Das Saarland probt die Energie-Wende

Das kleinste Bundesland wehrt sich gegen das Monopol der Energieversorgungsunternehmen und will über neue Verträge eine Dezentralisierung der Stromversorgung erreichen / Stromsparen der Verbraucher soll nicht bestraft, sondern honoriert werden / Modellversuch mit neuer Tarifstruktur startet in Saarbrücken  ■  Von Reiner Scholz

Weitgehend unbemerkt von einer größeren Öffentlichkeit ist hinter den Kulissen im Saarland ein Kampf entbrannt, dem bundesweite Bedeutung zukommt: es geht um die Energie -Hegemonie für das Jahr 2000. Wie anderswo auch laufen bis 1995 im kleinsten Flächen-Bundesland nahezu sämtliche Verträge zwischen den monopolartig organisierten Energieversorgungsunternehmen (EVU) und den Städten und Gemeinden aus. Während es in den anderen Bundesländern so aussieht, als bliebe auch danach so ziemlich alles beim alten, steht im Saarland das Energie-Barometer auf „veränderlich“. Die sozialdemokratische Landesregierung nämlich unterstützt nach Kräften eine neue Energiepolitik, die dem bisherigen saarländischen Monopolanbieter „Vereinigte Saar-Elektrizitätswerke“ (VSE) das Fürchten lehrt. In Saarbrücken wird die Umkehr geprobt.

Dort heißen die Trümpfe: Energiesparen, optimale Abwärmenutzung, verstärkter Einsatz umweltverträglicher Kohle und die Förderung „regenerativer Energien“ (Wasser, Sonne, Wind). Zur Durchsetzung wurde eigens eine Abteilung „Energie und Technologie“ im Wirtschaftsministerium geschaffen. Als Modell preist die Landesregierung die Energiepolitik der kommunalen „Stadtwerke Saarbrücken“, die sich unter dem Oberbürgermeister Oskar Lafontaine umorientiert hatten.

Gegenspieler als auch Hauptansprechpartner dieser Wendepolitik sind Großkraftwerksbetreiber, die Vereinigten Elektrizitätswerke. Sie wollen in diesem Energiepoker die neuen Lieferungsverträge mit den Gemeinden am liebsten unter Dach und Fach bringen, bevor eine intensive Energiewendediskussion Landräte und Bürger hellhörig gemacht haben. So bietet das Versorgungsunternehmen, eine 40prozentige Tochter der Energie-Gigantomanen „Rheinisch -Westfälische Elektrizitätswerke“ (RWE) schon jetzt den Gemeinden neue Konzessionsverträge bis ins Jahr 2010 an.

Energiekonzern warnt

Einer ihrer Vorstandssprecher, Walter Henn, früher FDP -Wirtschaftsminister, der sich lieber als „langjähriger Landrat“ ausweist, macht auf Optimismus: „Die Energielandschaft an der Saar wird 1995 nicht anders aussehen als heute“, betont er, ohne jedoch den mahnenden Zeigefinger zu vergessen: „Vielleicht koppeln sich einige Gemeinden aus dem Verbund ab. Vor einem solchen Schritt kann ich nur warnen.“ Damit ist das Reizwort Nummer eins in die Debatte geworfen: die „Rekommunalisierung“. Sie meint nichts anders, als daß die Gemeinden ihre Stromversorgung in die eigene Hand nehmen. Derzeit beliefert die VSE 85 Prozent aller saarländischen Haushalte und das Gros der industriellen Abnehmer mit Strom und Wärme, überwiegend erzeugt in energieverschleudernden zentralen Großkraftwerken, zu einem nicht feststellbaren Anteil aus den Atommeilern der RWE stammend.

Demgegenüber favorisieren die saarländische Landesregierung als auch die Energie-Wende-Initiativen eine „Dezentralisierung der Stromversorgung“. „Wenn sich die VSE nicht umorientiert, keinen Querverbund schafft, der sowohl Strom als auch Gas, Fernwärme und regenerative Energieträger in seinem Angebot hat, gibt es für dieses Spartenunternehmen keine Zukunft mehr“, prophezeit der Sozialdemokrat Frithjof Spreer, Leiter der neugeschaffenen Abteilung Energie und Technologie.

Im 7.000-Seelen-Ort Rehlingen-Siersburg in der Nähe von Saarlouis wird die VSE bereits offen herausgefordert. Mit Hilfe des saarländischen Wirtschaftsministeriums will der Bürgermeister einfach mal durchspielen, was für die kleine Gemeinde das Abkoppeln vom zentralen Verbundnetz der VSE und der Aufbau einer eigenen, kommunalen Energieversorgung kostet.

