Die Sahne schöpft der Westen ab

■ Nachdem Glasnost ein Modewort geworden ist, bemüht sich der kapitalstarke „Westen“ um die Bilder der inoffiziellen sowjetischen Künstler: Die 3. große Ausstellung von Sowjetkunst in Emden

Gorbi ist „in“, Glasnost und Perestroika in aller Munde, und Kunst macht Spaß und läßt sich verkaufen. Wen wundert's: in Moskauer und Leningrader Ateliers treten sich seit zwei Jahren Händler und Museumsleute der westlichen Dekadenz gegenseitig auf die Füße, um die Künstler mit ihren Checkheften zu betören.

Die Inoffiziellen natürlich, die gestern noch unter erbärmlichsten Verhältnissen arbeiten und leben mußten, weil ihnen die Mitgliedschaft in den offiziellen Verbänden verwehrt wurde, was fast ausnahmslos heißt: Ausstellungs„verbot“, keine anständigen Ateliers, nur schwer zu beschaffendes Malmaterial. Dank Perestroika wurde vieles einfacher. Die Mitglieder des inoffiziellen Leningrader Künstlerverbands „Gruppe der experimentellen Kunst“ beispielsweise - offiziell alle Arbeiter im Heizkraftwerk müssen keine Bilder mehr verstecken. Zögerlich kauft der Staat sogar die neue Kunst, packt sie aber vorerst lieber in Depots. Auch ausstellen ist heute im Prinzip möglich.

Die Sahne schöpfen kapital

starke Westler ab. Nach Bern (intellektull geprägte Kunst) und Köln (Schoko-Ludwigs Massen-Sammelsurium) läuft seit Sonntag in der Kunsthalle Emden die dritte große Sowjetkunst -Ausstellung des Jahres. In über 50 Ateliers hat Henri Nannen eingekauft, geliehen und in Kommission genommen. Das Konzept war einfach: der persönliche Geschmack. Also vor allem expressive Malerei neben sachlich-realistischen Tendenzen.

Maksim Kanton ist der herausgestellte Star der Ausstellung. Er ganz besonders soll „die neue Freiheit der sowjetischen Maler“ bezeugen. In expressiv-direkter Form thematisiert er allgemein Leiden und die Situation des Ausgeliefertseins, in Bildern, die die Klassen der klassenlosen Gesellschaft genau unterscheiden. Mit dem „Kreuzworträtsel“ vertreiben sich die in die Psychiatrie verbannten Intellektuellen ihre Zeit, die patrouillierenden Ärzte haben blutige Hände. Diese Bilder sind mehr als Zustandsschilderungen.

Fast durchgängig ist der Mensch das Thema. Ob in der realistischer Manier gespiegelten so

zialen Misere des Alltags von Lev. I. Tabenkin, oder in den heftigen Pinselattacken des „Fetting der UdSSR“, N.W. Filatow - die sowjetischen Maler sind gut über die Trends im Westen unterrichtet, da bleibt auch Epigonentum nicht aus.

Der zumindest von den „Studierten“ gelernte sozialistische Erbauungskitschrealismus spielt keine Rolle, er ist wahrscheinlich dort, wo er überhaupt zugelassen war, wieder in Eile verscharrt worden. Aber er wird benutzt, durch scheinbare Beibehaltung des Malstils inhaltlich gegen sich selbst gerichtet, wie in den hyperkitschigen Schmusebildern von Arcadi Petrow.

Selbst Kritik am Militär passierte - als einziges Bild nicht ganz ohne Probleme - die Kontrollbehörden. „Der Gipfel“ von Aleksej Sundukow zeigt die Hinterköpfe Kahlgeschorener beim Appell. Nur eine den Soldaten gegenüberstehende Offiziersmütze überragt die gleichförmige Masse. Der Betrachter blickt mit den Glatzköpfen auf eine Gebirgskette, „Afghanistian“ interpretiert Kunsthallenleiter

Finckh.

Besonders freut sich Nannen über das Schnäppchen mit den beiden Bildtafeln von Grischa Bruskin, der anspielungsreich unter anderem seine jüdische Tradition thematisiert. Wofür der Boss ca. 34.000 Mark hinblätterte, muß nun, in Moskau, das

vier bis fünffache gezahlt werden. Der sowjetische Kunstkritiker Leonid Baschanow sagte dazu im „Stern“: „Ich kenne kein Land außer unserem, das seine besten Werke verkauft. Alles geht in den Westen...“

Achim Könneke

bis 6.11., Di 10-20, Mi, Do, Fr 10-17, Sa/So 11-17