Viele „Volxköche“ vertreiben die Schickis

■ Jetzt wird der sanft sanierte Stadtteil Ottensen zum Streitobjekt / „Kotzübel“ wegen der vielen Porsches

Im Hamburger Rathaus herrschte schieres Unverständnis: hatte man doch gerade während der Auseinandersetzung um das „Flora“ den Stadtteil Ottensen als positives Gegenbeispiel erfolgreicher Sanierungspolitik gepriesen, wo „Autonome Szene“ und „Schickeria“ in friedlicher Koexistenz nebeneinanderher lebten, da klirrten in einer schönen Juli -Nacht die Scheiben der Kneipe „Eisenstein“ im Vorzeigestadtviertel. Seitdem wurde das aufgepeppte Lokal mit der Bahnhofsatmosphäre noch mehrfach von Punks und der Szene heimgesucht, die hier ihre „Volxküche“ aufschlugen. Am vergangenen Freitag war es dann schließlich soweit: angewiesen durch kopflos aufgeschreckte Rathauspolitiker, stürmte die Polizeimacht ohne Einwilligung des Kneipiers das volxbelegte Lokal und provozierte dabei einigen Inventar -Bruch.

In der Öffentlichkeit werden AktivistInnen aus anderen Bezirken - aus der Hafenstraße oder dem Schanzenviertel verantwortlich gemacht. Doch in Wahrheit handelt es sich um einen hausgemachten Stadtteilkonflikt. Anfang der siebziger Jahre gehörte Altona-Ottensen, das im westlichen Teil Hamburgs an St.Pauli grenzt, zu den gewachsenen Arbeiterstadtteilen. Umweltverträgliche Metallindustrie in der Nähe von billigem Altbauwohnraum sowie eine Stadtteilkultur, die spannungsfrei den überproportionalen Ausländeranteil verkraftete. Ottensen wurde zum El Dorado für linke Szene und Wohngemeinschaftskultur. Ende der siebziger Jahre dann die ersten Sanierungsmaßnahmen. Hochtrabende Pläne mit Büro- und Parkhochhäusern und einem Autobahnzubringer scheiterten zwar am Widerstand der BewohnerInnen, an Boutiquenpleiten und dem Rückzug von Investoren. Doch eine „kleine“ Modernisierungslösung wurde geboren, und inzwischen ist Ottensen zu einem attraktiven Wohnstadtteil für die Mittelklasse geworden. Weite Straßenzüge sind verkehrsberuhigt oder wegen des Einbahnstraßengewirrs für den Durchgangsverkehr unpassierbar geworden. Aus Ofenheizungswohnungen wurden moderne Altbau -Areale (40 Quadratmeter „Wohnklo“ für 800 Mark), die letzlich allerdings nur noch für LehrerInnen oder RechtsanwältInnen erschwinglich sind. Und wo noch vor zehn Jahren in den Hallen der Zeisefabrik Schiffsschrauben gefertigt wurden, befindet sich heute das gestylte „Eisenstein“ - nur einen Steinwurf entfernt vom Filmhaus mit seiner „Filmhauskneipe“ oder dem Medienhaus mit seinem „Leopold“, wo sich prominente bundesdeutsche Filmer die Klinke in die Hand geben.

So ist weniger die Kneipe selbst als ihr Publikum der Stein des Anstoßes, der die letzten Sanierungsgegner, unterstützt von der punkigen Jugend, auf den Plan ruft. Schon längst hat es sich nämlich herumgesprochen, daß man dort Filmprominenz bewundern kann - belegen doch nicht wenige Porsches und Rolls Royces den Parkplatz des Kneipendreiecks. Es ist eben „chic“, beim abendlichen Flanierausgang an der gleichen Theke wie Doris Dörrie, Jürgen Prochnow oder Hark Bohm gesessen zu haben. Etabliert sich diese Szene, dann werden nach Auffassung der VolxküchenaktivistInnen die Mieten weiter steigen und die letzten Ur-Einwohner verdrängt.

Unerwartete Unterstützung erhalten die Alt-Ottenser jetzt vom Wirt des Kneipenkonsortiums. Auch Jörg Evers ist unzufrieden: „Ich wollte mit einfachen Mitteln eine nette Kneipe aufmachen. Mir ist auch kotzübel geworden, als die Typen im Porsche vorfuhren.“ Trotzdem scheinen die Standpunkte zwischen dem Filmer-Kneipier und der Anti-Yuppie -Front unversöhnlich. „Der Wirt mag ja subjektiv ein netter Mensch sein. Es kommt aber auf seine objektive Funktion an“, weiß eine Ottenser Alt-Linke. „Das ist wie mit einem netten Kapitalisten, der sein ganzes Geld für die armen Robben ausgibt. Dennoch beutet er Leute aus. Die einzige Möglichkeit ist, die Kneipe vorübergehend zu schließen und dann zu überlegen, was aus dem Laden gemacht werden kann.“

Kai von Appen