Viele Hindernisse für

Rekommunalisierung

Gesetzlich ist die „Rekommunalisierung des Stromnetzes“ keinerlei Problem, doch in der Praxis gibt es beim Rückkauf des Leitungsnetzes viele Hindernisse. Rehlingen-Siersburg braucht nämlich von der VSE einige Informationen, die aber das Energie-Unternehmen nicht freigibt. „So forderte der Bürgermeister von den jetzigen Betreibern genaue Daten über die Technik, über bisherige Abschreibungen und die schon geleisteten Zuschüsse von Bund und Land“, so Michael Lardy von der „Bürgervereinigung Energiewende Saarland“, „die VSE wich aber aus. Diese Daten hätte sie nicht vorliegen.“ Das bestätigt VSE-Sprecher Henn: „Da bräuchten wir selbst erst ein paar Gutachter. Die müßte dann die Gemeinde bezahlen, das ist doch klar.“

Doch selbst wenn alle Daten auf dem Tisch lägen, würde der eigentliche Trouble erst beginnen. Darüber, welcher Rückkauf -Preis dafür zu zahlen ist, gibt es zwischen den augenblicklichen Besitzern des Energienetzes und den potentiellen Käufern höchst unterschiedliche Ansichten. Die Energieunternehmen fordern den sogenannten „Sachzeit- bzw. Wiederbeschaffungswert“. Das käme teuer, denn die EVU tun so, als hätten sie dazu keine öffentlichen Subventionen erhalten.

Dieser Maximal-Anspruch findet daher nicht einmal beim Bundeskartellamt Gnade: Staatliche Zuschüsse, Abschreibungen, von den Kunden bereits aufgebrachte Beträge, die nicht unerheblichen Anschlußgebühren der Hausbesitzer all dies fände keine preisreduzierende Berücksichtigung.

So streben die Gemeinden danach, nur den „Buchwert“ zu zahlen, also eine Summe unter Abzug all dieser bereits geleisteten Zuschüsse. Ein höchstrichterliches Urteil, das darüber mitentscheidet, welcher Druck überhaupt auf die derzeitigen Betreiber ausgeübt werden kann, steht noch aus. So blicken alle mit Spannung auf den Prozeß, den derzeit die Gemeinde Witzenhausen bei Kassel um genau diese Frage gegen die „Elektrizitätsgesellschaft Mitteldeutschland“ führt. Die Stadt will nach erfolgter Gebietsreform für den Stromanschluß der neu eingemeindeten Ortsteile nur den Buchwert zahlen.

Saarbrücken als Vorreiter

Doch für die engagierten Energiewendepolitiker im saarländischen Wirtschaftsministerium geht es nicht um eine Abkoppelung im großen Maßstab. Sie wollen die Elektrizitätswerke VSE zu einem generellen Umdenken bewegen, zu einem Mitmachen an neuen Strukturüberlegungen, wie sie dies bereits bei den kommunalen „Stadtwerken Saarbrücken“ vorexerzieren.

Eine Säule dieser neuen Energie-Politik bildet die Arbeit der neugegründeten „Saarländischen Energieagentur“, die Industrie- und Gewerbebetriebe sowie öffentliche Einrichtungen bei der rationellen Nutzung von Energie berät. Es plant und realisiert entsprechende Maßnahmen und trägt sogar die Umstellungskosten als Vorschuß. Die VSE beteiligt sich an der Agentur, allerdings mit „viel Skepsis“, wie Walter Henn betont.

Schon heute zeigt die Energie-Sparpolitik in Saarbrücken Erfolge, denen selbst engagierte Umweltschützer ihren Respekt nicht versagen: „Von 1980 bis 1986“, so Energie -Experte Reinhard Ohr von Robin Wood, „ist in Saarbrücken der Energieverbrauch konstant geblieben.“ Die Fortsetzung des alten Kurses hätte allein 1986 Mehrkosten von drei Millionen Mark verursacht.

Doch denkt man an der Saar bereits weiter. Die Saarbrücker Stadtwerke planen die völlige Umstellung des derzeit gültigen Enegietarifs. Bisherige Faustregel: Wer viel Energie abnimnmt, zahlt wenig, wer wenig Strom und Wärme bezieht, viel. Und: die Tarife sind zu jeder Tages- und Nachtzeit gleich hoch. Demgegenüber soll in Saarbrücken zu Zeiten großen Verbrauchs die Energie teurer werden. Im Herbst dieses Jahres soll ein Großversuch mit 1.500 Haushalten zeigen, ob die Bewohner ein solches Spar-Modell annehmen. Das Verhalten dreier Kontrollgruppen soll miteinander verglichen werden: Haushalte, die nach überkommenem Tarif abrechnen, die nach dem „zeitvariablen Tarif“ zahlen und solche, denen als Gedächtnisstützte noch eine zusätzliche Lernhilfe installiert wurde. VSE-Chef Henn, dessen Unternehmen sich nach einigem Drängen eher widerwillig an diesem Versuch beteiligt, bleibt skeptisch: „Die wollen doch nur die Hausfrauen dazu veranlassen, nachts zu waschen und zu spülen. Das ist doch kein Fortschritt sondern Spinnerei.“

Energiepolitik wird

in Bonn gemacht

Doch der eigentliche Knüller soll die intensive Weiterentwicklung der „Kraft-Wärme-Kopplung“ werden. Sie setzt an am großen Nachteil der gigantischen Kraftwerke. Bei ihnen fliegt zwei Drittel der erzeugten Energie als Abwärme ungenutzt durch den Schornstein. Überall, wo es rentabel ist, sollen nun kleine, wohnnahe Blockheizkraftwerke die benötigte Energie erzeugen, Strom liefern und gleichzeitig in der Nachbarschaft zu nutzende Wärme produzieren. Bei der Versorgung von Schwimmbädern, Schulen, Krankenhäusern und Industrieeinrichtungen haben sich diese dezentralen Kraftspender bereits gut bewährt.

