Grüner will roten Aufsichtsrat

Eckard Stratmann legt eigenen Entwurf zum Betriebsverfassungsgesetz vor / Heute findet in Bonn ein Hearing der grünen Bundestagsfraktion zu „überparitätischer und ökologischer Mitbestimmung“ statt  ■  Von Martin Kempe

Berlin (taz) - Nun wollen sich die Grünen doch mit einem eigenen Gesetzentwurf in die Debatte um die Betriebsverfassung einmischen. Und wenn es nach einer unter Regie des grünen Bundestagsabgeordneten Eckard Stratmann ausgearbeiteten Vorlage geht, werden die Grünen noch im Herbst zur Attacke gegen die Vorherrschaft des Großkapitals angehen. Heute findet in Bonn ein Hearing der grünen Bundestagsfraktion zum Thema „überparitätische und ökologische Mitbestimmung“ statt. Auf diesem Hearing dürfte sich allerdings zeigen, daß es weder unter den Experten noch innerhalb der Fraktion Einigkeit über den zur Debatte stehenden Gesetzentwurf aus dem Büro Stratmann gibt.

Montan-Gesetz läuft aus

Äußerer Anlaß für die Ausarbeitung des Gesetzentwurfs war ein Datum: am 31.12.'88 läuft das Gesetz zur Montanmitbestimmung aus, das für die Stahl- und Kohleindustrie eine paritätische Besetzung des Aufsichtsrats plus einem neutralen Mitglied vorsieht. Die Koalitionsfraktionen und die Sozialdemokraten haben sich schon vor längerer Zeit auf eine Verlängerung der geltenden Regelungen verständigt und werden einen entsprechenden Gesetzentwurf im Herbst durchs Parlament bringen. Heftig umstritten ist zwischen ihnen lediglich der Bereich „betriebliche Mitbestimmung“, in dem Wahlmodus, Zusammensetzung und Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte geregelt werden.

Der von Stratmann vorgelegte Gesetzentwurf dagegen setzt wie die Montangesetzgebung bei der Unternehmensverfassung an. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen von Rheinhausen als sich die Stillegungsstrategie des Krupp-Konzerns trotz paritätischer Mitbestimmung gegen alle Proteste der Belegschaft durchsetzte - ist Stratmann zu der Überzeugung gekommen, daß die Montanmitbestimmung nicht ausreicht, um die Interessen der Beschäftigten zu wahren. Letztendlich könne bei der derzeitigen Regelung auch dann noch das Kapitalinteresse durchgesetzt werden, wenn das neutrale Aufsichtsratsmitglied sich auf die Seite der Arbeitnehmer stelle. Denn durch Beschluß der Hauptversammlung könne das mehrheitliche Votum des Aufsichtsrats wieder aufgehoben werden.

Stratmann und seine Experten schlagen deshalb eine „überparitätische Mitbestimmung“ vor - und zwar nicht nur für den immer kleiner werdenden Montanbereich, sondern für alle Großbetriebe ab 1.000 Beschäftigten. In diesen Betrieben soll ein 20köpfiger Aufsichtsrat installiert werden mit je zehn VertreterInnen von Kapital und Arbeit. Der Vorsitz ist mit doppelter Stimmzahl ausgestattet und soll grundsätzlich von der Beschäftigten-Seite gestellt werden: Im Konfliktfall bei Stimmgleichheit hat also anders als derzeit - die Arbeitnehmerseite die Nase vorn. Ein rücksichtsloser Stillegungsbeschluß wie in Rheinhausen, so Stratmann zur taz, wäre dann nicht mehr möglich.

Einbeziehung des

Umweltschutzes

Aber es geht dem Gesetzentwurf nicht nur um die Interessen der Beschäftigten, sondern auch um eine institutionell abgesicherte Einbeziehung des Umweltschutzes in das betriebliche Geschehen. Analog zum derzeit schon bestehenden „Arbeitsdirektor“ in Montanbetrieben soll es in Zukunft ein Vorstandsmitglied geben, das für Umweltschutz zuständig ist. Außerdem sollen Arbeit und Kapital jeweils zwei Vertreter des Umweltinteresses als betriebsexterne Mitglieder in den Aufsichtsrat entsenden, um auch auf dieser Ebene die ökologischen Interessen, die bei den reinen Sozialpartnern nicht immer gut aufgehoben sind, im Unternehmen zu institutionalisieren. Schließlich soll es noch einen vom Betrieb finanzierten, aber von der zuständigen Landesbehörde entsandten „Umweltbeauftragten“ im Betrieb geben, der als beratendes Mitglied den Vorstand berät, alle Umweltbelange im Betrieb überwacht und koordiniert sowie jährlich einen öffentlichen Umweltschutzbericht vorlegt. Um die Betriebsräte in den betrieblichen Umweltschutz einzubinden, ist als vierte Ebene die Bildung eines „Umweltausschusses“ vorgesehen, der paritätisch mit Unternehmensvertretern und Betriebsräten besetzt wird.

Innerparteiliche Diskussion

nicht abgeschlossen

Stratmann selbst räumt ein, daß die Diskussion in der grünen Fraktion noch nicht abgeschlossen ist. Dies muß wohl so sein: Der grüne Bundestagsabgeordnete Ulrich Briefs kritisiert, der vorliegende Gesetzentwurf basiere trotz aller negativen Erfahrungen der Vergangenheit mit den korrumpierenden Wirkungen von Aufsichtsrats- und Vorstandsmandaten auf dem traditionellen Konzept der Montanmitbestimmung. Er favorisiert statt dessen eine deutliche Erweiterung der Mitbestimmungsrechte für Betriebsräte: deren direkte Anbindung an die Belegschaft und die Nähe zu den gewerkschaftlichen Strukturen im Betrieb eröffne eine größere Politisierungschance auch für betriebliche Umweltprobleme. Der Realo-Grüne Hubert Kleinert sieht auf Grund der überparitätischen Besetzung des Aufsichtsrats den „verkappten Sozialismus“ heraufziehen. Und der eigentlich für den Bereich Sozial- und Gewerkschaftspolitik zuständige Sprecher der grünen Fraktion, Willi Hoss, befindet sich derzeit auf Reisen in Polen.