In der Wildnis der Differenz - ohne gesichertes Hinterland

■ Feminismus taugt nicht als Säule im Parteiprogramm / Ermüdend sind die Kämpfe um die richtige Linie, lähmend der Anspruch, die „beste“ Feministin zu sein / Es geht um eine Politik, die Unterschiede anerkennt

Gisela Wülffing

In der Wildnis der Differenz - ohne gesichertes Hinterland“, das klingt nach romantischer Verlassenheit, nachhaltiger Beschwerde. Es klingt auch nach Verlockung und Wagemut. Das Thema, mit dem ich mich beschäftige, scheint eher trocken. Es geht um die Frage, wie es in einer quotierten Gesellschaftsordnung weitergeht und inwiefern Feminismus als Gütesiegel für die „Fortschrittlichkeit“ eines Parteiprogramms tauglich ist. Dabei frage ich mich und andere Frauen, warum wir uns ausgerechnet in einer Zeit „mutterseelenallein“ fühlen (müssen), in der die Frauen insgesamt ein Bewußtsein ihrer Stärke und ihres Wertes entwickelt haben, wie es im Großen und Ganzen vor 20 bis 25 Jahren nicht vorhanden beziehungsweise wieder verschwunden war.

Von den Auswirkungen am Mittun unserer Mütter für ein diktatorisches Tausendjähriges Reich auf die Protagonistinnen der jüngeren deutschen Frauenbewegung bin ich überzeugt. Die noch nicht vergangene Geschichte ist unser Erbe, die erwünschte Souveränität kann da nur brüchig sein.

Dieses mitdenkend wende ich mich den Strategien der Frauenzusammenhänge zu, die ja nicht mit einem großen (Tomaten-)Wurf festgelegt wurden. Heute muß eher jeder Wurf sitzen. Sei es in Form von Beschlüssen, Gesetzestexten oder Positionen. Dieses Politikverständnis: fördert das möglicherweise eine Gesetzmäßigkeit, die keine wollte? Emanzipation als individuelle Stufenleiter: „Jede für sich nach oben - und im Leid der Unterdrückung ganz eng unten zusammen?“ Hier die Balance herauszufinden für die gemeinsame Inanspruchnahme unserer Rechte und Möglichkeiten, ohne jede gleichzumachen, gleichmachen zu wollen, scheint mir zur Zeit die spannendste Aktion.

Die anerkannte Ungleichheit/Unterschiedlichkeit könnte den Kampf um die richtige Linie des Feminismus beenden. Denn befinden wir uns nicht in der widersprüchlichen Situation, daß der Feminismus als Ausdruck unserer Intereressenlage und Betrachtungsweise erstarrt zu sein scheint, während an allen Ecken und Enden Gleichstellungs-Frauen und Frauenprogramme Furore machen?

Katharina Rutschky aus Berlin sprach anläßlich der Pornographie-Anhörung der Grünen Anfang September über Porno, Sexualität und Sexualrepression aus historischer Sicht. An die irritierten Zuhörerinnen stellte sie mit Freud die Frage: „Was will das Weib?“ und antwortete lieber gleich selbst: „Man könnte meinen, sich beschweren!“

Solcherart von der ehemaligen Lehrerin frech belehrt, erfuhren wir während der Debatte um die Grenzziehung von gewalttätiger und erotischer Pornographie - um die es an diesem Tag eigentlich ging - etwas von den ideologischen Wurzeln der Frauenbewegung, die als unerwartete Provokation gegenüber dem interessierten Publikum erst ihren Reiz ausmachten. Die wohlanständigen Anfänge der Frauenbewegung stecken im Bürgertum - daran erinnerte Katharina Rutschky -, und außerdem sei die Frauenbewegung eindeutig eine Aufsteigerbewegung. Die Anwesenden im Saal fühlten sich etwas auf den Rockzipfel getreten. Wenn nun jede Frau für sich aufsteigen will - sind dann diese Wurzeln ein Hinweis darauf, warum es einerseits so aussieht, als habe sich sehr wenig für die Frauen in den letzten Jahrzehnten verändert, während uns gleichzeitig unsere Gegenwart wie neu erscheint? Und zwar immer wieder.

Das sind krause Gedanken über Klassenunterschiede und Klassefrauen, weil ich wissen möchte, wie politische Interventionsmöglichkeiten für Frauen jeglicher Herkunft entwickelt werden können. Besonders in einer Zeit, in der nicht mehr die unmittelbare Empörung und Wut über die eigene Diskriminierung das Einende ist. Auch wenn sie nicht nach Mädchen-Lyzeum riecht, ist die institutionalisierte Parteilichkeit für Frauen oft mit dem Gestus der besorgten scharf-blickenden Mutter verbunden.

