"Alles nur Drecksäcke"

■ Himalaya Trekking - Tour in Ladakh

Ursula Hildebrand

„ALLES NUR DRECKSÄCKE“

Himalaya - Trekking - Tour in Ladakh

Klaus, der Bergführer des Deutschen Alpenvereins (DAV), rast voraus, gefolgt von einer dreiköpfigen Gruppe der super Trainierten. „Moment, wartet bitte, ich habe Durchfall!“ Der Hilferuf aus dem Feld der Nachzügler verhallt ungehört. Die Spitzengruppe hat bereits zur Mittagszeit das Ziel der Tagesetappe erstürmt, das Zeltlager in 4500 m Höhe. Isomatte raus, Sonnenschirm auf den Skistock geklemmt, Walkman auf den Kopf, Zeitung raus. Kreislauf stabilisieren nennt Klaus das.

In einiger Entfernung folgen fünf einheimische Männer mit der Karavane von 26 Ponies, jedes beladen mit den grün -neonfarbenen Seesäcken des DAV-Summit Club. Zelte, Hühner, 500 Eier, 100 l Brennstoff, Geschirr, einfach alles, was eine Gruppe von 16 deutschen Touristen und 10 einheimischen Betreuern für 20 Tage Trekking-Tour braucht. Stunden vom Zeltlager entfernt bemüht sich Kazi, der einheimische Führer, um die zwölf Nachzügler der Gruppe. Einige schleppen sich nur noch mühsam vorwärts. Sie haben Durchfall und erbrechen sich oft. Kazi trägt Rucksäcke, besorgt Wasser und redet ihnen gut zu. Zwischendurch rennt er kurz hinauf zur Spitzengruppe, um zu überprüfen, ob oben alles in Ordnung ist. Am späten Nachmittag kommt er mit den letzten ins Lager. Kommentar des inzwischen wohlausgeruhten DAV -Bergführers: „Der faule Sack schafft ja nichs, trödelt nur den ganzen Tag herum.“ Den dezenten Hinweis einer Teilnehmerin, daß es wohl seine Aufgabe sei, sich um die Kranken zu kümmern, quittiert Klaus freundlich: „Sei nicht so verweichlicht, ich kann dir ja schließlich nicht noch den Arsch abwischen.“

Seit einer Woche sind wir jetzt unterwegs. Flug von Frankfurt nach Delhi und weiter nach Srinagar, der Hauptstadt Kaschmirs. Danach geht es mit einem Bus zwei Tage lang auf einer zum Teil ungeteerten und „luftigen“ Straße nach Ladakh. Zwei Tage Besichtigungstour durch die Hauptstadt Leh und die berühmtesten Klöster folgen. Ein großer Wermutstropfen trübt allerdings diese einmaligen Eindrücke: Unser deutscher Reiseleiter hat an Kultur weder Interesse noch die geringste Ahnung. „Inge, lies doch mal bitte laut aus Deinem Reiseführer vor.“ Und dann geht es los auf den 14tägigen Trek. Ziel für die einen sind ausschließlich die 6000 Meter hohen Gipfel, der Weg dorthin nur notwendige und lästige Höhenanpassung. Andere machen sich das Motto des Alpenvereins zu eigen: Der Weg ist das Ziel - was ihnen den Vorwurf „Ihr haltet ja bloß die Gruppe auf“ einbringt.

Warum bin ich hier?

Todmüde und total erschöpft erreichen wir endlich das Zeltlager und fragen uns, warum in aller Welt wir uns im Urlaub so etwas zumuten. Jeder hat so seine eigenen Beweggründe. Heide hakt Länder ab. „Auf dem Kilimanjaro habe ich die Höhe besser vertragen; die Fenster in der transsibirischen Eisenbahn waren genauso dreckig wie die Busfenster hier.“ Luise besucht das lebende Museum. „Ich mußte auf den Baum klettern, damit die Stromkabel nicht mit auf's Bild kommen. Der Sherpa hat auch schon wieder so einen Tirolerhut auf.“ Was interessieren Robert die Menschen? „Ich will nur die Landschaft und die Klöster sehen.“ Hanni liebt Asien. Für ein gutes Photo legt sie sich in ihren knallengen Hosen und weitausgeschnittenem T-Shirt flach vor einen meditierenden Mönch auf den Boden und blitzt ihm voll ins Gesicht. Anschließend versinkt sie in den Lotossitz und möchte in ihrer Meditation nicht mehr gestört werden. Klaus gibt Sprachunterricht; der ausgewählte Fäkaljargon unseres deutschen Reiseleiters ist zweifellos für viele neu.

