Fishtown mit Drei-Jahres-Plan

■ Dr. Dirk Böttger ist neuer Intendant im Bremerhavener Stadt-Theater, hat einen Drei-Jahresplan fürs Große Haus, liebt Hochhuth und Dürrenmatt und wird darum 12. Mitglied im Culture Club am taz-Mittwoch

Dr. Dirk Böttger heißt Bremerhavens neuer Theaterchef, der vieles, aber nicht alles anders machen will. „Welt-Theater“ wolle er machen, so stellte er sich der Stadt vor einigen Monaten vor, aber so will er es dann doch nicht gesagt haben - zu groß war die Empörung und der Affront gegen

den Intendanten der letzten sieben Jahren, Siegfried Wittich.

Wittich wäre gern noch zwei Jahre geblieben, aber sein Dienstherr, der Magistrat der Stadt, mochte seinen Vertrag nicht verlängern. Man sagt ihm nach, es habe ihm an Durchsetzungskraft gefehlt. In der Tat: Wer in Bre

merhaven Intendant wird, muß damit rechnen, schnell verschlissen zu werden. Nicht nur, weil er in einer Stadt „ohne echte Theatertradition“ (Wittich) arbeitet, wo er vor allem den Unterhaltungsbedürfnissen des Publikums Rechnung tragen muß, sondern weil er zudem von einem in der Theaterlandschaft der Bundesrepublik einzigartigen Mitbestimmungsmodell in den Zange genommen wird: Die Vertretung des nicht-künstlerischen Personals kann in personellen Angelegenheiten mitbestimmen. Walter Ruppel, heute Ohnesorg-Intendant, warf deswegen 1980 entnervt das Handtuch, die Stadt verlor gegen den Personalrat einen Prozeß, die Mitbestimmung blieb erhalten und jeder neue Intendant muß dazu ja sagen. Wittich ist dazu bereit gewesen, aber seinen besten Regisseur hat er nicht halten können. Rudolf Zollner verließ vor zwei Jahren das Stadttheaer und ging nach Bremen.

Der neue Intendant verspricht frischen Wind und neue Töne. Mit dem Mitbestimmungsmodell könne er leben, weil die letzte künstlerische Entscheidung beim Intendanten läge, sagt er. Die ersten künstlerischen Entscheidungen haben er und sein neues Leitungsteam - Jürgen Steinkamp (Schauspiel) und Johannes Felsenstein (Oper) - schon getroffen. In Bremerhaven gibt es künftig kein ein-, sondern ein dreijähriges Programm.

Kann ein Theater noch auf Zeitstimmungen reagieren bei einer so langfristigen Festlegung?

Böttger verweist auf die „klare Trennung“ zwischen Großem und Kleinem Haus. Der Spielplan fürs Kleine Haus werde nur von einer Spielzeit zur anderen aufgestellt, um auf Aktualität so schnell wie möglich reagieren zu können. Die angekündigten Titel - Stücke von Kroetz, Harald Müller, Peter Turrini und Pinter - sind alle in Bremerhaven noch nie gespielt worden.

In der Oper hat die neue Spielzeit am letzten Wochenende mit „Fidelio“ begonnen, die erste Schauspiel-Premiere ist „Don Carlos“. Den klassischen Auftakt ins Dreijahresprogramm begründet Böttger mit der politischen Substanz und der Aktualität der großen Werke. Auf dem Programm stehen Peter Weiß „Marat/Sade“ und Turrinis Figaro-Adaption „Ein toller Tag“. „Zwei Werke, die im Umfeld der Zeit der Französischen Revolution entstanden sind und dieses Ereignis reflektieren. Wenn ich sehe, daß Amnesty International permanent zu tun hat, daß Unfreiheit ein ganz aktueller Tatbestand geblieben ist, dann hole ich mir so substantielle Werke wie den Fidelio und wie den Carlos“. Weniger Substanz entdeckt er bei der modernen Dramatik. Hier sieht er vor allem „dokumentarische Plattheit“ am Werk.

Böttger, ein Dürrenmatt-Fan und Hochhuth-Verfechter, hält viel von „richtig guten, satten, saftigen Rollen“ und wenig von „flacher, plakativer, substanzloser Modernität“. Tschernobyl-Revuen oder aufgesetzte Klassi

ker-Inszenierungen sind nicht seine Sache.

Was berücksichtigt ein Intendant, der in einer Kleinstadt Theater macht? „Man muß die Publikumsstruktur beachten. Das heißt, daß man in Bremerhaven nicht ein Theater machen kann, was selbst in Hamburg oder Berlin nur ein bestimmtes Publikum anspricht. Ich bin als Intendant aufgefordert, interessantes Theater zu machen, für viele Menschen, und dieses Theater mit Substanz zu füllen“. Böttger verwaltet einen Etat von 14 Millionen Mark und spricht der Stadt „den größten Respekt“ aus, daß sie überhaupt ein Theater unterhält. Um mehr Menschen ins Theater zu locken, scheut er selbst Werbung im Waschmittel-Stil nicht. Einen offenen Brief hat er in den Wohnbezirken der Stadt in die Briefkästen werfen lassen. Textauszug: „Sie haben das Recht, ins Theater zu gehen. Machen Sie Gebrauch von diesem Recht! Sie werden fragen: Warum gerade ich? Ich halte dagegen: Warum gerade Sie nicht? Sie werden sagen: Nennen Sie mir Ihre Gründe. Und ich sage Ihnen: Das will ich gerne tun: Theater ist etwas Besonderes, das unserem Leben erst die Würze verleiht“. Ob biedere Floskeln helfen, den Besucherrückgang der letzten Jahre zu stoppen? „Theater ist ein geistiges Abenteuer, an dem wir unser Publikum teilnehmen lassen wollen“. Das Abenteuer beginnt. Am 10. September hatte „Fidelio“ Premiere, heute abend folgt „Don Carlos“.

hh