Schwedens Grüne stolpern ins Wahllokal

Am Sonntag scheint bei den Reichstagswahlen zum ersten Mal ein Sieg der grünen Partei Miljöpartiet möglich / Kurz vor dem Ziel allerdings gab's Probleme mit den Steuern / Umweltpolitik war Thema Nummer eins im Wahlkampf  ■  Aus Stockholm von G.Petterson

Bei der Steuererklärung hört für die meisten Schweden der Spaß auf. Nicht, daß sie keine abgeben wollten. Im Gegenteil. „Das ist unsere Pflicht, und es ist unglaublich dumm, es nicht zu tun“, sagt der 57jährige Musiker Leif Kronlund auf die Frage der Zeitung 'Aftonbladet‘. Wie Leif Kronlund denken die meisten Nordländer. Und damit wäre im schwedischen Wahlkampfjahr 1988 bis zur Schließung der Wahllokale um 20Uhr am morgigen Sonntag für Hochspannung gesorgt. Denn ausgerechnet die Partei, die mit dem Anspruch antrat, krumme Dinger aufzudecken und erst gar nicht zuzulassen, die Grünen (Miljöpartiet) nämlich, stolperten fünf vor zwölf im Wahlkampf über das Thema Steuererklärung. Mitte der Woche wurde bekannt, daß Börje Engholm, steuerpolitischer Sprecher der Umweltpartei, seit sechs Jahren schon keine Steurerklärung mehr abgegeben hat. Und wenige Stunden, nachdem sich Engholm zum Rücktritt von seinen politischen Funktionen durchgerungen hatte, stand der nächste grüne Name in den Schlagzeilen: Hakan Josephsson, Spitzenmann der Grünen in Kalmar-Land. Auf seine Deklaration warten die Steuerbehörden seit drei Jahren.

In einer Pressekonferenz witterten die Miljöpartisten, die nach den letzten Prognosen bei 8,1 Prozent liegen und denen damit aufgrund der Vier-Prozent-Klausel der Sprung in den Reichstag sicher scheint, ein „sozialdemokratisches Komplott“ und „Schnüffeleien im Privatleben“ führender Grüner. Beweise für ihre Theorie konnten sie nicht vorlegen. Und dieses verpuffte schließlich gänzlich, als am Abend nach der Pressekonferenz einer der beiden Vorstandssprecher der rund 10.000 Mitglieder zählenden Partei, Bierger Schlaug, von der Polizei mit einem Auto erwischt wurde, das weder versteuert noch versichert war.

Doch nicht nur die Grünen sorgen kurz vor dem Urnengang für Schlagzeilen. Auch Liberale und Centrumspartei (Bauernpartei) fielen aus den von ihnen in langen Wahlkampfwochen gezimmerten Bilderbuchrahmen. Zusammen mit der Moderaten Sammlungspartei (vergleichbar mit der CDU) bilden sie den sogenannten bürgerlich/konservativen Block im Reichstag, der 1985 zusammen 47,9 Prozent der Stimmen holte. Den schwedischen Wählern präsentieren sie sich als kompetente, gemeinsam handelnde Alternative zu Sozialdemokraten und Kommunisten (vpk), die traditionell zusammenarbeiten. Die Gemeinsamkeit war aber dahin, als es in Sachen Einkommenssteuer ans Eingemachte ging. Bengt Westerberg, Vorsitzender der Liberalen, schimpfte seinen Centrums-Kollegen Olof Johansson öffentlich einen modernen Robin Hood, der die Reichen schröpfen wolle. Im Gegensatz zu den Liberalen plädiert Johansson für eine Entlastung der unteren und eine stärkere Belastung der höheren Einkommen.

Gelassen beobachten die Sozialdemokraten die Ereignisse der letzten Wahltage. Unbeschadet ihrer Verstrickungen in weitaus größere Skandale, wie Waffenhandel oder Ministerrücktritte, haben sie nach Meinungsumfragen die Nase vorn, auf ihre 44,7 Prozent von 1985 bis zu 0,3 Prozentpunkte draufgepackt. Eine Zitterpartie steht offenbar nur der vpk (Västerpartiet Kommunisterna) bevor. Zum Sprung über die Vier-Prozent-Hürde fehlen ihr derzeit noch rund 0,8 Prozent. Doch so schlecht sahen die vpkler bisher wenige Tage vor einer Wahl in Schweden immer aus. Geschafft haben sie es jedesmal, dank sozialdemokratischer Leihstimmen.

Ob die Meinungsforscher mit ihren bisherigen Prognosen richtig liegen oder unzufriedene Schwedinnen und Schweden, die aus Protest gegen die Skandale und Skandälchen am Sonntag nicht zur Wahl gehen, ihnen und damit auch den Parteien die Suppe versalzen, ist vollkommen offen. Eines allerdings kann als sicher schon heute festgehalten werden: Daß es den Grünen gelang, die Umweltpolitik zum Thema Nummer eins im Wahlkampf zu machen. Und auch hierzu noch ein Ergebnis der Meinungsforscher: 87 Prozent der Schweden halten mittlerweile eine intakte Umwelt für das wichtigste politische Thema übrhaupt.