Die Teilnehmer

Das Merkblatt des DAV fordert von den Reiseteilnehmern: „Sie müssen völlig gesund sein und eine hervorragende Kondition und Konstitution mitbringen (...) Ein überdurchschnittliches Maß an Kameradschaft ist sehr von Vorteil, da 27 Tage lang hautnah zusammenleben schon etwas Toleranz nötig macht.“

Eine bunte Mischung weitgereister weltgebildeter Leute, für die die Berge in Ecuador, Mexico oder Afrika sehr ähnlich sind, trifft sich am Flugplatz zum ersten Mal - zum gemeinsamen Abenteuer. Die überwältigende Mehrheit der Gruppe sind Lehrer, gegen deren Dominanz sich die anderen Berufsgruppen nicht durchsetzen können. Die Leistung wird hart bemessen. Wenn zwei Drittel der Gruppe den Reiseleiter bitten, etwas langsamer zu gehen, meint er: „Wenn ich Euer Tempo gehe, brauche ich ja eine Daunenjacke.“ Es stimmt schon, ohne ein Höchstmaß an Toleranz bekommt man Magengeschwüre!

Schwer atmend gelangen wir auf den 5000 Meter hohen Ganda Ri. Die Fernsicht ist grandios. Die nackten Felswände schillern in allen Farben, kein Umweltschmutz trübt die glasklare Luft, kein Motorengeräusch zerreißt die Ruhe. Tief unten im Tal erblicken wir eine Oase. In der Umgebung eines einsamen Dorfes wiegen grüne Gerstenfelder im Wind. Wir kommen näher: die Wiesen schimmern weiß und blau von Edelweiß und Glockenblumen, ein intensiver Kräuterduft liegt in der Luft. Leise läuten die Schafglocken, und ein Hirte singt... Plötzlich hält er inne. Was sich nun abspielt, hat er wohl noch nie gesehen. Zwischen seine Herde stürmen ein paar Fremde auf die Wiese - jeder mit zwei Skistöcken bewaffnet. Sie rammen die Stöcke über Kreuz in den Boden und setzen sich daneben. In ihren Augen ist zu lesen: Mein Zeltplatz für heute - besetzt!

Nachdem endlich alle angekommen sind, treffen wir uns im Gemeinschaftszelt zum Abendessen. Nach zehn Minuten springt Klaus auf: „Die Dreckskerle sollen uns jetzt das Fressen servieren, sonst gibt's Druck!“ Zustimmendes Gemurmel einiger Teilnehmer. Ulla meint: „Dreckskerle könnte man auch mit Einheimische übersetzen. Normalerweise esse ich. Und vielleicht ist das Kerosin ausgegangen.“ Die einzige Erwiderung: „Ach du mit deiner sozialen Macke!“

Es gießt in Strömen, und allmählich wird es ungemütlich im undichten Gemeinschaftszelt, das unseren einheimischen Begleitern als Unterkunft dient. Der DAV-Bergführer steht auf, zeigt lächelnd zum Zeltdach und meint zu Kazi: „He, da schifft's ja rein! Have a good sleep“ und verläßt das Zelt. Sein DAV-Zelt ist neu und trocken, aber unsere Begleiter werden einmal mehr eine feuchte und kalte Nacht verbringen. „Nicht unser Bier“ - andere leihen ihnen wenigstens ihre Biwaksäcke.

