Es gibt viel zu streiten

■ Geschichte der Dritte Welt-Bewegung ist brandaktuell / Viel Material und einige bissige Kommentare von Klaus Vack

Internationalismus ist, das wenigstens, ein Thema. Wieder denn daß es 1968 einen internationalen Anti-Vietnam-Kongreß in Westberlin gegeben hat, hat sich mittlerweile rumgesprochen. Weniger bekannt ist die Entwicklung der Vietnam-Solidaritätsbewegung im Vorfeld und ihr Niedergang danach. Werner Balsen und Karl Rössel vom Rheinischen Journalistenbüro haben 1986 eine Geschichte der Dritte -Welt-Bewegung in der Bundesrepublik veröffentlicht, die den Bogen von den ersten Jahren nach der Befreiung vom Faschismus, in denen es eine Internationalismusbewegung gar nicht gab, bis zur El Salvador Solidarität der achtziger Jahre spannt. Eine in die jeweiligen Kapitel eingearbeitete umfangreiche Dokumentation wichtiger Texte machen den Band darüber hinaus zu einer wichtigen Materialsammlung: nachgedruckt werden kurze Passagen der „Klassiker“ zum proletarischen Internationalismus, vor allem aber zeitgenössische Texte, wie Hans Magnus Enzensbergers Aufsatz Algerien ist überall, eine Analyse von Urs Müller -Plantenberg über Schwierigkeiten mit dem Klassenkampf in Chile oder der Aufruf zur „bewaffneten“ Solidarität des „El-Salvador-Komitees Westberlin“.

Balsen und Rössel erweisen sich durch sämtliche von ihnen beschriebenen Stadien hindurch als sehr zurückhaltend: ihnen liegt offensichtlich mehr die Geschichte zu erzählen, als sie zu interpretieren. Es gelingt ihnen, die jeweiligen Fraktionen zu Wort kommen zu lassen, ihre Positionen kurz zu skizzieren. Ihr Band läßt die unterschiedlichen Ansätze nachvollziehen - die für eine Auseinandersetzung wichtigen Reibungspunkte liefert dann der in die einzelnen Kapitel eingeschnittene Kommentar von Klaus Vack, der einer der wenigen Aktivisten ist, der von der Algerien-Solidarität bis zum Mittelamerika-Engagement alle Stadien des linken BRD -Internationalismus miterlebt hat: „Die radikalste Lösung der Imperialismusfrage ist dort, wo auch geschossen wird. So läuft die Wahrnehmung.

Das ist auch das Problem. Es wird nicht mehr in gesellschaftlichen, sondern in militärischen Zusammenhängen gedacht. Dort wo es Piff-Paff macht, stellen sich die politischen Fragen am deutlichsten. Das würde ich auch der Solidaritätsbewegung von heute vorwerfen, daß sehr viele dieser militärischen Situationen viel zu stark wahrgenommen werden und viel zu wenig gesellschaftliche und kulturelle und in diesem Sinne auch historische Zusammenhänge betrachtet werden.“ (Vack zum raschen Niedergang der Chile -Solidarität) Es gibt viel zu streiten - das Buch bietet für die Auseinandersetzung um Perspektiven des internationalistischen Engagements bestes Material.

Balsen/Karl Rössel, Hoch die internationale Solidarität Zur Geschichte der Dritte-Welt-Bewegung in der Bundesrepublik Kölner Volksblatt Verlag, Köln 1986, 610 Seiten, 29.80 DM