Keine Schubladen, keine Schranken

■ WOMEN IN (E)MOTION: Portrait der amerikanischen Jazz-Pianistin Amina Claudine Myers, die aus der Gospel-Tradition kommt und heute abend in der Schauburg spielt

Sie mag keine Schranken, keine Rassenschranken, keine geschlechtsbedingten Schranken und keine musikalischen Schranken. Sie mag alles nicht, was die Kreativität, die Offenheit und Selbstbestimmung eines Menschen einschränken könnte. Deshalb mag sie eigentlich auch keine Kategorisierung ihrer Musik: „Ich mag diese Schubladen nicht, ich bin offen für alle musikalischen Einflüsse, wenn sie kreativ wirken, Grenzen überwinden.“

Wer ihrer Musik zuhört, merkt schnell, daß diese Auffassung nicht Beliebigkeit bedeutet, sondern Vielfältigkeit. Nicht eine konturlose Mixtur a la „für jeden Geschmack etwas“, sondern Tiefe ist das Resultat.

Befragt nach ihren wichtigsten musikalischen Einflüssen, erklärt sie lächelnd: „Das waren vor allem mein Großonkel, der selber Musiker war und mir ein Gefühl für Rhythmus beibrachte und natürlich die Kirche, Gospelmusik. Meine Familie war sehr religiös, wir gingen jeden Sonntag in die Kirche.“

So sang sie schon früh in Gospelgruppen mit. Aus dieser Zeit rührt auch ihr Interesse an der Schauspielerei, denn zu den kirchlichen Feiertagen wurden immer religiöse Stücke aufgeführt, und sie erinnert sich, daß sie da immer gerne mitgemacht hat. Sie würde auch heute gerne mehr Aktivitäten in dieser Richtung entwickeln, aber es fehlt an interessanten Angeboten. Die Rolle in dem Theaterstück „Primitive World“ von Amiri Baraka hat ihr jedenfalls Spaß gemacht, sagt sie.

Mit sieben Jahren fing sie an, Klavierunterricht zu nehmen. Spielte dann als Pianistin oder Organistin in Gospelgruppen mit und leitete auch bald einen eigenen Gospelchor während ihrer College-Zeit.

Ansonsten fühlt sie sich beeinflußt „von allem, was ich damals im Radio hörte, wir spielten das alles nach Gehör nach, denn Musik kaufen konnten wir uns damals nicht.“ Ein wichtiger Einfluß war natürlich auch die AACM (Association for the Advancement of Creative Musicians) in Chicago, der sie noch heute angehört und von der es in New York eine Art Lokalgruppe gibt. Die AACM ist eine Selbsthilfeorganisation schwarzer MusikerInnen. Amina war eine der

wenigen weiblichen Mitglieder, die Auftrittsmöglichkeiten für improvisierte Musik organisierten und sich gegenseitig unterstützten.

Sie empfand aber auch schon immer eine Beziehung zur europäischen klassischen Musik. Vor allem Chopin mag sie, aber auch Mozart, Beethoven und Bach. Neben den Klavierkompositionen besonders die Chor-beziehungsweise Choralmusik. Sie selbst arbeitet gern und viel mit Gesang, gerade auch in ihren größeren Kompositionen. So hat sie zum Beispiel eine „Improvisitional Suite for Chorus, Pipe Organ and Percussion“ für 19 SängerInnen und MusikerInnen geschrieben. Eine neuere Komposition ist das Stück „When the berries fell“, eine - atonale - „Odyssee durch die Welt der Musik für ein elfköpfiges Ensemble“, so der Untertitel. Geschrieben für acht Stimmen, zwei PerkussionistInnen, Klavier und Orgel.

Im Rahmen ihres Studiums hat sie auch klassisches Piano studiert. Zur Zeit arbeitet sie an einer größeren Komposition für ein vollständiges Symphonie-Orchester. Experimentierfreude und Kreativität scheinen ohnehin ihre hervorstechendsten Eigenschaften zu sein. So hat sie auch schon ein Musical geschrieben in zeitgenössischer Musik und arbeitet auch mit Tanzimprovisationen und Performances.

Diese Experimentierfreude und dieses Nicht-festgelegt -werden-Wollen spiegelt sich auch in den einzelnen Stücken wider. Ihre Verbundenheit mit der Tradition ist unüberhörbar, aber sie nutzt die Freiheiten der improvisierten Musik, um diese Tradition lebendig zu erhalten. Nicht die Konservierung ist ihre Sache, sondern die Weiterentwicklung. „Man muß sich weiterentwickeln, Grenzen überwinden, sonst geht die Kreativität verloren. Zu viele Leute sind einfach zu bequem, sie schalten das Radio ein und akzeptieren alles, was rauskommt“.

Diese Suche nach Neuem, die Vielfältigkeit, führt bei Amina Claudine Myers aber keineswegs zur Überfrachtung oder dem Versuch, alles miteinander zu verbinden. Im Gegenteil: Ihre Kompositionen sind immer klar strukturiert, erscheinen beim ersten Hören oft liedhaft einfach und entwickeln erst beim mehrmaligen Zuhören ihre eigentliche Tiefe.

Amina Claudine Myers ist nicht nur eine virtuose Pianistin und Komponistin: Ich durfte auch feststellen, daß sie eine sehr freundliche Frau ist, ohne Allüren und klug dazu, und so ist auch ihre Musik.Sie spielt heute abend noch einmal Im Rahmen des WOMEN IN (E)MOTION-Festivals mit den Trios von Jeanne Carroll und Dorothy Donegan.

Arnaud

Schauburg, 20 Uhr.