Genie und Fernsehen

■ Philosophie heute, Nordkette, So., 11.9., 18.30 Uhr

Als Kind hat er die Weisheit mit Löffeln gefressen. Und jetzt sprudelt alles wieder aus ihm heraus. Die Genialität des Jungphilosophen Vittorio Hösle besteht in seiner Redekunst. Sein rasanter Wortschwall, undeutlich dahingenuschelt, bricht über den Zuschauer herein. Allenfalls einzelne Worte dringen ins Bewußtsein vor. Es geht um Macciavelli und die Systematik der Macht, um die Theorie der Letztbegründung, um Ethik und Transzendentalpragmatik - nach Hösle derzeit die bedeutendste Richtung innerhalb der Philosophie.

Kultur ist anstrengend. Die Wahrnehmung des Zuschauers erholt sich allmählich an italienischer Plafondmalerei und der ruhigen, nunmehr fast besinnlich wirkenden Stimme aus dem Off. Und endlich erfährt man: Das Wunderkind hat die neunte und elfte Klasse übersprungen, mit 17 das Abitur absolviert, nach nur vierjährigem Studium (mit Rücksicht auf die Steuerzahler?) seine Promotion mit einer über 700seitigen Dissertation abgeschlossen, in weiteren zwei Jahren eine ebenso dicke Habilitationsschrift verfaßt. Im Schultheater debütierte er als Regisseur der Orestie. Darunter war wohl nichts zu machen. 27jährig folgt er seinem ersten Professorenruf an die University of Social Research in New York. So bleibt die nicht auszurottende Philosophiestudentengeneration in der Bundesrepublik von diesem Hochgeschwindigkeitsgenie der Erkenntnis vorerst verschont. Der Heisenberg-Preisträger Hösle, der auch schon zwei philosophische Gutachten für die Bundesrepublik erstellt hat, bemüht sich nicht um Verständlichkeit oder Verständigung. Schließlich geht es um nichts Geringeres als die Rettung der Welt. Und dabei muß der Philosoph furchtlos die Erkenntnis zu Ende denken, daß der Mensch - ehemals und nicht umsonst die „Krone der Schöpfung“ - mittlerweile in der Lage ist, den gesamten Planeten in den Abgrund der Vernichtung zu ziehen. Aber bloß nicht pessimistisch werden. Gerade ein Philosoph hat dazu keinerlei Veranlassung. Findet er doch endlich, nach dem großen Ausverkauf aller Wahrheiten, Ideen und Ideale im vergangenen Jahrhundert, endlich wieder eine würdige, ihm angemessene Aufgabe.

Beate Kirchenmaier