Wir sind eine Million Jahre alt...

■ Ein milder Rückblick auf die euphorischen Jahre der Frauenbewegung. Von Maria Neef-Uthoff

Zuerst dachte ich, es muß schön sein, von der Euphorie zu erzählen. Frauenbewegung, das war 1975 Gefühlsbewegung. Aber es ist alles so oft erzählt worden. Fast jede Frau hat dazu irgendetwas aufgeschrieben. Damals, als es hieß: Frau, schreib das auf.

Aber was waren das für Gefühle, betrachtet aus der viel kühleren Sicht von heute?

Was war das für warmes Blut, das durch die Adern schoß, oder strömte oder sich dort staute?

Energetisch betrachtet war es wohl eine Ansammlung guten Willens, die sich in Energie ausdrückte.

Wir sind Frauen, wir sind viele, und wir haben die Schnauze voll hieß die Parole.

Bist du eine Frau, bis du gut, und kannst nichts dafür, war die Botschaft. Mir tat es gut, gut zu sein.

Wir waren die Bauern oder feministisch ausgedrückt, die Bäuerinnen, während die Königinnen sich schon zankten. Entweder 'Courage‘ oder 'Emma‘, hieß es in Berlin. Wer 'Emma‘ las, war eine Verräterin. Wer 'Courage‘ las, gehörte dazu. Aber wir Bäuerinnen hielten zusammen. Da wurde ein Auge zugedrückt, wenn eine vom anderen Königreich erzählte. Da durften wir Frauen lieben, obwohl wir hetero waren.

Außerdem waren die Frauen im Recht. So sehr im Recht und gleichzeitig so viele. So geübt im Leben-Können, und im Sich -auf-eigne-Art-doch-Durchsetzen, und nicht Gleichzeitig -alles-verlieren-Müssen, waren nur die Frauen. Weil sie im Recht waren - es bis heute sind -, konnten sie getrost mal loslassen, mal spielen und feiern.

„Und wenn man eine Frau ist, wird man oft von einer plötzlichen Bewußtseinspaltung überrascht, zum Beispiel, wenn, während sie Whitehall hinabgeht, sie aus einer natürlichen Erbin dieser Zivilisation plötzlich im Gegenteil zur Außenseiterin wird, fremd und kritisch.“ So beschrieb Virginia Woolf diesen Perspektivenwechsel.

Neben den laufenden und beginnenden Aktivitäten wie dem Kampf gegen den §218, Sommeruniversitäten, Frauenzentren, Frauenhäuser, Beratungsläden, Rechts- und Abtreibungsberatungen stand der große ideologische Anspruch: Selbsterfahrung. Selbsterfahrung kam aus Amerika. Jede Frau sollte sich selbst erfahren, um Vertrauen zu sich und den anderen Frauen zu bekommen.

Selbsterfahrung lange vor dem Entdecken des Körpers.

Selbsterfahrung um sich selbst zu lieben.

Frauen waren sich feind, hieß es, und das sollte sich ändern. Frauen sollten sich lieben, auch einander, und alte Feindschaften begraben.

Selbsterfahrung barg die Gefahr des Wegführens von der Politik.

Selbsterfahrung war das Mittel zur Verschwesterung.

Dort wurde für eine kurze Zeit Konkurrenz ausgeblendet. Mitte der siebziger Jahre, zu den Hoch-Zeiten der Frauenbewegung vermieden die Frauen die Mißachtung der anderen. Auch offensichtliche Machtgefälle in den einzelnen Gruppen, selbst in den Selbsterfahrungsgruppen, wurden zunächst ignoriert. Für kurze Zeit waren wir stolz aufeinander, und freuten uns über jede „Neue“ Frau.

Der Feind war der Mann. Damals entdeckten wir jeden Tag neue Eigenschaften am Mann, die uns abstießen, und uns gleichzeitig die Möglichkeit gaben, frei zu werden.

Keine Akzeptanz, keine Kompromisse, knallhart.

Für einen Kampf gerade das richtige Klima. Innen reibst du dich nicht auf, sondern wirst von deinen Schwestern gehätschelt bis geliebt, und außen bist du verschlossen, bissig, bereit, etwas zu verlieren. Und darum viel einzusetzen.

„Außer Männern gibts für uns nichts zu verlieren“, sangen damals die Flying Lesbians, die erste Frauenrockband in Berlin. Genau darum ging es. Man wollte ihre Anerkennung nicht mehr, man wollte ihnen nichts mehr erklären, man konnte so tun, als wären sie gar nicht da. Und war doch mal einer da, einer den man (frau) versehentlich immer noch liebt, so war das ein Problem, dem man sich nicht unbedingt stellen wollte.

Ich bin immer noch mit einem Mann zusammen, sagte ich (Betonung auf Mann) und meinte das auch so. Ich war überzeugt, daß sich dieses Relikt irgendwann abschaffen ließ. - Obwohl er eigentlich ganz lieb ist, dachte ich mit schlechtem Gewissen und einer gewissen Schwere im Herzen.

Männer waren Schönheitsfehler, die in meinen Gruppen keine wirkliche Rolle spielten. Bei den anderen fanden sich auch solche Schönheitsfehler. Das Leben mit dem Mann war nicht toll. Ich war gereizt. Bei jeder Frauenfeindlichkeit von ihm wurde ich wütend. Bei jedem Film, den wir sahen, schimpfte ich über Frauenfeindlichkeit. Er war empört, ich war empört. Die Ursachen waren verschieden.

Die Überzeugungen der Frauen wurden mit den Jahren vielfältiger. Mit der Zeit merkten viele auch, daß sie Männer nicht grundsätzlich als emotional überhaupt nicht vorhanden ansehen konnten. Manche Frauen waren so „frech“, darauf zu bestehen, weiter Männer zu lieben. Man konnte auf die Dauer nicht hingehen und sie ausschließen.

