piwik no script img

Überflieger Scholz im Sturzflug

Nach 100 Tagen Hardthöhe will sich Verteidigungsminister Rupert Scholz den Spaß an der Politik durch Ramstein und Nörvenich nicht vergällen lassen / Unbeleckt von Selbstzweifeln versucht er, trotz seines ramponierten Images in der Öffentlichkeit vor JU zu glänzen  ■  Von Johannes Nitschmann

Düsseldorf (taz) - Geradezu dankbar greift Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz (CDU) in der miefigen Stadthalle von Minden-Lübbecke die Parole seines Vorredners auf. „Politik muß Spaß machen!“, hatte der JU -Landesvorsitzende Roland Pofalla vor dem nordrhein -westfälischen CDU-Nachwuchs lauthals verkündet. „Und uns macht es immer Spaß, manche merken es nur nicht“, ruft Scholz den rund 400 Delegierten der Jungen Union zu, als er mit sportlich-schnellen Schritten das Rednerpult erklimmt. Da gäbe es schließlich noch diese Bonner Opposition („Die sind keine Alternative zu uns, die sind allenfalls alternativ“), die dieser Regierung immer wieder die Freude an der Politik vergällen wollen: „Dabei greifen die sogar zum Rufmord“, platzt der selbsternannte Spaßvogel Scholz unvermittelt heraus, sichtlich erregt und mit unverkennbarem Berliner Slang.

Eher beiläufig sagt der Minister dann etwas von „Würde und Respekt gegenüber den Toten“, ehe er schließlich lostobt: Eine „würdelose, in jeder Beziehung unanständige“ Kampagne hätten SPD und Grüne gegen ihn in den letzten Tagen nach den Ereignissen von Ramstein und Nörvenich losgetreten. Da seien Tote und Schwerverletzte „in billige parteipolitische Profilierung umgemünzt“ worden, empört sich der nach der Katastrophe von Ramstein politisch arg in die Defensive geratene Verteidigungsminister, „um all das in Frage zu stellen, was im Kern unsere Sicherheit ausmacht“.

Lektion des Polit-Professors

Den Kritikern von Ramstein und Nörvenich - klärt der Verteidigungsminister die ihm andächtig lauschenden CDU-Kid am Wochenende auf - gehe es in Wahrheit gar nicht allein um die Abschaffung von Kunst- und Tiefflügen; nein, die wollten gleich unser ganzes Sicherheitssystem samt Bundeswehr abschaffen. „Da gibt es Leute, die sagen, der Gorbatschow ist doch friedlich, der will doch gar keinen Krieg. Ich sage Ihnen, diese Haltung führt in der Konsequenz zur politischen Erpresbarkeit“, doziert Scholz im Stile eines Jugend -Offiziers vor einer Hauptschulklasse. Entsprechend simpel, aber eindeutig sind seine Feindbilder: „Die Invasionsfähigkeit des Warschauer Pakts besteht unverändert fort. Solange die Aufrüstung dort anhält, bleibt die Forderung nach einem 'gemeinsamen europäischem Haus‘ leeres Gerede“, donnert der Minister mit leicht bebender Stimme in den Saal.

Der schneidige Jurist mit der Berliner Schnauze gestattet sich auch nach der Katastrophe von Ramstein nicht einmal einen Anflug von Selbstzweifeln, geschweige denn Selbstkritik. Selbstgerecht weist er die auch in seinen eigenen Reihen immer lauter werdende Kritik an seiner Person zurück: „Irgendwelche Vorwerfbarkeit persönlicher Art“ sei „absolut unbegründet“. Als es einige Journalisten später auf einer Pressekonferenz etwas genauer wissen wollen als die jungen CDU-Jubelperser drinnen im Saal, da vergeht dem Bundesverteidigungsminister endgültig der Spaß: „Nun versucht man sozusagen das furchtbare Ereignis von Ramstein gleichsam nach Nörvenich zu verpflanzen, um aus durchsichtigen parteipolitischen Motiven heraus Leute kritisieren zu können.“

Selbst Stahlhelm-Flügel

vergrätzt

Was ihm der CDU-Nachwuchs an Kritik in Sachen Nörvenich erspart, hat Scholz in den letzten Tagen gerade von führenden Vertretern der Bonner Unionsfraktion einstecken müssen: da schimpfte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Alfred Biehle (CSU), öffentlich darüber, daß der Verteidigungsminister nach Bekanntwerden des Nörvenicher „Tingeltangels“ die verantwortlichen Militärs nicht umgehend beurlaubt habe. Und selbst der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU -Bundestagsfraktion, ein eingefleischter Anhänger des „Stahlhelm„-Flügels, sagte vor laufenden Kameras, „der Zustand der Unerträglichkeit“ müsse beendet werden, und verlangte von Scholz noch in dieser Woche „definitive Konsequenzen“.

