DIE ALTEN HERREN DER NEUEN MUSIK

 ■  Aribert Reimann oder eine schöne Leich‘

Berlin heißt ja jetzt Ort des Neuen. Und es gibt reihenweise alte Herren in der Neuen Musik, die von sich sagen können: Ich bin ein Berliner. Die Festwochen veranstalten eine Reihe 'Komponistenportraits‘ - 8 mal 3 Konzerte jeweils am Wochenend.

Wenn er komponiert, dann kann er „keine Musik hören, keine Menschen sehen“. Sonst schon. Er glaubt an das Gute im Menschen und an die Größe in der Musik: ist „ungeheuer glücklich, daß es im Leben diese großen Dinge gibt“, und immer strebend bemüht, selbst große Musik zu schreiben.

Aribert Reimann, von Hause aus Liedbegleiter, ist ein getreuer Neckermann. Nie zu laut, stets pflegeleicht, ranken sich seine Werke innig empor an den großen Bildungsgütern der abendländischen Kultur. Die eine Uraufführung vom Wochenende schmiegte sich kompositorisch an Alban Berg, die andere atmosphärisch an Rainer Maria Rilke. Rundum gruppiert Stücke, die Reimann als Lehrer wie auch Schüler anderer großer Leute ausweisen und eine Ausstellung im Foyer ergänzt: Briefwechsel mit den Größen unserer Zeit, Bilder von den großen Opernerfolgen Lear und Troades, Fotos von Mama, Papa und unter Glas auf einer Konsole: Klein -Ariberts erstes Instrument, eine Blockflöte.

Dieser Reimann ist rundherum ganz wunderbar kommensurabel: ordentlich, gebildet, traditionsbewußt, strebsam, bescheiden, kurz: ein guter Junge und braver Bürger. Keine Gefahr, daß ihm der spitze Hut etwa vom Kopfe fliegt, denn erstens ist Windstille in der neuen Musik, und zweitens trägt man sowieso nicht mehr Hut (Serialismus war vorläufig der letzte, Minimalismus womöglich der allerletzte). Man trägt wieder, was beliebt. Reimanns Musik beliebt besonders. Sie ist von der Art, die auch im A-Abonnement zwischen der Eroica und dem Klagenden Lied ungemein putzt, weil man ja schließlich modern denkt. Und hinterher mundet die Nouvelle Cuisine nochmal so gut.

Reimann macht kulinarische Geräusche fürs Auge. Egal ob als Lied, Kammermusik oder Oper. Gleichviel ob da das „lyrische Ich“ oder der „Formwille“ oder auch der „dramatische Furor“ durchschlagen - ob Schumann, Schönberg oder Shakespeare zu Paten gedungen werden: Immer sind es Bilder, die sich einzustellen haben, bekannt und bewährt. Museumsinventar. Sollte es sich übrigens dabei um Musik handeln, so ist es wirklich eine schöne Leich‘: mit edlen Zügen, melancholischer Miene, recht traurig anzuschaun, dabei auf beruhigende Weise tot und tödlich langweilig. Nicht einmal, daß sie riecht. Dieser Leichnam ist praktisch vollkommen geruchsneutral. Die Musik, mumifiziert nach der neuesten Mode - perfekt manikürt, pedikürt, parfümiert, aufpoliert. Und wenn da noch etwas mieft, dann ist das nur der leichte Hauch von Lagerfeld im Saal.

Elisabeth Eleonore Bauer