„Von humanem Vollzug keine Spur“

■ Justizsenator Rehlinger weist Vorwürfe der ÖTV über Mißstände in der JVA Tegel zurück / Bedienstete fühlen sich total überfordert / Drogenhandel und Schlägereien gehören zum Alltag

Justizsenator Rehlinger hat gestern die Vorwürfe der ÖTV über eine Zunahme von Straftaten in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel zurückgewiesen. Wie berichtet, hatte die ÖTV verheerende Mißstände durch Drogenhandel und Gewalttaten beklagt, die durch zunehmenden Personalmangel auch nicht eingedämmt werden könnten. Um das Drogenproblem in den Griff zu bekommen, erklärte Rehlinger, habe man eine besondere Sicherheitsgruppe gebildet und wirke mit gezielten Kontrollen gegen die Rauschgiftkriminalität.

Bedienstete der JVA Tegel sehen das allerdings anders. „Es gibt eine richtige Drogenmafia, Schlägereien und Gewalt bis hin zu Morddrohungen. Niemand kümmert sich um die Leute. Ich habe auch keine Zeit. Ich soll 120 Inhaftierte gleichzeitig beaufsichtigen und betreuen, aber das ist völlig unmöglich. Von humanem Strafvollzug kann keine Rede sein.“ So lautet nur eine von zahlreichen Aussagen, mit denen die in der ÖTV organisierten JVA-Beschäftigten ihre Arbeitssituation im größten Knast Berlins beschreiben. Verantwortlich für die unhaltbaren Zustände machen sie die Anstaltsleitung und fordern personelle Konsequenzen in der Führungsgruppe.

Bislang bemüht sich die Senatsverwaltung allerdings wenig erfolgreich, Arbeitssuchende für die offenen Stellen zu finden. So müssen derzeit zum Beispiel in der Teilanstalt III für sogenannte Schwerstkriminelle nur drei Vollzugsbeamte die Aufsicht über 314 Knackis leisten. „Jeder Betreuungs- und Sicherheitsanspruch wird dabei zur Farce“, erklärt ÖTV-Sprecher Gerstner. Rechne man den hohen Krankenstand der überlasteten Bediensteten mit, so seien rund 25 Prozent der Stellen im Vollzugsdienst unbesetzt, betont er. Sollte der Senat weiterhin untätig bleiben, befürchtet die ÖTV noch miserablere Knastverhältnisse. Denn die Anstaltsleitung plane statt einer Verbesserung der Arbeitsverhältnisse, eher den Freigang der Gefangenen einzuschränken, um eine Aufsicht zu gewährleisten. Diese Konsequenz halten die Vollzugsbeamten jedoch für fatal: „Die Leute werden dann zu Recht noch aggressiver, und wir müssen noch mehr Überstunden machen, wenn sie in den Zellen randalieren.“

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