Ich habe die Beobachtung und Erfahrung gemacht, daß immer dann das Helferinnen-Syndrom zum Vorschein kommt, wenn die unterdrückte Frau als Idealmodell herhalten muß, um von den versteckten Aggressionen und der unausgelebten Lust auf Gestaltung und Expansion abzulenken. Nicht nur die Frauen, die in Frauenhäusern arbeiten, wissen allzu gut, daß sich als Opfer gut kämpfen läßt. Vorzugsweise im Krieg der Geschlechter. Kein sicheres Eiland

Kampf - ein Begriff, denn ich mir in den sozial-liberalen Straßenkämpfen stolz angeeignet habe, der sich aber leider nicht in der Auseinandersetzung mit der geschlechtsbezogenen Herrschaft bewährt hat. Eine Erfahrung, glaube ich , die bis heute - auch und gerade in den Grünen Frauenzusammenhängen vehement bestritten wird. Dies wurde jüngst auf dem „Perspektivenkongreß“ nachhaltig bestätigt. Dort kämpften Frauen um Frauen-Kampf-Begriffe, als sei die Eroberung vom Wort Feminismus die Gewähr für sicheres Eiland und den endgültigen Sieg über Männerherrschaft. In dem einen Saal wurde Feministin als professioneller Status beklatscht, während im Nachbarzelt parallel und von jeglicher neuer Frauenkultur unberührt, die Platzhirsche und -kühe sich Mehrheiten ertrampelten.

Mir scheint, wir haben uns zu lange beholfen mit der Gleichsetzung von Frauenbefreiungsbewegung und anderen Befreiungsbewegungen in der Welt. So, als könnten Frauen sich als Geschlecht gleichsetzen mit Klassen und Rassen.

Die feministische Forschung auf der Suche nach den Ursachen hat zutage gebracht, daß der „Fortschritt an der Befreiung der Frau nicht länger allein im bösen Willen des Mannes gesucht und auch nicht nur in der Willensschwäche der so lange in Abhängigkeit gehaltenen Frau (gesucht werden kann). (...) Entscheidend ist die andersartige Struktur geschlechtsbezogener Unterdrückung, zu deren Wahrnehmung, Beschreibung, geschweige denn Beseitigung die auf Klasse, Rasse, Nation und so weiter ausgerichteten Diskurse kein zureichendes Sensorium beziehungsweise Instrumentarium besitzen.„1 Verrat und Verlassenheit

Hier bin ich wieder an meinem Ausgangspunkt angelangt: Die Frauenbewegung hat sich differenziert, Emanzipation funktioniert nicht gleichgeschaltet und dieses wird als Schwäche empfunden. Als ein scheinbarer Mangel, der vor allem mit den klassischen linken Kategorien wie „Verrat/Karriere/Reaktion“ bekämpft wird. Der Weg und der Erfolg frauenbezogener Politik scheint in der Verwobenheit mit dem Parlamentarismus nur denkbar in einer geschlossenen Phalanx einheitlicher Parolen, die einzuhalten keiner gelingen wird und auch noch nicht gelang. Statt dessen plädiere ich heute für mehr Gelassenheit angesichts des gewachsenen Selbstvertrauens und schließlich auch für die Lust an Veränderung, die eine erstarrte Feministin nicht vermitteln kann. Wie sonst können wir ein Beziehungsgefüge zwischen Frauen aufbauen, das endlich mal nicht mehr männlicher Macht zugute kommt?

Überlegungen, die als kleines Resümee der letzten zwanzig Jahre von mir als berufstätiger Frau, politischer Aktivistin und nicht zuletzt auch auf der Tatsache beruhen, in der Frauenbewegung Feuer gefangen zu haben.

Das Wir in der damaligen Bewegung, mit dem wir uns immer die Einheit von Politik und Privatem erhofften, war dieses Wir jemals identisch mit unseren vielen Ichs? Viele Frauen oder einige zumindest haben sich vielleicht deswegen in die Privatsphäre so weit zurückgezogen, weil der enttäuschte Traum von einer „gesamtideellen“ Feministin als Versagen der Frauenwelt verstanden wurde. Können wir es uns heute nicht leisten zuzugeben, daß dieses Ideal an unerwarteten Stellen, in unterschiedlichen Phasen damals und heute mehr oder weniger durchlässig gewesen ist? Je nach dem Gefühl der eigenen Stärke in der Beziehung zum Mann, Bruder, Vater, Onkel, Sohn, Kollegen.

