Im Universum trauert uns keiner nach

■ Atelier 4, Zu dumm zum Überleben?, Montag, 12.9., ZDF, 22.10 UhrZD+17.e

„Wir wollen natürlich keine politische Diskussion führen!“, stellt Gesprächsleiter Ingo Hermann irgendwann fest. „Was wir wollen, ist ein kulturelles Gespräch.“ Natürlich. Deswegen hat er zur Diskussionsrunde im tiefen Fernsehsofa auch keine Politiker eingeladen. Was wäre deprimierender als die Zerfledderung des blauen Planeten mit den Phrasendreschern zu erschleimen - Montagsabend um 10 Uhr? Nein, es war schon in Ordnung so: einen Greenpeace -Renitenten, eine Europaparlamentarierin, ein Katastrophenforscher, ein Spezialist für Autoreifen in christlich-ökologischer Prophetie, ein berühmer Verhaltensforscher und ein Macher apokalyptischer Komödienfilme - zusammen auf der Suche nach der Dummheit, die uns treibt.

Mit zerquältem Gesicht bemühte sich Ingo Hermann vergebens, das Gespräch in die geplant-kulturelle Richtung zu schieben. Für die Fragen, die ihn interessierten, die Fragen nach der Lernfähigkeit der Menschheit und der Programmgestaltung des menschlichen Gehirns, mochte sich kaum jemand anderes interessieren. Eibel-Eibelsfeld als Professor im Erstsemesterseminar, muffelig, belehrend, ins Wort fallend, hielt stattdessen mit banalsten Plattitüden von Wissenschaftsgläubigkeit und Vulgär-Ethologie dagegen. Dabei hatte er doch (Hoimar von Dithfurt war wegen Krankheit ausgefallen) der Hauptdarsteller in Sachen bürgerlicher Problemverschiebung sein sollen. Denn die modernen Zeiten verlangen das Wir, das der Menschheit, das Klassen, Rassen, Geschlechter, gar Kontinente überschreitende große Wir wieder auszugraben.

Nichts ist spannender als unsere genetisch-emotionale Steinzeitausstattung. Doch bei unter IWF-Auflagen abgeholzten Regenwäldern, Tschernobyl, mongoloiden Kindern und PCB-toten Robben sehen wir und ich nun wirklich nicht ein: Frau Jütting von Greenpeace und Frau Weber aus Straßburg und Herr Dombrowski von der Katastrophenforschung und ein wenig verquer der Herr Hage von der Prophetie. Sie trugen ihre ermüdenden Zahlen, Nachweise und Hinweise an, die ständig unserer Immunwerdung anheimzufallen drohen, aber deshalb gerade nochmal und nochmal und nochmal veranschaulicht werden müssen.

In mein Herz schleichen konnte sich nur Reiner Erler, der Regisseur mit dem weißen Schopf. Seine Frau und er fahren seit neun Jahren schon immer 100, o.k., mal 110, und auf den Landstraßen 80. Nie täten sie etwas kaufen, was die Umwelt schädigen würde, und wenn sie mit Freunden in den Biergarten gehen und die Würstchen kommen auf Aufgeschäumten, dann geht der Erler persönlich quer durch den Biergarten und mit all dem Aufgeschäumten zum Geschäftsführer und verlangt zukünftig Preßspan-Teller oder gibt die Würstchen zurück. Außerdem kann er noch, mitten in eine lahmarschige Diskussion, Sachen rufen wie: „Das bewußte Einleiten von Chemikalien in einen Fluß unterscheidet sich in nichts von der Ausführung eines Erschießungsbefehls im Zweiten Weltkrieg!“ Und nicht zuletzt macht er obergruselige Zivilisations-Unfall-Filme und sagt auch noch lächeld: „Hoffnung“.

Welche steinzeitlichen Sentimentalitäten durchziehen mich, wenn mir das gefällt? Das hat er auch gesagt: Im Universum trauert uns keiner nach.

Susi Billig