilhaber zusammen: Rainer Henkel, der Schwimmer, und Rüdiger Schmitz, der Manager. Ziel des gemeinsamen Schaffens war, die Olympischen Spiele 1988 optimal vorzubereiten und auszubeuten. Rainer Henkel brachte ein anständiges Kapital mit ein: Zwei Weltmeistertitel über 400 und 1.500 Meter, gewonnen 1986 in Madrid. Schmitz wiederum verfügt über das nötige Know-how, um aus Erfolg auch Geld zu machen; Toni Schumacher ist sein wohl bekanntester Klient.

Der Schwimmer, heute 24 Jahre alt, hatte bereits eine ganze Menge investiert. Dreizehn Jahre krault er bereits durchs Wasser, Stunde um Stunde hat er Bahn um Bahn zurückgelegt, 30.000 Kilometer sollen's bis heute sein. Ein Tagwerk, das klingt wie harte Fron: aufstehn um fünf in der Früh, zwei bis drei Trainingseinheiten im Wasser, dazu hartes Arbeiten im Kraftraum. Nur der Sonntag ist frei. Nun war es an Schmitz, seinen Teil zum Unternehmen beizusteuern. „Ich habe die Voraussetzungen geschaffen“, sagt er heute. „Wenn alles gut läuft, soll er Olympiasieger werden.“

Zimmer im Luxushotel

Der Zufall spielte in der Planung keine Rolle mehr. Als der Deutsche Schwimmverband (DSV) im vergangenen Jahr überlegte, die Schwimmer könnten sich doch in Freiburg und Südfrankreich auf Seoul vorbereiten, flogen Henkel und sein Trainer Gerhard Hetz auf Schmitz‘ Kosten nach Südkorea. Ganz im Gegensatz zur Behauptung des DSV, in Seoul gäbe es keine Trainingsmöglichkeiten, fanden die beiden „mindestens fünf gute Hallen“. Die Funktionäre hatten „eine glatte Fehlinformation“ (Hetz) gestreut.

Nachdem das Duo die Logistik vor Ort gecheckt hatte, buchte es Zimmer im Hyatt Regency Hotel, einer von Seouls ersten Adressen, und mietete für 300 Dollar am Tag das Schwimmbad eines privaten Clubs. Vier Wochen vor der Eröffnungsfeier am 17.September würde man hier Quartier beziehen, um möglichst gut die Umstellung zu bewerkstelligen.

Der Arbeitsrhythmus hier ist derselbe wie zu Hause: „Wenn Sie mit zum Training wollen, müssen Sie kurz nach sechs am Hotel sein.“ Es ist noch dunkel, als der kleine Bus vom Hyatt Regency abfährt. Neben dem Fahrer sitzt ein Zivilbeamter, Funkgerät in der Hand, Knopf im Ohr. Gerhard Hetz dreht sich um und schaut aus dem Fenster. Wohin sie auch gehen, die Bewacher sind dabei und schon da. 25 Mann hat man offiziell für den Personenschutz abgestellt, doch Henkel hat den Eindruck, „mittlerweile sind es 50“.

Vor Sonnenaufgang

Kurz nach sieben Uhr, als draußen gerade die Sonne aufgeht, steigt Rainer Henkel nach 20minütiger Gymnastik ins Wasser. Die Zeit der großen Quälerei ist jetzt vorbei. „An der Kondition kannst du jetzt nichts mehr machen“, weiß Hetz, es gelte nur noch, die Form zu halten und Schnelligkeit zu üben. Ganz langsam wird das Training nun gedrosselt, und zehn Tage vor dem Wettkampf ist der Athlet dann „muskulär richtig locker“. Die Zeiten allerdings lassen noch zu wünschen übrig, und wenn Hetz auf den Grund zu sprechen kommt, treibt es ihm die Zornesröte ins Gesicht.

Im August, mitten in der harten Trainingsphase, wurde Henkel durch eine Angina lahmgelegt. „Die Verwaltungsaffen“ (Hetz) des Kölner Leistungszentrums hatten die Temperatur des Wassers ohne Ankündigung von 27,5 auf 26 Grad heruntergedreht. Folge: Eine Woche Penicillin und der Verlust von dreizehn Trainingseinheiten.