Von mir kann ich sagen, daß die Situationen der Verlassenheit durch Mitstreiterinnen, meine eigenen Fälle von „Verrat“ gegenüber meinen Freundinnen wegen „ihm“ und dazu noch die zunehmende Vereinzelung das schöne, dick aufgetragene Gemälde der allzeit bereiten Kämpferin für die Sache der Frauen immer mehr zu einem schillernden Holographie-Bild haben werden lassen. Seltsamerweise hat sich durch den Abgesang auf das Ideal der militanten „Vollzeitfeministin“ nicht das Gefühl von Resignation durchgesetzt. Enttäuschung, Wut und Kleinmut sind nichts gegen das Erkenntnisinteresse und das Vergnügen, mit anderen dort gemeinsame Fäden zu knüpfen, wo sie, für meine Augenschärfe zumindest, erkennbar sind.

Dewegen argumentiere ich vehement gegen die Tendenz gerade in den Zeiten einer größeren Individuation Emanzipation, politisches Programm und spontane Bewegungen sich krallen zu wollen, damit sie als Thema „besetzt“ sind, wie es strategisch heißt. Säulentheorien,

Säulenheilige

Wenn in der Auseinandersetzung um die richtige Frauenpoliitk als Utopie genannt wird, den Feminismus als fünfte Säule der Grünen Partei zu installieren, wird der Katzenjammer nicht ausbleiben. Schon jetzt gibt es Desillusionen im großen Stil, weil Frauen nicht so lupenrein sind, wie man sie möchte. Feminismus funktioniert erst recht nicht als „Säule“, er liegt quer zu allen Säulen der Gesellschaft. Und wie verquer! Wie sonst käme eine Grüne Kommunalpolitikerin auf die Idee, mit einem makabren Vergleich ihre immer wiederkehrenden Anstrengungen zu beschreiben, mit denen sie sich im Parteienklüngel Gehör und Akzeptanz zu verschaffen versucht? „Ich habe manchmal die Vision, ein Affe zu sein, dem man ein menschliches Gehirn implantiert hat, der also genauso denken und reden kann wie die Männer, aber immer wieder diese Fähigkeiten beweisen muß, weil man vergißt, daß er beziehungsweise ich eine von ihnen bin.“

Sie ist anders - mit der quotierten und im Grundgesetz verankerten Gleichberechtigung im Jahre 1988. Nur wenn Frauen vergessen/verdrängen, daß sie im Grunde Affen sind, können wir wohl daran glauben, daß ein linearer Machtzuwachs alleine reicht.

So wenig hilfreich wie das Streben nach dem männlichen Ideal ist allerdings die Erwartung einer gegenseitigen vorbehaltlosen Unterstützung. Schon früher machten wir es uns mit den Aufrechnungen gemütlich: „Ich sage Dir, daß Du arm dran bist, wenn Du mir sagst, daß ich gemein behandelt werde.“ Heute kommt eine neue Dimension unter verschärften Bedingungen hinzu. Heute soll Frauensolidarität die jeweils uneingestandenen Machtgelüste und Führungsansprüche realisieren helfen.

In den Strukturen und Sachzwängen der politischen Bühne, die nicht von Frauen geschaffen wurden, aber in denen sie sich bewegen und bewähren müssen (müssen sie?), findet das Hase-und-Igel-Spiel statt. Jede Frau möchte die anderen als Staffettenläuferinnen haben, damit sie selbst ans Ziel kommt. Aber welches Ziel ins Auge gefaßt wird, ist vor lauter schöner Frauenpräsenz im Bundestag unklar geworden. Bis jetzt haben die vielen weiblichen Abgeordneten in der Schlacht um weibliche Emanzipation keine anderen Maßstäbe gesetzt, als daß man sich dem Druck beugen muß. Ihr anderes Da-Sein mit dem, was als Stärke im Privaten zum Ausdruck kommt, ihre soziale und kommunikative Kompetenz, diese Verhaltensweisen des weiblichen Sozialcharakters funktionieren entweder als üblicher sozialer Kitt in der Politik. Oder sie kommen als „Unabhängigkeit“ in Gestalt weiblicher Gekränktheit, Intrige oder Naivität zum Tragen. Von Selbstironie vor lauter Angst, die Sachkompetenz abgesprochen zu kriegen, keine Spur. Statt dessen wird vorsichtshalber die Profi-Fassade hochgehalten. Unterdessen verfranst man sich, für Selbsterfahrung fehlt die Luft. An all dem wird deutlich, wie jung die Geschichte von Frauen als Politikerinnen ist. Insofern kein Grund zur Panik. Trotzdem denke ich, daß Richtungsentscheidungen anstehen. Werden die Unterschiede zwischen den Geschlechtern oder die der Parteistrukturen die künftige Diskussion um Frauenrechte und Frauenleben bestimmen?

