Rotes Licht für Fahrrad-Taxen

■ Becaks in Indonesien

Ich schlendere durch das labyrinthisch-verwinkelte Altstadtviertel von Yogyakarta, der Kulturmetropole der indonesischen Hauptinsel Java. Plötzlich schrecke ich zusammen. Lautlos war er herangekommen, dann auf einmal ein Scheppern von Blech-dosen, als er sich auf meiner Höhe befindet. Grinsend, eine Reihe tee- und nikotinbrauner Zähne zeigend, fordert mich der Becak-Fahrer auf, einzusteigen: „Mau kemana, tuan?“ - „Wohin des Wegs, mein Herr?“ Schweißnaß und erschöpft vom stundenlangen Stadtbummel willige ich nur zu gerne ein und nehme Platz in dem Becak, einem buntbemalten Vehikel, dessen Aussehen noch exotischer ist als sein Name. Manchem ausländischen Besucher Yogyakartas mag es bequemer erscheinen, in einem klimatisierten Taxi zu fahren, aber ich habe dies nur im Notfall getan. Denn Yogyakarta hat Becaks, und sie sind meine Leidenschaft. Sie durcheilen die Straßen dieser Stadt und prägen ihr Erscheinungsbild. Mit sehnig-muskulösen Luftballonwaden stemmt sich der Fahrer meiner Rikscha in die Pedale und steuert sein Gefährt geschickt durch das chaotische Verkehrsgewühl, ohne sich vom aufgeregten Hupen der überholenden Autos aus der Ruhe bringen zu lassen. Steig in ein Becak, und du bist mitten im Herzen der Stadt. Lautlos und sanft vom kühlenden Fahrtwind umfächelt schwebt man dahin, mit ungehindertem Blick auf das langsam vorbeifließende Straßenleben.

Eigentlich sind Becaks (gesprochen „Betschaks“ oder „Betschas“) nur Beförderungsmittel, die, hunderttausendfach vertreten, mit zeitloser Gelassenheit über die Straßen vieler indonesischer Städte rollen. Diese Fahrradtaxis dreirädrige Universalfahrzeuge, deren Erfindung in die koloniale Vergangenheit Indonesiens zurückreicht, sind aus dem Bild der meisten Orte des ausgedehnten Archipels ebensowenig wegzudenken wie die roten Doppeldeckerbusse aus dem der britischen Hauptstadt London. Als „Taxis des armen Mannes“ bewältigen sie einen Großteil des unmittelbaren Personennahverkehrs. Muskelbetrieben werden mit ihnen Menschen und Material transportiert, oftmals vielköpfige Familien oder zentnerschwere Reissäcke. Außer javanischen Rhinozerosen am Stück gibt es kaum etwas, was in Indonesien nicht mit Becaks wegzuschaffen wäre. Becaks sind billig zu konstruierende, leicht zu wartende und wetterunabhängige Allzweckfahrzeuge. Obendrein sind sie umweltfreundlich - ein Aspekt, den man in den abgasgeschwängerten Straßen der heißen Metropolen nicht hoch genug schätzen kann. Die Konstruktion der indonesischen Fahrradrikschas variiert von Region zu Region. Auf Java nehmen die Fahrgäste auf einer gepolsterten Sitzbank zwischen den beiden Vorderrädern Platz. Vor der Sonne schützt sie ein Klappverdeck, bei Regen wird vor die Sitze zusätzlich eine Plastikplane gespannt. Auf einem erhöhten Fahrersitz rackert sich dahinter der in Schweiß gebadete Fahrer (Tukang Becak) ab. In Medan auf Nordsumatra sitzen die Passagiere neben dem Fahrer wie im Seitenwagen eines Motorrades. Ist eine Rikscha unbesetzt, fährt der Tukang Becak langsam durch die Straßen und zeigt durch Klingeln an, daß sie frei ist.

