Nach 100 Tagen schlauer?

Während Regierungschefs in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit üblicherweise verhalten vorgehen und versuchen, allenfalls „Duftmarken“ zu setzen, hat Hamburgs Erster Bürgermeister Henning Voscherau Höhen und Tiefen seines neuen Jobs in ausreichendem Maße erlebt.

Der Dohnanyi-Nachfolger schaffte es, bereits in der „Schonzeit“ einen großen Fehler zu begehen - und ihn eigenhändig wieder auszubügeln. Auch wenn er mit der Flora -Entscheidung gegenüber der CDU-Fraktion sein Gesicht verloren haben mag, das Problem (und das Projekt) ist er los, „Cats„-Produzent Fritz Kurz wird von anderen Städten umworben, an einen Flora-Bau an anderer Stelle Hamburgs glaubt in Koalitionskreisen schon lange keiner mehr.

Einigkeit herrscht in sozialliberalen Regierungskreisen allerdings auch darüber, daß die Hafenstraße als Dauerthema weiter Konjunktur haben wird. Ende September will der Senat eine Bestandsaufnahme über den bisherigen Verlauf des „Experimentes“ vorlegen.

Die Möglichkeit, daß Voscherau das Modell für gescheitert erklärt, ist nicht ausgeschlossen. Als Ursache dieser Befürchtung gilt selbst in Regierungskreisen vor allem Voscheraus mangelnde Souveränität gegenüber den Kampagnen der den Hamburger Pressemarkt beherrschenden Springer -Blätter - eine Untugend, von der sich Dohnanyi vergleichsweise wohltuend abhob. Welche Hirngespinste auch immer von den 'Bild'- und 'Abendblatt'-Redaktionen zum Füllen des Sommerloches aufgeblasen wurden: stets stand Voscherau stramm und verbreitete unheilschwangere Erklärungen, obwohl der 47jährige Jurist sehr wohl weiß, daß rechtliche Möglichkeiten für eine Räumung der Hafenstraße nicht zur Verfügung stehen.

In Deckung gehen muß der Bürgermeister aber auch vor seiner eigenen Klientel, der Partei-Rechten. Nicht nur die blickt derzeit gespannt nach Ottensen, wartet auf einen nächsten, vielleicht schwereren Zwischenfall. „Allen ist klar“, erzählt ein sozialdemokratischer Regierungs-Insider, „daß die Kneipen-Stürmer dann schwer einen auf den Deckel kriegen.“ Denn: „Dann muß gezeigt werden, wer hier in der Stadt überhaupt das Sagen hat.“ Zustände, in denen „kleine militante Randgruppen“ darüber entscheiden, was in Hamburg gebaut oder betrieben werden kann oder nicht, „hält eine SPD -geführte Landesregierung nicht aus“, meinen auch Teile des linken Flügels.

Und auch der Koalitionspartner FDP beginnt zu meutern. Geradezu Räumungsfieber herrschte auf einem Parteitag am späten Mittwoch abend - ein Antrag, das Projekt Hafenstraße für gescheitert zu erklären, scheiterte in einer Kampfabstimmung nur hauchdünn. Mit einem rhetorischen Kraftakt war es der freidemokratischen Staatsrätin in der Innenbehörde, Barbara Bludau-Krebs, gelungen, trotz einer mehrheitlich blutrünstigen Stimmung das Ruder noch einmal herumzureißen.

Axel Kintzinger