„Was ist Selbstverwaltung?“

■ Eine Gruppe jugendlicher LeningraderInnen zu Gast beim „Ring Politischer Jugend“

„Stellt euch einmal vor, in euren Jugendverbänden wären Michael Jackson und Bruce Springsteen Mitglieder.“ So ganz auf westliche Verständigung eingestellt, versuchte einer von 22 jungen Sowjets die Bedeutung des kommunistischen Jugendverbandes Komsomol zu unterstreichen. In der UdSSR seien nämlich viele der großen einheimischen Popgrößen im Staatsjugendverband. Die Gruppe sowjetischer Jugendlicher aus Leningrad war in der vergangenen Woche Gast beim „Ring Politischer Jugend“. Zur Rechtfertigung veranlaßt sahen sich die Sowjets während einer Diskussion über Jugendpolitik. Hier würden Jugendliche nur in politische Jugendverbände gehen, wenn sie dort aktiv sein wollten, erklärte eine Gastgeberin. Warum aber gebe es eine so große Gruppe inaktiver Komsomol-Mitglieder? Ein junger Leningrader gab die Fehler früherer Jahre zu. Heute - im Zeichen der „Perestroika“ - werde jedoch auf niemand mehr Druck ausgeübt, in den staatlichen Jugendverband zu gehen. Statt dessen entwickeln sich zunehmend auch freie Jugendgruppen, die vom Komsomol unabhängig arbeiten. Die Gruppen könnten zum Beispiel zu Umweltthemen durchaus Demonstrationen durchführen. Allerdings bedürfe es für derartige Aktivitäten der Erlaubnis der örtlichen Komsomolorganisation. Und dort müsse man schon einen zuverlässigen Eindruck machen, denn „anti-sowjetische Aktivitäten“ würden nicht geduldet.

Die Diskussion über Jugendpolitik blieb die einzige politische Aktivität, die die im RPJ organisierten so unterschiedlich ausgerichteten Gastgeberverbände den Sowjets gemeinsam boten. Ansonsten organisierte jeder Verband ein eigenes Programm: Die Jungsozialisten eine Stadtrundfahrt, die Junge Union einen Besuch beim Computerunternehmen Nixdorf - das bei den Gästen großen Anklang fand - und die Jungen Liberalen einen Abstecher in eine Discothek. Die Jungdemokraten führten die Gruppe schließlich in den Mehringhof.

Die Struktur dieses selbstverwalteten Gewerbehofes bereitete den jungen Leningradern allerdings Verständnisprobleme. Die Frage „wieviele Mitglieder der Mehringhof“ denn habe, mußte ebenso unbeantwortet bleiben, wie den Sowjets unverständlich blieb, warum junge Menschen hier zu Einheitslöhnen arbeiten, die weit unter einem normalen Facharbeitereinkommen liegen. Einzig das Netzwerk, dessen 2.000 Mitglieder jährlich rund 400.000 Mark zur Unterstützung von Projekten aufbringen, fand respektvolle Anerkennung. Aber das Interesse des Großteils der Gruppe am Programm war zu diesem Zeitpunkt schon denkbar gering, die Jugendlichen wollten ihre paar D-Mark an diesem letzten Nachmittag noch ausgeben. Dennoch: „Es war interessant“, so faßte einer der sowjetischen Jugendlichen zusammen, „all die verschiedenen Meinungen einmal auf einem Fleck zu sehen.“

asa