Becaks aber sind mehr als nur nützliche Nahverkehrsmittel, es sind fahrende Kunstwerke. Jede dieser klassischen Fahrraddroschken trägt ganz individuelle Züge und ist zum einzigartigen Prototyp herausgeputzt. Ornamente zieren die Schutzbleche, naiv-realistische Gemälde prangen an Sitzen und Rückenlehnen. Hier haben Maler und Grafiker ihre Phantasie ausgetobt. Sehr grell und schrill, oft auch mit viel Gefühl, sind die Träume, Wünsche und Illusionen der Fahrer oder Besitzer in Öl auf Blech festgehalten. Aus einem ehedem nur Transportzwecken zugedachten Fahrzeug wurde auf diese Weise Folk-Art, mobile Kunst auf drei Rädern. Da sieht man populäre Filmstars der Gegenwart neben nicht minder beliebten Helden aus den alten, großen Hindu-Epen, futuristische Wolkenkratzer neben pastoralen Dorfidyllen, traditionelle Pferdekutschen neben modernen Mondraketen. Hinter jedem Bild steckt die Hoffnung auf bessere Zeiten, auf mehr Glück und lebenslange Gesundheit. Der überreiche Schmuck dient als Trost für den Mangel und all die Entbehrungen eines oftmals armseligen Daseins.

Hart und menschenunwürdig mag uns die Arbeit eines Becak -Fahrers erscheinen, doch ist sie für Hunterttausende aus dem Riesenheer der Arbeitslosen in den indonesischen Großstädten oft die einzige Möglichkeit, das Überleben für sich und ihre Familien zu sichern. Mancher hat sein Vehikel, mit dem er sich seinen täglichen Reis erstrampelt, nur zu einer festen Tagespauschale gemietet und muß nicht selten einen Großteil seiner ohnehin äußerst kargen Einkünfte an den Besitzer abliefern. Was nach einem harten Tag der Plagerei bleibt, sind in der Regel nicht mehr als umgerechnet 3-4 Mark. Becak-Fahrer gehören zu den Indonesiern, denen angesichts der ökonomischen Talfahrt des Landes noch härtere Zeiten bevorstehen. Meist handelt es sich bei den Fahrern, die für einen Hungerlohn in die Pedale treten, um junge Männer, die vorzeitig von der Schule abgegangen sind oder gar keine besucht haben. Viele von ihnen haben ihre Heimatdörfer verlassen und sind in die Großstädte eingewandert, weil sie auf dem Lande keine Arbeit fanden. Ihre Chance, jemals einer anderen Tätigkeit nachzugehen, als ein Becak zu fahren, ist denkbar gering, denn vor allen die Jugendarbeitslosigkeit ist in einem Entwicklungsland wie Indonesien eine chronische Not.

In Indonesiens Hauptstadt Jakarta bemühen sich Fahrradrikschas immer häufiger, schneller zu sein, als Autos - genauer: Polizeiautos. Denn die Verkehrsplaner der dortigen Kommunalbehörden haben den Becaks den Kampf angesagt. Weil sie als Bremsklötze der modernen Zeit den motorisierten Verkehr der Metropole behindern, werden die traditionellen Fahrradrikschas seit einigen Jahren zusehends aus dem Stadtzentrum verbannt und in die Vororte abgedrängt. Auch in anderen großen Städten der Inselrepublik existieren bereits Zonen, die für Becaks gesperrt sind. Für viele indonesische Politiker gelten die mit Muskelkraft bewegten Becaks obendrein als ein Relikt kolonialer Ausbeutung und Erniedrigung. Bereits Sukarno sah in den Rikschas ein Musterbeispiel für die „Ausbeutung des Menschen durch den Menschen“. Vor allem in der Verwaltungskapitale der Inselrepublik passen die Fahrradtaxis den fortschrittsbewußten Behörden nicht mehr ins moderne Straßenbild. Während der 60er Jahre rollten dort schätzungsweise 150.000 Becaks. In letzter Zeit wurden in Jakarta in großen Aktionen Tausende dieser buntbemalten Gefährte von der Polizei beschlagnahmt und rigoros in die Java-See gekippt. 40.000 sind nach offiziellen Angaben bereits aus dem Verkehr gezogen worden. Das Ende der beruflichen Zukunft für Hunderttausende von Becak-Fahrern nicht nur in Jakarta, sondern auch in vielen anderen Großstädten des aussgedehnten Inselreiches läßt sich absehen.

Roland Dusik