Nicht nur an der Saar gibt es ein solches Umdenken. Der Landtag in Hessen hat noch während der rot-grünen Koalition ein Gesetz zur Förderung des rationelleren Energieeinsatzes verabschiedet, in Hamburg gibt es mittlerweile nach dem Saarbrückener Vorbild ebenfalls eine Energie-Agentur. Städte und Gemeinden wie Flensburg und Rottweil nutzen durch den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung Einrichtungen die Nischen, die ihnen der großflächige Energie-Monopolverbund läßt. Das besondere im Saarland ist allerdings, daß hier die Landesregierung über eine größere Palette von Eingriffsmöglichkeiten verfügt, weil die Stadtwerke, die über ein nennenswertes eigenes Netz verfügen, in kommunalem Besitz sind.

Doch werden auch bei diesen Umbauschritten die Bäume der Hoffnung nicht in den Himmel wachsen, denn die große Energiepolitik, die den Handlungsrahmen absteckt, wird in Bonn gemacht. Gerade SPD-regierte Länder haben diesen Umstand gern zum Anlaß genommen, untätig bleiben zu können. Das Atomgesetz, das den Ausbau der Atomenergie vorschreibt, das Gesetz über den „Kohlepfennig“, das die Einfuhr billigerer, dann mit dem Atomstrom konkurrierender Importkohle verhindert (und sich damit als Promotion für die Atomindustrie erweist) und das Energiewirtschaftsgesetz aus dem Jahre 1935, das unverändert gilt - und zu einer ständigen Steigerung des Umsatzes und der Gewinne geführt hat - all diese Gesetze, die einer großen Energiewende entgegenstehen, könnten nur in Bonn revidiert werden.

Ein weiteres Hindernis für die Wende ist, daß die Städte und Gemeinden auf kurze Sicht ganz erheblich vom herkömmlichen Energie-Zuwachs-Denken profitieren. Der Deal, zwischen Gemeinden und Versorgungsunternehmen, auch „Konzessionsvertrag“ genannt, beteiligt die Kommunen nämlich über die „Konzessionsabgabe“ an den Energieverkaufszuwächsen. Je mehr Strom verkauft wird, desto höher die Abgaben an die in diesen Zeiten finanziell schwer gebeutelten Gemeinden.

Gemeinden müssen

umdenken

Sie kämpfen um eine Erhöhung der Konzessionsabgaben. Dem ist Frithjof Spreer vom saarländischen Wirtschaftsministerium, der Genehmigungsinstanz, nicht gänzlich abgeneigt. Doch verlangt er, bei einer Erhöhung der Konzessionsabgaben von derzeit fünf auf möglicherweise zehn Prozent müsse die Differenz „zweckgebunden“ angelegt werden, könne also zu einem Meilenstein werden bei der nötigen Zukunftsinvestition zur Umstellung auf eine umweltfreundlichere dezentrale Versorgung.

Konzessionsabgaben, Rekommunalisierung, Kohlepfennig, Blockheizkraftwerk, Atomgesetz - den verantwortlichen Kommunalpolitikern rauchen die Köpfe ob dieser sperrigen Materie. Immerhin hat der saarländische Städte- und Gemeindetag Ende Mai in Saarbrücken, dem die Bürgermeister von 52 saarländischen Gemeinden beiwohnten, einen Konzessions-Mustervertrag beschlossen, den die Gemeinden akzeptierten würden. Gemeinsam will man in Zukunft in den Verhandlungen mit den versierten, bauernschlauen Elektrizitätswerken mehr herausholen als bisher: Die Vertragslaufzeit solle nurmehr lediglich zehn Jahre betragen, die Übernahmebestimmungen günstiger im Sinne der Kommunen geregelt werden.

VSE-Sprecher Walter Henn reagierte bereits auf die neue Lage. Ließ er vor einem Jahr noch, als Robin Wood und andere Energie-Wende-Aktivisten auf das Dach seines Verwaltungshochhauses stiegen und das Transparent „Kein Atomstrom“ entrollten, flugs die Polizei holen, so schaltete er jetzt um. Nun erhielten die einst geschmähten VSE -Kritiker überraschend eine schriftliche Einladung zu einem „Spitzengespräch“. Am Ende des achtseitigen Schreibens heißt es: „Ich würde es sehr begrüßen, wenn Sie bereit wären, in einen sachlichen, fairen und offenen Dialog über alle mit der Energieversorgung zusammenhängenden Fragen mit uns einzutreten.“