Angola gewöhnt sich an den Frieden

Nach dem Waffenstillstand mit Südafrika blickt Angola in eine ungewisse Zukunft / Der Südwesten ist fest in der Hand der Kubaner / Nachschubweg für Waffen an die Unita-Rebellen immer noch offen / Südafrikaner fraternisieren mit angolanischen Soldaten / Der erste „kommerzielle Lkw“ wird freudig begrüßt  ■  Aus Angola Knut Pedersen

Der aufgewirbelte Sand verdeckt den Himmel, als die Antonov -26-Maschine schwerfälllig ans Ende der Landebahn rollt. Zum ersten Male seitdem - im vergangenen Juni - der Militärflughafen von Cahama zum Stützpunkt für MIG-23 ausgebaut wurde, haben die kubanischen Militärs ausländische Journalisten zugelassen. Im Süden Angolas, nur knapp 120km nördlich der namibischen Grenze, ist solche Vorsicht verständlich, zumal der Caham-Stützpunkt das militärische Kräfteverhältnis entscheidend verändert hat: Seitdem hier MIG-23 aufsteigen, ist die südafrikanische Luftüberlegenheit nicht mehr unbestritten. Vor Ort wird einem rasch deutlich, warum: In Zweiergruppen wirbeln ein Dutzend Bomber durch den Himmel, dröhnen im Tiefflug über die Baumsteppe und steigen senkrecht in den azurblauen Himmel, vor dem sich die rotpunktierte Linie ihrer glühenden Reaktoren als „ästhetischer“ Kontrast abhebt.

„Das sind nur Trainingsflüge“, erklärt im typisch nonchalanten Singsang der Zuckerinsel ein kubanischer Offizier. „Wir bilden angolanische Piloten aus. Wie sie sehen, haben die das kaum noch nötig.“ Einige Minuten später landen - erneut paarweise - die Kampfflugzeuge auf den beiden parallelen Pisten, die auf 2.400 Meter Länge ausgebaut wurden. Ein angolanischer Pilot klettert aus dem Cockpit und kommt uns auf dem makellosen Asphalt grüßend entgegen. Seine kubanischen Kollegen ziehen einen diskreten Abtritt vor.

Kubaner kontrollieren

Südosten

Wieviele Kubaner sind heute in Angola stationiert? Niemand weiß das so genau, auch wenn dieser Tage Südafrikas Außenminister Pik Botha und der Rebellenführer Jonas Savimbi im Brustton der Überzeugung von „mehr als 60.000 Kubanern“ gesprochen haben - und sich Luanda und Havanna über die genaue Zahl ausschweigen. Auf beiden Seiten wird mit der kubanischen Militärpäsenz Politik gemacht. Sicher ist nur, daß sie Ausmaße angenommen hat, die am 5.November 1975 niemand vorausahnen konnte: Damals, eine Woche vor der formellen Unabhängigkeitserklärung der „Volksrepublik Angola“, landeten die ersten vier kubanischen Militärflugzeuge in Luanda. Sie haben das - nicht nur politische Überleben - der MPLA-Genossen in einer Hauptstadt gesichert, die von revalisierenden Befreiungsbewegungen und zwei südafrikaischen Panzerkolonnen bereits hoffnungslos eingekesselt schien.

Die Kubaner kontrollieren heute alles und jeden im Südwesten Angolas: Sie bauen in Schützengräben eingelassene Unterkünfte nahe des Cahama-Stützpunktes, dirigieren die zahllosen Militärkonvois, verteilen Panzer und Hubschrauber entlang der „dreckigen Front“ und kontrollieren die beeindruckend bestückten Luftabwehrhorte. Schwedische Kollegen, die hier vor zehn Wochen an die Grenze fahren wollten, wurden von einem kubanischen Unteroffizier diskussionslos zurückgeschickt, obgleich sie eine vom stellvertretenden angolanischen Verteidigungsminister unterzeichnete Erlaubnis vorweisen konnten. „Das kümmert mich einen Dreck, solange ich keine Anweisungen von meinen eigenen Vorgesetzten habe“, erklärte ihnen ohne ausschweifende Freundlichkeit der Kubaner. Eine zumindest martialische, wenn nicht beunruhigende Auslegung des angolanischen Souveränitätsrechts im eigenen Land...

