Von Trinidad bis Tiergarten

■ Bob Geldofs „Band Aid“ hat eine Nachfolgerin: „Sport Aid“ machte 50 Millionen Menschen Beine

Die vielbeschworene völkerverbindende Funktion des Sportes beschränkt sich heutzutage meist darauf, daß zum Weltmeisterschaftsfinale im Fußball oder bei Olympischen Spielen die halbe Menschheit vor der Glotze hängt. Nicht so am vergangenen Sonntag, als sich mit dem hehren Ziel, Kindern in Not einen Brosamen zukommen zu lassen, mindestens jedes 200. Mitglied der Weltbevölkerung dazu aufraffte, persönlich die Füße zu schwingen und einen gemäßigten Langstreckenlauf zu absolvieren. Und fast alle gleichzeitig

-um 15 Uhr Weltzeit, 17 Uhr in Mitteleuropa. Das Zauberwort, das Bürger von 127 Ländern zu einem globalen Millionenfüßler zusammenschweißte, hieß „Sport Aid“, jene Nachfolgeinitiative von Bob Geldofs „Band Aid“, die schon vor zwei Jahren 20 Millionen Menschen zum Laufen und 70 Millionen Mark in die Kassen von Unicef und Rotem Kreuz gebracht hatte.

Diesmal waren es 50 Millionen Erdenbürger, die - fein säuberlich durchnumeriert - um 15 Uhr Weltzeit (17 Uhr MESZ) an den Start gingen. Die Startnummer 20.000.000 trug der Papst, der sich in Zimbabwe jedoch mit einem Segen vor dem Laufen drückte, und ohne Startnummer grüßten noch höhere Wesen: die drei sowjetischen Kosmonauten, die gerade im All ihre Bahn ziehen. Erdverbundener und weit niedriger eingestuft, mußten sich die beiden taz-Sportredakteure, die in Berlin 7,5 km unter die Füße nahmen, mit den Startnummern 2.367.056 und -57 zufriedengeben.

Gerade in der Bundesrepublik und West-Berlin hatte es nicht an Kritik an dem gigantischen Unternehmen gefehlt. Die „Alternative Liste“ Berlins bemängelte, daß „zwei Wochen vor dem Treffen von IWF und Weltbank in dieser Stadt“ nicht auf die „Ursachen und die Verantwortung der Bundesregierung an den beklagten Verhältnissen“ hingewiesen werde, und fürchtete hellsichtig wie gewohnt, daß nach dem „großen Medienspektakel alles beim alten bleiben“ werde. Die „Deutsche Sportjugend“ äußerte Zweifel, ob die eingenommenen Spenden auch wirklich sinnvoll verwandt würden.

Die Organisatoren konterten mit dem Hinweis, daß Unicef und Rotes Kreuz schließlich ehrenwerte Gesellschaften seien und die Gelder an eine Aktion „Wasser für Ghana“ - Pumpen in Dörfern ohne vernünftige Wasserversorgung - und andere Projekte gehen würden. Eine Einlösung ihres vollmundigen Slogans „Change the World“ mochten auch sie nicht versprechen, betrug doch die Einnahme von „Sport Aid 1986“ gerade mal ein Prozent des Entwicklungshilfe-Haushaltes der BRD.

Unbehagliche Begleiterscheinungen gab es genug. Die massive Präsenz von Sponsoren und Politikern, die ihr Süppchen mit „Sport Aid“ kochen, stieß manch gutwilligem Läufer übel auf. Im Berliner Tiergarten wurden die 3.000 LäuferInnen von Sport- und Schulsenatorin Laurien auf die Strecke rund um die Siegessäule geschickt. Die Stellvertreterin des Regierenden Bürgermeisters ist vielen noch in schlechter Erinnerung, seit sie jahrelang Lehrer mit Disziplinarstrafen verfolgte, die die Friedensbewegung in die Schulen getragen hatten. Für „Sport Aid“ ließ sie dagegen bereitwillig in den Schulen werben. Und dann gelang es ihr nicht, einen gescheiten Startschuß zustande zu bringen - unfreiwilliger Tribut an die friedensbewegten WidersacherInnen von einst. Auch die Berliner Veranstalter bewiesen nicht gerade Fingerspitzengefühl, als sie ausgerechnet eine britische Militärkapelle für die hungernden Kinder auf die Straße schickten.

Doch dem weltweiten Wir-Gefühl konnte das keinen Abbruch tun. In Geist und Fuß verbunden, angetrieben vom extra für „Sport Aid“ umgedichteten Status-Quo-Ohrwurm „Runnin‘ all over the world“, rannten die LäuferInnen von Berlin gemeinsam mit den tief in der Nacht gestarteten Untertanen des sportbegeisterten Königs Taufa'ahau Tupou IV. von Tonga, mit Brasilianern, Chinesen, Cubanern und Malayen, mit Gibraltesern, Dubaianern, Jemeniten und Isländern, mit Japanern, Ungarn, Jugoslawen, Engländern, mit Sudanesen und sämtlichen 57Bewohnern der einsamen Pazifikinsel Pitcairn. In Trinidad allerdings verwechselten die Leute die Aktion kurzerhand mit Karneval.

Nur die Einwohner des Emirats Bahrein spurteten aus der Reihe. Sie starteten eine Stunde früher, um bei ihrem Wüstenlauf, getreu der offiziellen Devise „Race against Time“, der Dunkelheit zuvorzukommen.

Matti Lieske