Abschied und Anvertrauen

Es gilt Abschied zu nehmen vom Bild wandelnder Invalidinnen, stets opferbereit und zum Leiden geboren, um das bisher erreichte Bewußtsein von Frauendiskriminierung nicht nur bürokratisch zu verwalten. Die Grünen Frauen haben ihr gesellschaftspolitisches Verdienst geleistet mit der Erarbeitung des Anti-Diskriminierungsgesetzes. In der Zwischenzeit aber sind wieder Frauen „nachgewachsen“, die mit diesem Entstehungsprozeß nichts zu tun haben, während die anderen Frauen diesen Standard als ihr Eigentum eifersüchtig verteidigen. Diese Blockade läßt sich nur mit intellektuellen Herausforderungen auflösen, die die Präambeln der Frauenbewegung und der Parteistatuten in Frage stellt. Wie sonst läßt sich die „Lust zu siegen“ (wie es Mailänder Feministinnen so treffend formulierten) erhalten oder überhaupt erst herstellen?

Christina Thürmer-Rohr, die mit ihrem Begriff von der „Mittäterschaft von Frauen“ provozierte, läßt sich inspirieren durch „das leidenschaftliche Interesse an der Frau“. Diese Leidenschaft, die Frauen erst eine Identität verschafft, droht während der Verrechtlichung verschüttet zu werden, Frauen müssen Rechte haben. Ich befürchte, daß sich das schwache politische Wir innerhalb der Grünen mit dem autobiographischen Ich zersetzt, statt sich gegenseitig zu befruchten. An anderer Stelle habe ich davon gesprochen, daß wir „Verschwörerinnen-Cliquen“ bilden müssen und ein Stenogramm für Partisaninnen kreieren sollten, um diese Blockierung aufzulösen. Vielleicht aber ist der Weg noch direkter und einfacher, um andere Maßstäbe zu setzen als Leistungswahn und Denkverbot.

Wie wäre es mit einem Feminismus als Grundlage einer Politik, in der die „Praxis des Sich-Anvertrauens“ immer wieder gewagt wird? Daraus könnte ein Netz von Beziehungen geschaffen werden, das sich in Politik und Gesellschaft auswirkt.

Die Italienerinnen sehen in der politischen Praxis des Sich -Anvertrauens zweier Frauen einen Weg, mit dem „eine parallele weibliche Welt aufgebaut (werden kann) als Ort der Kraft und der Macht, als Fixpunkt der Autorität„2. Das Mutter-Tochter-Beziehungsgefüge wird deshalb gewählt, weil „ohne Anerkennung für die Mutter ist die Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht ein Verhängnis, das auf Dir lastet und Dich bestimmt, ein Unglück„3. Aber wir erfahren leider nicht, wie man dieses Vorbild finden kann, das uns befähigt, die Öffentlichkeit zu einem Ort zu machen, an dem die weibliche Stimme, der weibliche Körper, heimisch wird und die Frau ihre Fremdheit ablegt. Sie erinnern uns mit ihrem Vorschlag aber daran, daß den Töchtern im Gegensatz zu den Söhnen immer die Erfahrung fehlt, daß sie von ihrer Mutter begehrt werden. Dieser prägende Mangel der Frauen läßt deswegen vielleicht Großzügigkeit gegenüber den vielen Wünschen der Frauen nicht zu, zensiert Begierden, die sich dem abstrakten Gleichheitsgedanken widersetzen und deswegen als Schwächung der Bewegung zensiert werden. Es ist aber eine Gleichheit, die trügerisches Hinterland ist und einsam macht.

1 Cornelia Klinger, Andere Leiden - Andere Kämpfe. Kommune, September 1988

2 Das Buch der Gruppe um den Mailänder Frauenbuchladen wird im Oktober im Orlanda-Frauenverlag erscheinen: Wie weibliche Freiheit. Eine neue politische Praxis, herausgegeben von Libreria delle Donne di Milano, mit einem Vorwort von Claudia Bernardoni.

3 eben da