Schande über uns

eine panische Angst verfolgt unsere Gruppe: Über's Ohr gehauen zu werden. Das brächte echte Schande über uns ansonsten ist alles erlaubt. „Die fressen uns das beste Fleisch weg!“ „Woher weißt du das?“ „Das ist immer so, die Drecksäcke bescheißen dich auf jedem Trek, wo sie nur können.“

Trinkgeld zum Abschied

Endlich sind sich alle einmal einig. „Gebt ja nicht zuviel Trinkgeld, sonst werden die durch den Tourismus verseucht. Dann schaffen sie erst recht nichts mehr und versaufen alles. Heute habe ich einem erklärt, auf was ich alles verzichten muß, um mir diese Reise leisten zu können. Diese einheimischen Trekking-Begleiter gehören sowieso schon zu den Privilegierten.“

Die Privilegierten

Die „privilegierten“ Einheimischen, die für uns kochen, die Pferde beladen und mühsam über die Pässe treiben, bekommen von ihrer Agentur 80 Mark im Monat, natürlich nur für die viermonatige Sommersaison. Den Rest des Jahres müssen sie sich irgendwie durchschlagen. Die einheimische Agentur steht auf dem Standpunkt, daß sie ihr Geld durch Trinkgelder verdienen müssen. Jeder Teilnehmer reißt sich dann nach langen Diskussionen 20 Mark für 10 Leute für 20 Tage von der Seele... „Ich lasse ja außerdem meine alten Klamotten hier.“ „Meine sind aber ganz dreckig.“ „Das macht gar nichts - die waschen die schon und verscherbeln sie dann auf dem Markt.“ „Gebt ihnen lieber Geld, damit sie sich ihre eigenen Kleider kaufen können, unsere Altkleider zerstören die einheimischen Märkte.“ „Ach, entwicklungspolitisches Geschwätz!“ Und so stapeln sich am Ende der Reise alte Unterhosen, stinkende Socken, verschwitzte T-Shirts auf einem großen Haufen - und werden ganz „gerecht“ verteilt.

Willkommen in Ladakh

„Möchten Sie, daß noch mehr Touristen nach Ladakh kommen?“ Nach langer Diskussion zieht Kazi das Fazit: „Ja, denn ohne Touristen kein Job, mit Touristen ein Job - so einfach ist das. Aber ich würde mir wünschen, daß sich die Teilnehmer und wir als eine Gruppe verstehen und gemeinsam zum Gelingen eines Treks beitragen. Ansonsten zähle ich die Tage, bis Ihr weg seid.“ Sein Freund, ein Regierungsangestellter, sieht es allerdings anders: „Seit 1974 die Touristen kamen, hat sich alles verändert. Unsere Klöster wurden zu Museen, die Eintritt verlangen. Unsere alten Kulturgegenstände werden außer Landes verkauft. Wir tragen unsere einheimische Kleidung nicht mehr. Nur noch Geld zählt, und dabei werden die ohnehin Reichen noch reicher und die Armen noch ärmer.“ Fazit von Reiseleiter Klaus: „Diese Gruppe hat endlich kapiert, um was es hier geht. Und hat diesen faulen Säcken nur wenig Trinkgeld gegeben. Keine Leistung, kein Geld, das müssen die eben mal kapieren. Das sind im übrigen nicht nur Drecksäcke, sondern Dreckärsche.“

Noch heißt uns die Bevölkerung Ladakh's willkommen, und es hängt von unserer Einfühlsamkeit ab, ob das in Zukunft so bleiben wird. Gerade einer Vereinigung wie dem Deutschen Alpenverein, der in den Alpen zu Recht für die Erhaltung von Natur und Kultur kämpft, würde es gut anstehen, wenn sein Kommerzzweig, der DAV Summit Club, diesen Schutzwillen auch in anderen Gebirgen beherzigen würde. Doch dazu müßte er die Leitung solcher Reisen nicht in die Hände eingebildeter Gipfelstürmer, sondern in die ausgebildeter Bergführer legen, denen Berge und Menschen - Touristen wie Einheimische - am Herzen liegen. Eine intensive Vorbereitung der Gruppenteilnehmer ist ebenfalls dringend notwendig. Es wäre schon viel gewonnen, wenn sich Bergführer und Teilnehmer einer solchen Trekking-Tour die wenigen Verhaltensregeln zu eigen machen würden, die der Internationale Verein der Alpinistenverbände in seiner Erklärung von Kathmandu (Nepal) aufstellt: „Effektiver Schutz der Berggebiete, ihrer Flora, Fauna und ihrer Naturschätze. Beschränkung des negativen Einflusses der menschlichen Aktivitäten. Respektierung der kulturellen Überlieferung und der Würde der einheimischen Bevölkerung.

Die Namen der Teilnehmer wurden von der Redaktion geändert