Intellektuelle und Solidarnosc unter einem Hut

Führung von Solidarnosc, Streikführer und Intellektuelle tagten in Danzig / Kompromiß über Verhandlungen mit der polnischen Regierung / Mißtrauen gegenüber Walesa bleibt / Auch unabhängige Gruppen wollen an Gesprächen teilnehmen  ■  Von M.Geis/K.Bachmann

Danzig (taz) - Die Brigittenkirche in Danzig, in der am Wochenende die Führung der illegalen Gewerkschaft Solidarnosc, Vertreter der im August bestreikten Betriebe und namhafte polnische Intellektuelle über die Strategie zu den bevorstehenden Verhandlungen mit der Regierung berieten, ist ein schlichter gotischer Backsteinbau. Ihre herausragende Rolle unter den elf Gotteshäusern im Danziger Stadtkern verdankt sie denn auch nicht ihrem architektonischen Rang, sondern dem Umstand, daß sie die Heimatgemeinde Lech Walesas beherbergt. Daß das sogenannte Walesa-Parlament hier tagt, ist eine polnische Selbstverständlichkeit. Gekommen waren über 60 Intellektuelle - darunter Jaczek Kuron, Adam Michnik, der Regisseur Andrej Wajda, die Schriftsteller Jaczek Bradchenski und Stefan Kisielewski - um der Forderung nach Wiederzulassung der Solidarnosc Nachdruck zu verleihen.

Weil das Gesprächsangebot der Regierung die Hoffnungen auf Etablierung eines machtvollen, gesellschaftlichen Konterparts beflügelt, werden schon im Laufe des Samstags die radikaleren Kräfte aus den lokalen Streikkomitees auf Linie gebracht: als gegen 18 Uhr der Hausmeister der Kirche einen Eimer mit dicken, roten Würsten in den Tagungsraum trägt, hat sich die Kritik an der autokratischen Beendigung der Streiks in eine Vertrauenserklärung mit weitreichenden Vollmachten für Walesa verwandelt.

Der Ratschlag der Intellektuellen beginnt mit der Sonntagsmesse - einem politischen Hochamt: die versammelte Gemeinde im völlig überfüllten Kirchenschiff singt die Nationalhymne, die Hände zum Victory-Zeichen erhoben. Im Altarraum stehen einige der Intellektuellen, umsäumt von plastikbehelmten Arbeitern, die die Regionalfahnen der Solidarnosc tragen. Pfarrer Jankowski, Hausherr der Brigittenkirche, hält eine Predigt, die immer wieder von Beifallsstürmen unterbrochen wird.

Derart moralisch gestärkt, ziehen sich die Intellektuellen gegen zwölf Uhr via Sakristei zu ihren Beratungen zurück. Obwohl bereits im Vorfeld der Verhandlungen viele Teilnehmer ihre prinzipielle Zustimmung zu Verhandlungen mit der Regierung bekundet haben, werden im Verlauf der Beratungen Meinungsverschiedenheiten deutlich, die sich vor allem am Verhältnis zwischen Solidarnosc und unabhängigen politischen Gruppen entzünden. Denn im Verlauf der sieben Jahre nach Verhängung des Kriegsrechtes hat die Solidarnosc ihren Alleinvertretungsanspruch für die politische Opposition des Landes eingebüßt. Seither sind zahlreiche legale und halblegale Organisationen, Parteien und Klubs entstanden; deren Vertreter äußerten am Sonntag verschiedentlich die Ansicht, die bevorstehenden Verhandlungen mit der Regierung müßten auch einer Absicherung ihrer Interessen dienen. Dieser Ansicht dürften auch all diejenigen Vertreter zuneigen, denen eine allzu vorbehaltlose Unterstützung Walesas einiges Unbehagen bereitet. Wie nicht anders zu erwarten, ist die Forderung, bei den Verhandlungen eine Absicherung der Gruppeninteressen zu betreiben, auf heftige Kritik gestossen. Der Warschauer Rechtsanwalt Sila Nowicki wollte keinen Zweifel an den Prioritäten aufkommen lassen: „Erst kommt Solidarnosc, und erst wenn wir das erkämpft haben, können wir uns um die einzelnen Interessen und Gruppen kümmern, nicht umgekehrt.“ Nowickis Standpunkt setzte sich dann auch im wesentlichen durch. Trotz zahlreich erschienener Vertreter unabhängiger Initiativen - gekommen waren unter anderem 'res publica'-Herausgeber Marcin Krol, 'Mloda Polska'-Chef Aleksander Hall und 'pps'-Leiter Jan Josef Lipski - rauften sich die Intellektuellen dann doch hinter Solidarnosc zusammen. Zum Abschluß konnte Pressesprecher Konopka verkünden: „Es herrscht Einigkeit darüber, daß die Legalisierung von Solidarnosc der erste Schritt sein muß.“ Jan Josef Lipski wollte allerdings nicht ausschließen, daß - anders als Konopka am Vortag erklärt hatte - nicht alle Teilnehmer am „runden Tisch“ Solidarnosc -Vertreter sein werden. Er könne sich nach wie vor neben einer Solidarnosc-Delegation auch Verhandlungsteilnehmer unabhängiger Gruppen vorstellen, die dann im eigenen Namen sprechen würden. Der Appell, den die Intellektuellen als Ergebnis ihrer Beratungen an die Regierung richteten, war im Ton deutlich schärfer als die offizielle Solidarnosc -Erklärung vom Vortag: Nötig seien jetzt keine Beratungen mehr, sondern entschlossenes Handeln zur Überwindung der Krise. Die Unterzeichner forderten die Wiederzulassung der Solidarnosc als ersten Schritt zu einem wahrhaften Dialog. „Wir erwarten“, so der Appell, „schnelles Handeln und keine weiteren Diskussionen, die Handeln ersetzen sollen.“

Allgemeines Rätselraten herrscht nach wie vor darüber, welche Haltung die Regierung letztendlich gegenüber einer Solidarnosc-Delegation einnehmen wird. Gerüchte, von Pater Jankowski gestreut, wonach General Kiscak Walesa bereits die Legalisierung von Solidarnosc „versprochen“ habe, wurden gestern vom Unterhändler des Episkopats, Prof. Stelmachowski, dementiert. So bleibt der Unmut vieler Diskussionsteilnehmer gegenüber Walesa erhalten, denn dieser weigert sich immmer noch, über den Inhalt seines dreistündigen Gesprächs mit Kiscak Auskunft zu geben.