Der Reinfall ist unser

■ Mit einer neuen Leitung sollte ein neuer Wind in Bremerhavens Theater einziehen: Die Premiere von „Don Carlos“ war aber eher ein provinzielles Fiasko

„Don Carlos“ in Bremerhaven - das waren vier Stunden Langeweile bis auf einen Knall zehn Minuten vor Schluß, der das Publikum aus dem Schlummer riß, eine unfreiwillige Pointe, aber kein „finaler Rettungsschuß“, wie bissige Stimmen flüsterten, denn an dieser Inszenierung war nichts mehr zu retten, und am Boden lag am Ende nicht nur der Marquis, sondern der Ruf des Theaters.

Rainer Steinkamp, neuer Oberspielleiter, gab mit diesem Fiasko seinen Einstand. Er läßt in einem kargen Raum spielen, mit weißen Wänden und Durchlässen zu allen Seiten, die je nach Bedarf verschieden weit geöffnet werden können. Eine offene Bühne, in dem Licht den Wechsel von Ort und Tageszeit anzeigt. Dieses strenge und abstrakte Bild, aufgelockert durch die Farben der Kostüme, zwingt alle Aufmerksamkeit auf Körperspiel und Sprache der Darsteller.

Steinkamp stellt seine Figuren in einen fahlen Raum, und läßt sie

dort - buchstäblich - stehen. Die Darsteller bewegen sich steif und verkrampft, die Gesten wirken hilflos theatralisch, die Worte werden deklamiert. Hanno Wingler als Philipp der Zweite zeigte weder die Kälte noch die Wärme des einsamen Herrschers. Er bemühte sich am Anfang redlich, dem König Format zu geben, wurde aber zusehends schwächer und unsicherer und verzichtete schließlich auf Gestaltung seiner Rolle. Ines Arndt als seine Gemahlin Elisabeth blickte mit grimmigen Gesicht in die Runde. Die kluge, die leidende, die aufs private Glück verzichtende Frau, nichts davon war ihr anzusehen. Blaß blieben auch die anderen: Prinzessin von Eboli (Laura Gee Temeltas) war ein Naivchen vom Lande, aber keine böse und verletzte Intrigantin, Posa (Peter Singer) ein edler Mensch, mit viel Qual im Gesicht. Sie spielten gequält und verkrampft, unbeholfen und eckig, der Reinfall war eine Gemeinschaftsleistung. Kai Tie

demann als Carlos mußte permanent den Mund verrenken, offensichtlich als überdeutliches Zeichen gedacht, um das große, nach Liebe suchende Kind zu signalisieren. Überdeutlichkeit war ein Merkmal dieser Inszenierung. Sie wirkte penetrant und ersetzte nicht die fehlende Spannung. Ewald Fürst, seit einem Jahr erfolgreich als Woody Allen auf der Bühne des Kleinen Hauses, scheute sich nicht, den finsteren Alba komödiantisch zu geben. Es war eine angenehme Abwechslung. Er wirkte wie Woody, der sich in ein schlechtes Schiller-Spektakel verirrt hat.

Ein noch nicht zusammengewachsenes Ensemble aus alten und neu verpflichteten Schauspielern entledigte sich der viel zu schweren Aufgabe wie einer lästigen Pflicht, lustlos. Die Inszenierung gleitet ohne Phantasie dahin,

nur am Schluß, gibt es ein sinnfälliges Bild: durch alle geöffneten Tore treten Männer der Kirche mit dem Inquisitor und Philipp an der Spitze auf den verratenen Infanten zu. Aber da war das Spiel schon verloren.

Werner Schröters Bremer „Carlos„-Inszenierung setzt auf die Geschichte der Leidenschaften und macht die Emotionen sinnlich sichtbar, bei Rainer Steinkamp wird Schiller zum staubtrockenen Klassiker, dessen Freiheitspathos hohl klingt. Ist es legitim, von einer Kleinstadt-Bühne mehr zu erwarten? Wenn nicht, dann müßte der Kritiker vergessen, was er auf dieser Bühne schon gesehen hat. „Don Carlos“ sollte ein Neuanfang sein. Es war - im besten Fall - ein peinliches Intermezzo.

Hans Happel

16., 22., 29.9, 19.30 Uhr