Dreizehn Jahre gemeinsamen Kampfes und durchlebten Militäralltags haben zwischen kubanischen und angolanischen Soldaten zu einem illusionslosen Miteinander geführt, das an eingespielte Paare erinnert. So sind es die Kubaner z.B. gründlich leid, auf allen Wegen ohne Werkzeugkasten gestrandete, angolanische LKWs zu reparieren: Sie fahren unbekümmert weiter und ernten dafür unzweideutig erboste Gesten. Davon aber spricht niemand mehr, wenn man sich abends zu endlosen Palavern trifft, sich wechselseitig Lieder beibringt und eine alte Gitarre strapaziert. Angesichts fremder Gesichter bleibt die gefährliche Hälfte der Menschheit an diesem Abend zunächst im Hintergrund des Saals. „Claro hombre - wir lieben angolanische Frauen“, johlt schließlich ein junger Kubaner. Und für den Rest der Nacht wird fraternisiert...

Der Südwesten Angolas lebt den unsicheren Frieden der ersten Woche. Inmitten endloser Sandsteppe klammern sich Zivilisten wie Soldaten an die Anzeichen eines Friedens, von dem die meisten nur den Namen kennen. Mit kindischer Freude wird der „erste kommerzielle LKW“ begrüßt: ein schnaufender Holzlaster, über dessen Ladefläche drei ausgemergelte Rinder tanzen. Aber von Zeit zu Zeit verstärken radelnde Dörfler den Glauben an die Ruhe, die endlich eingekehrt ist. Auch die Frauen wandern erneut auf den Seitenpfaden der Straße: Mit riesigen Bündeln auf dem Kopf und dem Letztgeborenen auf dem Rücken erscheinen sie zugleich von den Kriegsereignissen überholt und wirklicher als die militärische Wirklichkeit. Sie erinnern auf beinahe karikierende Weise an jenes „ewige Afrika“ der halbnackten Wilden, das angesichts von Sam-6 -Batterien, eingegrabenen Panzern und dröhnenden MIG-23 -Bombern in sich zusammenfällt. Mit einem Mal steht das in Afrika nie Dagewesene vor Augen: Im Süden Angolas wurde die vernichtende Logik moderner Waffenarsenale bis zum Ende gedacht. Auf beiden Seiten wurde - wie nie und nirgends zuvor auf dem afrikanischen Kontinent - ein konventioneller Stellungskrieg vorbereitet, der die laufenden Verhandlungen zum Erfolg verdammt.

Letzte südafrikanische

Minen gehen hoch

Einen Steinwurf von der angolanisch-namibischen Grenze entfernt, scheinen sich zwei Offiziere darüber im klaren zu sein. Jeden Morgen beugen sie sich im Schatten eines Baumes über Generalstabskarten, um nach und nach 11 gemeinsame Militärposten aus dem Boden zu stampfen. „Seit zwei Wochen machen wir aus den Buchstaben des Genfer Abkommens vor Ort lebendige Wirklichkeit“, erklärt der südafrikanische Colonel David Moore. Und mit freundschaflicher Geste schließt er seinen „angolanischen Kollegen“, den Major Osvaldo van Dunem ein: „Wir hoffen beide, daß unsere Arbeit dieser Gegend endlich Frieden bringt.“ Im Hintergrund gehen derweil die letzten südafrikanischen Minen hoch. Eine halbe Stunde später tuckert ein Militärfahrzeug, vollbesetzt mit Männern mit strahlenden Gesichtern über die Grenze nach Namibia. „Sie haben den Angolanern bei der Minensuche geholfen“, erläutert der südafrikanische Colonel die „friedliche Invasion meiner Jungs“.

