Großkonzerne für Ruhrpott-Krise verantwortlich

IGM präsentiert brisante Studie zur Zukunft der Metallindustrie im Revier / Gewerkschafter künftig als „unternehmende Unternehmer“?  ■  Aus Bochum Walter Jakobs

Ohne eine struktur- und beschäftigungspolitische Offensive wird der Anteil der „in beschäftigungsstabilen Betrieben arbeitenden Metallarbeiter im Revier von derzeit 44 auf 25 Prozent zurückgehen... dem Revier drohen dann Arbeitslosenquoten von über 20 Prozent“. Mit der klassischen Struktur- und Regionalpolitik ist diese Entwicklung nicht zu stoppen. Erforderlich ist vielmehr eine integrierte Politik, die Produktinnovationen und Diversifizierung in den Metallbetrieben massiv fördert und zugleich eine Qualifizierungsoffensive durchsetzt. Volle beschäftigungspolitische Wirkung kann diese Politik hingegen nur entfalten, wenn die betrieblichen Aktivitäten mit einer komplementären privaten und öffentlichen Nachfragemobilisierung in den Engpaßfeldern des gesellschaftlichen Bedarfs gekoppelt wird. Dies sind die zentralen Aussagen einer knapp 600seitigen Studie mit dem Titel „Strukturwandel und Beschäftigungsperspektiven der Metallindustrie an der Ruhr“, die im Auftrag des IGM -Vorstands und der Hans-Böckler-Stiftung von drei Forschungsinstituten (GEWOS, Hamburg; GfAH, Dortmund; WSI, Düsseldorf) in zweijähriger Arbeit erstellt wurde. Schon Georg Ippers, im IGM-Vorstand für Stahl zuständig, beschrieb die neue Orientierung bei Vorstellung der Studie so: „Wir springen in eine Lücke, die an sich nicht direkt unserer Aufgabenstellung entspricht“, doch die IGM sei gezwungen, sich „den Kopf der Unternehmer zu zerbrechen, weil wir darauf drängen müssen, systematisch Arbeit zu organisieren“. Man habe, so Harald Schartau, IGM-Sekretär in Essen, zwar „nicht den Anspruch, ein besseres Management zu organisieren“, aber „eine Überprüfung unternehmerischer Innovationspolitik“ rücke heute „immer stärker in den Mittelpunkt“. Eine Konsequenz, die sich unmittelbar aus dem Forschungsbericht ergibt.

Zunächst wird in der äußerst faktenreichen Studie untersucht, warum der Niedergang des Montanbereiches im Revier nicht oder nur sehr begrenzt zur Entwicklung neuer wirtschaftlicher Aktivitäten geführt hat. Im Gesamtzeitraum von 1950 bis 1986 sank die Beschäftigung in der Industrie im Ruhrgebiet von rund 775.000 auf rund 512.000. Warum wuchs nichts Neues? Als wesentliches Innovationshemmnis gilt den Autoren die jahrzehntelange „Vorherrschaft einiger weniger großer Konzerne und die Ausrichtung der kleinen und mittleren Unternehmen in der Region auf diese Struktur“. Den konzernabhängigen kleineren Unternehmen „fehlen wesentliche Voraussetzungen, um sich aus der krisenträchtigen Verflechtung mit dem Montansektor zu lösen“. Sie seien oftmals auf einen einzigen großen Abnehmer ausgerichtet, produzierten nach vorgegebenen Blaupausen ohne eigene Forschungs-, Entwicklungs- und Vertriebskonzepte. Auch hier sei das Innovationspotential also begrenzt. Die strukturbestimmenden großen Konzerne haben dagegen selbst zwar einen ausgeprägten Strukturwandel durchgemacht - bei Thyssen, Krupp und Hoesch steuert der Stahlbereich inzwischen weit weniger als 50 Prozent zum Konzernumsatz bei -, aber die Region hat davon nicht profitiert. Realisiert wurde die Konzerndiversifizierung „in erster Linie über den Aufkauf für innovativ gehaltene Firmen in anderen Regionen der Bundesrepublik oder sogar im Ausland“.

Insgesamt hat die Vorherrschaft der Konzerne nach Meinung des Projektleiters Kurt Wand dazu geführt, daß es im Revier an innovationsfreudigen, „handelnden Unternehmern“ mangelt. Wenn sich in den Betrieben selbst nichts verändere, wenn dort die Innovationskraft nicht gestärkt werde, seien alle Anstrengungen zur Verbesserung der äußeren Rahmenbedingungen nahezu vergebens.

Alles in allem wird mit der Studie eine deutliche Akzentverschiebung gewerkschaftlicher Politik vorgezeichnet. Der betriebliche Forschungsansatz - insgesamt wurden 170 Betriebsräte befragt - hat eine Fülle von Material ans Licht gebracht, das die These stützt, im Revier seien „viele Arbeitsplätze aufgrund von Nachlässigkeit kaputt gegangen“, so Mitautor Volker Volkholz. Die globalen Forderungen der IGM seien zwar richtig, sagt Volkholz, aber die Gewerkschafter hätten sich zu fragen, was sie selbst beitragen könnten, um vermeidbare Pleiten auszuschließen. Nach den Worten von Harald Schartau sind die betrieblichen Funktionäre gefordert, „Investitions- und Innovationsentscheidungen vor dem regionalen und beschäftigungspolitischen Hintergrund zu überprüfen und mit eigenen Vorstellungen zu konfrontieren“.

Die Erfahrung aus einzelnen Bereichen, etwa der Rüstungsindustrie, zeigt allerdings bisher, daß die Unternehmer alles blockieren, was ihre Entscheidungsfreiheit über Investitionen und Produktlinien auch nur antastet. Auch neuere Initiativen, wie die von den Unternehmen Hoesch und Krupp eingerichteten Arbeitskreise für „Neue Arbeitsplätze“ oder „Alternative Produkte“, stellen diese Autonomie nicht in Frage. Die Autoren halten es dennoch für notwendig, „daß Arbeitnehmer und Betriebsräte gegen konkrete Fehlentwicklungen ihren wirtschaftlichen Sachverstand und ihre Handlungskompetenz setzen und Alternativen einbringen, wenn die Unternehmer dem Strukturwandel gegenüber versagen und die Existenz der Arbeitsplätze gefährden“. Die Autoren plädieren für „vielfältige“ gewerkschaftliche Antworten auf das „unzureichende Innovationspotential“ des Ruhrpott -Unternehmens. Diese Antworten liegen allerdings näher bei Schumpeter, dem Propagandisten des unternehmenden Unternehmers, als bei - sagen wir - Willy Bleicher oder Otto Brenner.