Nicht alle Wege führen nach Rom

■ Im Schloß Gottorf in Schleswig entscheidet heute die Jury über die Vergabe des begehrten Villa-Massimo-Stipendiums: Auch Bremen kämpft mit drei Bewerbern mit

Im Schloß Gottorf in Schleswig steht heute ausnahmsweise nicht - wie seit Wochen - alte Kunst aus Rußland im Mittelpunkt des Interesses, sondern junge Kunst aus Deutschland: es wird über die Vergabe des Villa-Massimo -Stipendiums entschieden, neben dem Villa-Romana-Stipendium eines der renommiertesten der Bundesrepublik. Während letzteres in Florenz von der deutschen Industrie finanziert wird, ist das Massimo-Stipendium Sache des Bundes und der Länder: der Bund finanziert die Villa in Rom, in der die Stipendiaten ein Jahr lang wohnen und arbeiten, das jeweilige Bundesland trägt die Kosten „seiner“ Preisträger, pro KünstlerIn rund 25.000 DM. Das Stipendium wird seit 75 Jahren vergeben, zunächst nur an Maler und Bildhauer, seit einiger Zeit auch an Architekten, Schriftsteller und Musiker.

Wer sich darum bewirbt, sollte nicht älter als vierzig sein und künstlerische Ehren aufweisen können - Genie allein genügt nicht. Sind doch vor allem die Ohren der Juroren wichtigstes Hilfsmittel für die Entscheidungsfindung. Keineswegs nur, wie man annehmen könnte, nur für den Bereich Musik, sondern ebenso für die Bildende Kunst, wie Dr. Manske vom Senat für Wissenschaft und Kunst und Professor Jürgen Waller als Jurymitglied übereinstimmend erklären: Die Jury informiert sich vorab und wer überregional auf wichtigen Ausstellungen oder mit Kunstpreisen „aufgefallen“ ist, hat am ehesten eine Chance. So gilt die Teilnahme am „Forum Junger Westen“ als Garant dafür, daß die Jury nicht nur gnädig Gehör, sondern verstärkte Aufmerksamkeit für die entsprechenden Kandidaten aufbringt. So gesehen steht von den drei Bremer Bewerbern,

dem Bildhauer Wolfgang Wagner-Kutschka und den Malern Uwe Kirsch und Constantin Jaxy letzterer auf aussichtsreicher Position, gewann er doch erst kürzlich den anerkannten „Kunstpreis Junger Westen“.

Aber Bremen kämpft im Auswahlverfahren ohnehin „als Stadt gegen den Rest der Welt“, so Dr. Manske. Die Konkurrenz ist groß, zumal die Anzahl der Kandidaten pro Bundesland proportional geregelt ist. So darf Bremen vier KünstlerInnen ins Feld schicken, Nordrhein-Westfalen und Berlin dagegen je zwölf. Und das sind nun mal die klassischen Regionen, in denen interessante Kunst geballt auftritt. Aus rund siebzig Vorschlägen wird die Jury diesmal die sechs bis vierzehn PreisträgerInnen herauspicken müssen.

Für die Vorauswahl in Bremen hatten sich rund dreißig KünstlerInnen beim Senat beworben, die Jury setzte sich wie folgt zusammen: Prof. Jürgen Waller als Vertreter der Bildenden Künstler und der Kunsthochschule, Hartmut Neumann als vorheriger Massimo-Stipendiat (und Beispiel dafür, wies weitergehen kann: er bekam vor einigen Tagen den mit 30.000 DM dotierten Preis des Deutschen Künstlerbundes), Dr. Manske und Dieter Opper als Senatsvertreter, Barbara Claasen-Schmal von der Gesellschaft für Aktuelle Kunst, Katrin Rabus für die Galeristen und Tilman Rothermel für den Berufsverband Bildender Künstler.

Jürgen Waller, der als Vertreter der Bildenden Künstler schon zum vierten (und letzten Mal) in der Bundesjury sitzt, wird in Schleswig wie auch in Bremen vor allem ein Kriterium berücksichtigen: inwieweit sich die künstlerische Arbeit durch Ernsthaftigkeit auszeichnet. Obwohl

auch das vage klingt, scheint ihm dies im andauernden Trend „jährlich neue Erfindungen statt Intensivierungen künstlerischer Themen„zu präsentieren, eine der wenigen griffigen Möglichkeiten zur Qualitätsbenennung.

Einen absoluten Mangel eben jener künstlerischen Ernsthaftigkeit registriert der Maler, der seit zehn Jahren an der Hochschule für Gestaltung unterrichtet, unter den hiesigen KünstlerInnen. Die Zahl von dreißig Bewerbungen für das Massimo-Stipendium muß ihn überrascht haben, gibt es für ihn in der Stadt doch höchstens zehn ernstzunehmende Künstler (das Künstlerverzeichnis des Senats verweist übrigens auf rund sechshundert Namen!) Den anstehenden Kunstfrühling bezeichnet Waller schlichtweg als „Schwachsinn“. Er wecke nur Hoffnungen auf eine Künstlerkarriere, die durch diese Art der Massenpräsentation ohnehin nicht zu erreichen sei. Letztlich gelte nach wie vor, Qualität setzt sich durch. Weil aber die Künstler „Konkurrenz scheuen“ und nach dem Motto, wir sind wer, auch wenns die anderen nicht sehen wollen, aus einer „Trotzhaltung“ heraus künstlerische „Inzucht“ treiben, entwickeln sie nur unzureichende Qualität. Letztlich sei der „Kunstfrühling“ symptomatisch für die Situation der Stadt, in der die Künstlerförderung den Sinn für Selbstverantwortlichkeit nehme.

Das Villa-Massimo-Stipendium bekam er selbst übrigens nie und heute hat ers nicht mehr nötig. Trotzdem lernte er im Sommer die Villa auch von Innen kennen, als Juror und Ehrengast. 35 der siebzig kleinen Zeichnungen, die in diesen Wochen entstanden, zeigt er jetzt in der Galerie seiner Frau, Birgit Waller.

Beate Naß