Vor gut einer Woche, am 7.September wurde hier, 14 Kilometer von der Grenzstadt Ruacana entfernt, ein erster gemeinsamer Wachposten eingerichtet. Insgesamt 44 Soldaten 22 Südafrikaner und 22 Angolaner - leben nunmehr ständig zusammen in betonierten Kasematten, denen jeglicher Luxus fehlt. Gemeinsam sollen sie entlang der Grenze patrouillieren und Verletzungen des seit dem 10.August herrschenden Waffenstillstands melden. „Es handelt sich um eine präventive Maßnahme und vor allem darum im gemeinsamen Alltag wechselseitiges Vertrauen aufzubauen“, erklärt Major van Dunem. Er scheint peinlich berührt, als sein südafrikanischer Counterpart etwas tönend „unser Geheimnis“ verrät: die Bemannung des ersten Grenzpostens ist dabei, ein zerstörtes Gebäude wieder aufzubauen. Das künftige „Weiße Haus“ soll der gemeinsamen Militärkommission zur Überwachung des Waffenstillstandes als „Regierungssitz“ dienen.

Sind die friedlichen Gesten und Worte hier mehr als Fassade? Wenn der paternalistische Afrikaner-Colonell von „unserer soliden Freundschaft“ spricht, wirkt die Vertrautheit schmerzend plump. Die Hand, die gestern noch schlug, will heute nurmehr auf die Schulter kopfen. Das bewirkt Mißtrauen, auch wenn man nur allzu gerne an die „mittlerweile gut eingespielte Arbeitsbeziehung“ glauben will, von der - vorsichtiger und diskreter - der angolanische Offizier spricht. Tatsächlich sind selbst im Rahmen der Militärkommission noch lange nicht alle Probleme gelöst: Die elf Grenzposten werden 475 Grenzkilometer überwachen, aber den äußersten Südosten auslassen, d.h. genau jenes Gebiet, durch das der südafrikanische Nachschub an die Unita-Rebellen erfolgt. Nach Geheimverhandlungen hat sich Pretoria dazu verpflichtet, die Waffenlieferungen an Jonas Savimbi einzustellen. Wer kann darauf vertrauen, solange die Kontrolle fehlt?

Nur wenige Kilometer voneinander entfernt geben vollends unterschiedliche Bilder eine Ahnung von der ungewissen Zukunft des angolanischen Südens. Stalinorgeln und Schützengräben um den Cualeque-Staudamm erinnern daran, daß hier noch vor kaum sieben Wochen heftig gekämpft wurde. Am 27.Juli griffen MIG-23-Bomber zum ersten Male in ein Bodengefecht ein und töteten - neben ungezählten Schwarzen Opfern - zwölf weiße Afrikaner. Hat Pretoria darin ein Zeichen der Zeit erkannt? Die relativ ungefährlichen und ungestraften Militäroperationen tief im schwarzafrikanischen „Feindesland“ sind ebenso vorbei wie die „Vorverteidigung“ des Apartheidregimes, das sich den Luxus eines regionalen „cordon sanitaire“ leisten konnte. Aus diesem höchst unsentimentalen Grunde scheint es heute zulässig, an eine Zukunft respektierter Distanz zu glauben: eine friedliche Koexistenz im Schatten angehäufter Waffen. Der erste gemeinsame Grenzposten, über dem friedlich die Nationflaggen der Südafrikanischen Union und der Volksrepublik Angola wehen, gibt davon ein idyllisches Abbild. Man scheut sich, daran zu glauben und ist zugleich in eilfertiger Hoffnung überrascht. Vielleicht ist ja tatsächlich, wie es der vorsichtige Major von Dunem glaubt, der „Frieden kein Trugbild mehr“?