Es bröselte an allen Ecken und Enden der zugleich kuscheligen und kämpferischen Fraueneinheit. Neue Ideen kamen dazu. In den Selbsterfahrungsgrppen wurden die „Macherinnen“ doch schließlich kritisiert. Wir waren zu intelligent, um uns länger dem inneren Druck der auferlegten Einseitigkeit zu unterwerfen. Fragen gab's genug. Theorie half, diese Fragen zu stellen, half bei der Beantwortung.

Schließlich waren wir Mittelklasse. Unsere damaligen Beratungspläne gingen daneben. Der erste Frauenladen in Berlin, die „Charlotte“ in der Seelingstraße, mußte bald nach dem fröhlichen Eröffnungsfest wieder schließen. Niemand im Kiez wollte sich von uns beraten lassen. Auch an der Uni boten wir in einer „Fraueninitiative“ Beratungen an. Manchmal kam eine Frau, aber die machte dann auch gleich lieber „richtig“ mit, beim Besprechen, Organisieren ud Planen. Für Wünsche war alles offen. Die Phantasie war unbegrenzt. Mich hat das immer an eine Mädchenschule erinnert, wo fernab von der Welt die eigenen Träume Gestalt annehmen dürfen. Nur, hier ging es um die Wirklichkeit, hier waren wir alles andere als fernab von der Welt. Und das verschaffte uns den Genuß des Eroberns.

Bei mir, wie bei vielen anderen, fing es eigentlich mit Simone de Beauvoir an. Viel eher, damals, als in der 68ern ihre Erinnerungsbücher herauskamen. Da saß ich im Park, und statt mich auf mein Abitur vorzubereiten, las ich Simone.

Es sah so aus, als sei sie die einzige, die sich mit Frauenfragen beschäftigt hatte. Niemand hatte uns etwas gelehrt. Dunkel hatte ich mal von Suffragetten gehört, aber das war auch alles.

Glück hatten wir, daß es die Amerikanerinnen gab. Die waren schon mitten drin in der Frauenbewegung und hatten einiges geschrieben. Kate Millet, Sulamith Firestone, Phyllis Chesler, das war das Muß der damaligen Zeit. Und richtige Entdeckungen: Hedwig Dohm, Olympe de Gouges, Mary Wollstonekraft aus den anderen Zeiten...

Aber worüber wir nichts wußten, nur ahnten, war die Geschichte der Frauen allgemein, was sie gemalt, geschrieben, geforscht haben. Warum niemand an ihrem Wissen interessiert war. Die Hexen wurden entdeckt. Einige Jahrhunderte der Ausrottung von Frauen, die bis dahin verschwiegen worden war. Stück für Stück ordnet sich das Wissen über die Verleugnung des Weiblichen. Über ihre sexuelle Erniedrigung. Bis heute wird geforscht, gesucht und getrauert.

Wer übrigens eine Zusammenfassung über die Anfänge der Frauenbewegung lesen will, sollte das 'Emma'-Buch von Alice Schwarzer nehmen, dort sind, wenn auch kurz und nicht immer ganz vollständig und natürlich auch polemisch, die ersten zehn Jahre der Frauenbewegung dokumentiert. So fing es an! heißt es.

Die Frauen seien zwar körperlich schwächer als die Männer, aber sie verfügten über dieselben intellektuellen und kreativen Fähigkeiten, wie zahlreiche Herrscherinnen, Philosophinnen, Dichterinnen, Malerinnen, Wissenschaftlerinnen, Erfinderinnen und Prophetinnen erkennen ließen.“ Wenn die Frauen erst einmal dieselbe Ausbildung wie die Männer erhielten, dann würden sie wie die Männer in allen Bereichen der Kunst, Wissenschaft, Philosophie und Politik herausragende Dinge vollbringen.

Dies hat eine Frau gesagt, die schon lange tot ist.

Sie hat nicht in diesem Jahrhundert gelebt und auch nicht im vorigen.

Es handelt sich um Christine de Pizan, die 1364 in Venedig geboren wurde und 1430 in der Nähe von Paris gestorben ist. Ihr Vater war Arzt und unterstützte ihre Studien und intellektuellen Neigungen. Allerdings mußte sie dennoch mit 15 einen alten Mann heiraten, der zehn Jahre später starb. Geld war dann aber keins da, so daß sie sich ihren Lebensunterhalt selbst verdiente. Sie begann mit dem Schreiben.

Mit einer Epistre au Dieu d'Amours (Sendbrief an den Gott der Liebe) löste sie im damaligen Frankreich die erste öffentlich geführte Literaturdebatte aus.

Körperliche Stärke der Männer hatte die Frauen zum Schweigen gezwungen. Pizan war eine Kämpferin für die Rechte der Frauen, ihre sämtlichen Veröffentlichungen drehten sich darum. Und sie hat von ihrem Schreiben leben können.

Warum ich gerade sie anführe in einem sentimentalen Rückblick auf die starken Jahre der Frauenbewegung?

Weil es sie schon vor uns gegeben hat. Lange vor uns, lange vor der sogenannten ersten Frauenbewegung. Sie ist einer der Beweise, daß es uns schon immer gegeben hat. Vereinzelt zwar, aber wachsam. Einsam zwar, aber erfolgreich.

Was sangen die Flying Lesbians 1975? „Wir sind eine Million Jahre alt, / doch was haben wir daraus gelernt? / Wir durften nie wir selber sein, / noch immer sind wir uns so fern. / Wir sind eine Million Jahre jung, / doch alt genug, um zu kapieren, / daß wir Frauen alle zusammengehören, / denn außer Männern gibt's für uns nichts zu verlieren.“