Des deutschen Dichters morsches Erbe

Anläßlich eines Hotelprojekts erinnert sich Konstanz wieder an den vor zwanzig Jahren verstorbenen Dichter Wilhelm von Scholz, in dessen Biographie eine fünfzehnjährige Lücke klafft  ■  Aus Konstanz Holger Reile

Durch ein schmiedeeisernes Tor führt der Weg in einen verwilderten Park, an dessen Ende die „Villa Seeheim“ liegt. Konstanzer nennen das schloßähnliche Gebäude direkt am Bodenseeufer kurz „Villa Scholz“. Bis zu seinem Tode 1969 lebte dort der Dichter Wilhelm von Scholz. Im Arbeitszimmer des Dichters wurde seitdem nichts verändert. Der Stuhl seitlich weggerückt, so, als habe Wilhelm von Scholz nur eben kurz seinen Arbeitsplatz verlassen, um sich die Beine zu vertreten. Das Sitzkissen eingebeult mit dem Handkantenschlag in der Mitte - seit 1969 unangetastet. Über allem eine Mischung aus Moder, alter Bürgerherrlichkeit und spinnwebenverhangener Beklemmung. Seit seine Frau Gertie vor zwei Jahren starb, steht der Prunkbau am See ganz leer.

Inzwischen ist die Villa mit über zwei Millionen Mark verschuldet, und der Zahn der Zeit nagt an ihr. Für Kauf und notwendige Renovierung müßten rund 15 Millionen Mark aufgebracht werden - Stadt, Land und Bund lehnten dankend ab. Eine Luxemburger Immobilienfirma interessiert sich nun seit einigen Monaten für das Projekt. Die Villa soll renoviert werden und weitgehend erhalten bleiben, weiter hinten im Park soll ein 150-Betten-Hotel gebaut werden. „Angesprochener Gästekreis“, so eine schriftliche Projekterläuterung, „sind Personen des mittleren und gehobenen Managements.“

Die renovierte „Villa Seeheim“ will man als „Seminareinheit für kleinere Gruppen und für Dichterlesungen verwenden“. Spötter sprechen in diesem Zusammenhang von einer „mentalen Wideraufbereitungsanlage für gestreßte Industriebosse“. Natürlich habe man auch daran gedacht, das Werk des Dichters Wilhelm von Scholz wiederzubeleben, sagt der von der Luxemburger Firma als Unterhändler eingesetzte Konstanzer Rechtsanwalt, Wolfgang Horn, der sich besonders um einen Punkt sorgt: „Vergessen Sie die Zeit von 1933 bis 1945, das könnte unserem Projekt schaden.“

Scholz‘ Vater war der letzte Finanzminister Bismarcks, und nach dessen Rücktritt siedelte sich die Familie Scholz in Konstanz auf „Schloß Seeheim“ an. Kurz vor der Jahrhundertwende veröffentlichte der junge Wilhelm seine ersten Gedichte, wurde später Dramaturg und Spielleiter am Stuttgarter Hoftheater und von 1923 bis 1928 Präsident der Sektion Dichtung der Preußischen Akademie der Künste. 1951 wurde er zum Ehrenpräsidenten ernannt.

Auffallend, daß etwa 15 Jahre aus dem Leben des Dichters auch in entsprechenden Nachschlagewerken wenig Erwähnung finden. Dabei war Wilhelm von Scholz zu den Zeiten des Nationalsozialismus durchaus rege. Zwar versuchte er später immer wieder den Eindruck zu erwecken, daß die Nationalsozialisten ihm und seinem dichterischen Schaffen ablehnend gegenübergestanden hätten - von „literarischer Austrocknung“ war die Rede -, aber die Fakten vermitteln ein anderes Bild.

Gesamtausgaben wurden herausgegeben - Gedichte, Erzählungen, Novellen. Wilhelm von Scholz‘ Hörspiele waren regelmäßig im Reichsfunk zu hören, verschiedene Schauspiele kamen auf die Bühne. Distanz zum Nationalsozialismus kann von Scholz beileibe nicht attestiert werden. Im Jahre 1943 formulierte Wilhelm von Scholz in dem Gedicht Deutsche Wünsche: “... auf ihn der Deutschland schützt, zu dem wir / schau'n, das Herz voll Liebe, Volk, Männer / und Frauen: / Das Heil! / Gesundheit, Sieg und Segen für den Führer!“

Mitte August entschied der Technische Ausschuß des Konstanzer Gemeinderats, sehr zum Verdruß von Wolfgang Horn, gegen das Hotelprojekt. Vorrangig will die Stadt das Gebäude sichern und einen Bebauungsplan erstellen, der die Villa als Bestand fortschreibt, „und alles andere grün läßt“. Die Immobilienfirma, das steht fest, wird dennoch einen neuen Anlauf starten.

Aber das Thema Scholz ist noch lange nicht vom Tisch: Der Stadtrat (Gemeindeabgeordneter, d.Red.) Werner Allweiss von der „Freien Grünen Liste“ (FGL) will im Kulturausschuß „endlich dagegen angehen“, daß die beste Konstanzer Abiturarbeit im Fach Deutsch seit 1969 jährlich von der Stadt mit dem „Wilhelm-Scholz-Preis“ honoriert wird.