Auch Olympia bringt ihnen keine Amnestie

■ In Südkorea gibt es immer noch rund 700 politische Gefangene / Von Jürgen Kremb

Noch drei Tage, dann wird in Seoul das olympische Feuer angezündet. Im dunkeln bleiben die 700 Südkoreaner, die wegen ihrer Opposition gegen das abgelöste Militärregime weiter im Knast sitzen. Viele sind gefoltert worden. Den meisten hat man ihre Kontakte zum verfeindeten Nordkorea, ihre Bemühungen um eine Wiedervereinigung beider Länder, als Spionage ausgelegt. Oppositionsführer Kim Dae-Jung hofft im taz-Interview auf eine weitere politische Liberalisierung nach den Olympischen Spielen. Die Angehörigen der politischen Gefangenen sind dagegen skeptisch.

Die alte Frau bittet nicht, sie fleht mich an: „Könnt ihr uns im Ausland denn gar nicht helfen? Vielleicht eine Kampagne organisieren?“ Sie wirkt hoffnungslos. Seit drei Jahren, sagt Choi In-Pah, lebt sie täglich mit der Angst, daß Polizeibeamte an der Haustür klingeln und ihr mitteilen: „Heute haben wir die Todesstrafe gegen ihren Sohn vollstreckt.“ Ihr Sohn gehört zu den politischen Gefangenen in Südkorea, die selbst bei einer Amnestie wenig Hoffnung auf Freilassung haben. Denn der 32jährige Kim Soong-Man wurde im Juni 1985 unter dem Vorwurf verhaftet, für den Norden spioniert zu haben. „Tod durch den Strang“, lautete das Urteil, das im August 1985 die südkoreanische Studentenszene schockierte.

Die Opposition vor jedem eigenständigen Kontakt mit Nordkorea abzuschrecken - das will die südkoreanische Justiz mit der „konstruierten Anklage gegen die angeblichen Landesverräter“, sagt eine Sprecherin der Menschenrechts -Organisation „Min-Ga-Hyup“ (Demokratischer Familienverband). Dieser Zusammenschluß, im Dezember 1985 gegründet, gehört heute zu den einflußreichsten Menschenrechtsgruppen in Südkorea. Die meisten Mitglieder und AktivistInnen sind Mütter oder Ehefrauen von politischen Gefangenen. Sie treten bei Prozessen auf und organisieren Demonstrationen. Zumindest die „Partei für Frieden und Demokratie“ des südkoreanischen Oppositionsführers Kim Dae -Jung engagiert sich für die Belange von Min-Ga-Hyup. Auf knappe 700 wird die Zahl der politischen Gefangenen wenige Tage vor den olympischen Spielen geschätzt.

Etwa fünfzig von ihnen, so schätzt der Zusammenschluß der Familienmitglieder der Inhaftierten, sind nach den nationalen Sicherheitsgesetzen wegen angeblicher Spionage für den feindlichen Bruder verurteilt.

„Spionage-Fall der Studenten in den USA“, nannte die südkoreanische Presse 1985 die Verhandlung, in der neben Kim Soong-Man noch 13 weitere Hochschüler angeklagt waren. Ihre Verbrechen: Sie hatten sich bei ihren Auslandsstudienaufenthalten mit Auslandskoreanern getroffen und über Wiedervereinigung debattiert - damals noch ein Tabuthema für die Seouler Regierung. Kim selbst war während eines Europaaufenthalts nach Ungarn gereist und hatte Kommilitonen aus dem anderen Korea getroffen. Sein Leidensgenosse Yang Dong-Ha (31) besuchte von Japan aus das Reich von Kim Il-Song. Obwohl die beiden ausdrücklich betonten, daß sie keine Kommunisten, sondern lediglich Nationalisten, seien, so die jüngere Schwester von Yang, wurden beide zum Tode verurteilt. „Die schlimmste Folter geschieht in diesen Fällen erst nach dem erzwungenen Geständnis“, sagt Chang Su-Hyang. „Denn auch vor dem Richter müssen die Geschichten der Gefangenen zusammenpassen, selbst wenn sie sich nie vorher gesehen haben.“ Die Frau im mittleren Alter weiß, wovon sie spricht. Ihr Mann, der systemkritische Mathematiker An Chai-Gu (55), wurde 1979 zusammen mit 73 anderen Dissidenten als angeblicher Spion für den Norden zu lebenslanger Haft verurteilt. Ihnen wurde in den letzten Tagen des Regimes von Diktator Park Chung-Hee vorgeworfen, eine „Südkoreanische Befreiungs-Front“ gegründet zu haben. Eine Organisation, die nach Ansicht von „amnesty international“ nie existiert hat. Elf der Angeklagten sind bis heute in Haft.

„Wie sollen wir noch Hoffnung haben“, klagt Kim Geum-Sook, ein anderer Menschenrechtsaktivist. „Der letzte Präsident Chun Doo-Hwan nannte Park Chung-Hee seinen Vater, und Roh Tae-Woo wiederum wurde von Chun ernannt.“ Kims Bruder, Kim Chong-Sam (40) wurde noch zusammen mit Kim Byung-Koon (68) als Mitlgied in der vermeintlichen Befreiungsfront zu 15 Jahren Haft verurteilt. Beide sind zuvor schwer gefoltert worden. Ihr Gesundheitszustand ist nach Auskunft der Verwandten schlecht.

Daß diese Praktiken im Olympialand Südkorea immer noch üblich sind, meint Yoong Hyi-Kyong - ihr Mann Chang Eui-Kyun (39) wurde noch im September 1987 zu acht Jahren Haft verurteilt - obwohl der jetzige Präsident Roh Tae-Woo drei Monate zuvor sein Demokratisierungsversprechen abgegeben hatte, wurde auch Chang zum Spion des kommunistischen Nordens gestempelt. Als Südkoreas Hauptstadt Seoul während der Studentenunruhen im Tränengas zu ersticken drohte, hatte Chang versucht, mit anderen Oppositionellen gemeinsam ein politisches Forschungsinstitut zu eröffnen. Fünf Tage bevor seine Freunde die Eröffnungsparty feiern konnten, klickten bei Chang Eui-Kyun die Handschellen zu.

Chang Eui-Kyun leitete in den vergangenen Jahren in Seoul einen Buchladen. Daneben kümmerte er sich nach Angaben seiner Frau um „städtische Arme“, die Slumbewohner der südkoreanischen Hauptstadt. Danach hatte er für einige Monate die „Korea-Universität“ in Japan besucht, wo Studenten aus beiden Teilen des Landes gleichberechtigt studieren. Auch der Oberste Richter Südkoreas, Lee Yil-Kyu, der im Juli mit den Stimmen der Opposition im Parlament gewählt wurde, hat es vor kurzem abgelehnt, Changs Fall wieder aufzunehmen.

„All das Gerede von Olympia und Demokratisierung“, sagt seine Frau resigniert, „ist solange leeres Geschwätz, bis es faire Prozesse gibt und endlich die Folter abgeschafft ist.“