Ruhig und gleichmäßig gleitet Henkel durchs Wasser, setzt schnellere 200-Meter-Intervalle dazwischen. Der Blick des Trainers haftet besorgt auf der Stoppuhr. Die Daten sind schlechter als vor der deutschen Meisterschaft im Juli in Karlsruhe. „Ich bin nicht sehr optimistisch.“ Ein Doppelerfolg wie in Madrid steht ohnehin nicht mehr zur Debatte. „Im Kopf“, sagt der Trainer, „hat der Rainer nur die 1.500 eingehakt.“

Viel zu groß ist die Konkurrenz auf der kürzesten Strecke. „Lamberti, der Italiener, Homertz, der Schwede, Woiydat, der Weltrekordler aus Polen, die Amerikaner. „Das wird Tränen geben“, ahnt Hetz, „da badet sich mancher Favorit aus dem Finale.“ Bei den 1.500 Metern sei das Gedränge weniger groß, doch auch hier fallen dem Trainer auf Anhieb so viele Namen ein, daß seine Besorgnis durchaus verständlich wird. Doch ein Mißerfolg ist im Unternehmen Goldmedaille nicht vorgesehen, und so zeigt sich der Schwimmer selbst „ganz zufrieden“.

Nur mit Gold ist das große Geld zu machen, und einer wie Henkel ließe sich erstklassig verkaufen. „Schauen Sie ihn sich an“, hat der Manager geraten, „der Junge sieht gut aus. Genau das, was sich Schwiegermütter wünschen.“ Henkels Image ist so: Strahlemann, Porsche, Wasserski, Luxus. Einer wie er müßte nicht wie Michael Gross Werbung machen für Whirl-Pools und billige Uhren. Darauf setzt Rüdiger Schmitz, der trotz aller guten Taten schließlich nicht von der Heilsarmee kommt: „Ich hab‘ doch bisher nur Kosten gehabt.“

Kerl mit Macke?

Und Rainer Henkel kennt das Bild, das die Öffentlichkeit von ihm hat. Müßte er das, was über ihn geschrieben wird, über einen anderen lesen, es käme ihm nur ein Gedanke: „Der Kerl hat 'ne Macke.“ Also ist er kein Rambo-Fan? „Alles Blödsinn.“ Also übt er nicht zu Hause vor dem Spiegel das Grinsen von Sylvester Stallone? „Ein Weiberheld bin ich auch nicht.“ Wie könnte er, wo er doch „abends müd‘ ins Bett fällt und höchstens fünfmal im Leben in der Disko war“. Auch im Hyatt Hotel verläßt er abends um zehn das Zimmer seiner Freundin und nächtigt beim Schwimmkollegen Peter Sitt, „damit er nicht auf dumme Gedanken kommt“ (Hetz). Alle Kraft dem Olympiasieg.

Nach einer Trainingspause bereitet sich Henkel auf einen 400-Meter-Test vor. Walkman übergestülpt, ZZ Top reingedrückt, Gymnastik. Der Bademeister hat die anderen Schwimmer aus dem Becken gepfiffen. Wenn es ernst wird, muß das Wasser glatt sein. Und dann taucht er hinein, begleitet von den Blicken der vielen unauffälligen Herren. Der Trainer geht am Rand nebenher, in jeder Hand eine Stoppuhr. Immer wieder macht er kreisende Bewegungen mit dem Arm: Junge, hau rein. Doch das Resultat ist nicht, wie es sein sollte. „Richtig geschwommen bis du nur die letzten fünfzig Meter“, mault Hetz und geht weg.

Generalstabsmäßige Planung

Henkel nimmt die Schwimmbrille ab, puhlt sich das Ohropax aus den Ohren und lacht: „Vor großen Rennen ist der immer so nervös.“ Und ihn, setzt ihn das nicht unter Druck, daß für dieses eine entscheidende Rennen alles für ihn getan wird, daß sein Manager sagt: „Noch nie ist ein Olympiasieg bei uns so generalstabsmäßig geplant worden.“? Kein Gedanke daran, behauptet der Schwimmer, auch nicht an die Zeit danach, in der sechsstellige Umsätze gemacht werden sollen mindestens.

Denn genau beziffern läßt sich der Wert einer Goldmedaille, so sie denn gewonnen würde, nicht. Die Möglichkeiten der Vermarktung hängen auch vom Abschneiden der gesamten bundesdeutschen Mannschaft ab. Je nach dem, kalkuliert der Manager Schmitz, macht sich Frust breit im Lande, oder aber eine Woge der Begeisterung schwappt durchs Land. Und ganz oben, auf der höchsten Welle, soll möglichst Rainer Henkel schwimmen. Das Unternehmen Goldmedaille würde dann in seine nächste Phase treten.