Mit ihrer zum Teil überraschend lautstark vorgetragenen Kritik stehen die konservativen Verteidigungspolitiker in Übereinstimmung mit vielen Militärs. Die sehen die in der Truppe so hochgehaltenen Alibi-Tugenden wie „Würde und Respekt“ durch das Nörvenicher Zechgelage fundamental verletzt. Für den verteidigungspolitischen Nobody Scholz, der bei den Militärs über keinerlei Stallgeruch verfügt, wird das politische Krisenmanagement nach Ramstein dadurch noch erschwert.

Der Verteidigungsminister ist wie sein großes Vorbild Helmut Kohl kein Mann des Details, eher ein grobschlächtiger Generalist, der es mit den Fakten nicht immer so genau nimmt. Noch heute wirft er die Uhrzeiten über die Abfolge der Flugtage in Ramstein und Nörvenich - selbst nach verzweifelten Zurufen seiner Mitarbeiter - wild durcheinander. In der jüngsten Sitzung des Bonner Verteidigungsausschusses mußte der sichtlich ahnungslose Minister nach Angaben von Ausschußmitgliedern in Sachen Ramstein und Nörvenich annähernd 100 Fragen offen lassen.

Solch peinliche Wissenslücken verschlagen dem arroganten Professor keineswegs die Sprache. „Je unwissender er ist, desto mehr redet er sich in Rage“, sagen Parteifreunde über den ungeliebten „Überflieger“ Scholz, der Politiker und Journalisten zumeist in schneidigem Ton wie Examenskandidaten abbügelt.

Vor allem eine Frage hört der Minister in diesen Tagen überhaupt nicht gern: Hat das Bundesverteidigungsministerium in seinen Versicherungen gegenüber den Verwaltungsgerichten in Köln und Münster - hier hatten besorgte Bürger versucht, den umstrittenen Nörvenicher Flugtag per Einstweiliger Verfügung zu verhindern, womöglich wider besseres Wissen die Unwahrheit gesagt, als er Kunstflüge und Luftakkrobatik, entgegen dem tatsächlichen Programm - definitiv ausgeschlossen hatte? Hat Minister Scholz hier - wie ihm die Grünen Bundestagsabgeordnete Gertrud Schilling vorwirft „einen Meineid geleistet“?

Der Verteidigungsminister, der zwischendurch selbst einmal offenbart, „nur ein begrenzter Kenner der ganzen Materie“ zu sein, sucht rhetorisch zumeist die Offensive, redet sich zunehmend um Kopf und Kragen: „Bis Ramstein“, behauptet er allen Ernstes in deutlichem Widerspruch zur Aktenlage seines Hauses, „bis Ramstein sind Kunstflüge in dieser Republik kein Thema gewesen.“ Und: „Wer heute behauptet, daß da vielleicht jemand aus dem Verteidigungsministerium hätte hergehen und vielleicht Kunstflüge verbieten müssen, der geht an der Realität vorbei.“

Und Scholz an der Wahrheit. Sein persönlicher Briefwechsel mit dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau (SPD) über den umstrittenen Großflugtag in Nörvenich belegt genau das Gegenteil. Originalton Scholz Mitte Juli 1988: „Es ist eine regelmäßig wiederkehrende Erfahrung meines Hauses, daß sich vor derartigen Veranstaltungen Bürgergruppierungen, aber auch Mandatsträger voller Bedenken an die Organisatoren wenden, wobei die Fragen nach etwaigen Sicherheitsrisiken angesichts der großen Besucheraufkommen im Mittelpunkt stehen.“

Und die vollmundigen Versicherungen des Verteidigungsministeriums gegenüber den Gerichten, es werde in Nörvenich keine Kunstflüge geben? Auch da ist sich Scholz plötzlich nicht mehr so sicher, räumt überraschend ein, „daß es da Fragen gibt; Fragen, die ja unbestreitbar da sind“. Nicht etwa aus seinem eigenen Hause, sondern von dem von der Opposition beantragten parlamentarischen Untersuchungsausschuß zu Ramstein erwartet Scholz jetzt eine klare Definition des Kunstfluges, die „außerordentlich schwierig“ sei.

So viel immerhin hat der Minister in seinen etwas über 100 Tagen auf der Hardthöhe schon gelernt: jeder Pilot der bundesdeutschen Luftwaffe müsse im Rahmen seiner Ausbildung „selbstverständlich einen Looping fliegen können“, andererseits gebe es bei dieser Übung jedoch „Phasen, von wo an Formen des Loopings plötzlich Kunstflug sind“. Unterdessen hat der tollkühne Pilot-Artist längst zum politischen Sturzflug angesetzt, wenngleich er sich öffentlich selbst noch immer Mut macht: „Politik muß Spaß machen, sonst ist man nicht erfolgreich.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen