GÖTTLICHE SELBSTMORDE

■ „Hollywood killed me“ und andere Kurzfilme im Arsenal über vergessene Filmstars

Aus Hollywood kamen die schönsten und großartigsten Lügen, die diese Welt je gesehen hat. Große, dicke Bücher sind geschrieben worden, über Filme und ihre geschichtliche Bedeutung, über Glanz und Gloria Hollywoods. Über die Akteure in Glitzerstadt findet sich nur selten etwas - wenn, dann allenfalls über ihre Erfolge. Hollywood aber war so voller Scheiße!

Neben den Fällen von physischen Wracks, die ihren Erfolg nicht verkrafteten und sich totsoffen, gab es den Abfall, der aus Hollywood weggeschmissen wurde, weil er nicht mehr zu gebrauchen war. Der ulkige Bursche Karl Dane etwa hatte zur Stummfilmzeit einen Riesenerfolg, aber mit dem Aufkommen des Tonfilms machte ihm sein dänischer Akzent den Garaus. Er endete als Würstchenbuden-Besitzer am Eingang seines früheren Studios. 1934 breitete er seine überschwenglichen Zeitungskritiken auf seinem Zimmertisch aus, legte sich drauf und jagte sich eine Kugel ins Hirn.

Etwas pompöser inszenierte James Whale seinen Abgang, der u.a. Boris Karloff mit der Rolle in Frankenstein zum Durchbruch verholfen hatte. Nach einigen Mißerfolgen begann seine Gesundheit zu leiden und 1957 befand der Regisseur von Frankenstein, daß sein Leben zu abscheulich sei, um es länger zu ertragen. Er schrieb einen Abschiedsbrief, ging zu seinem Swimming-Pool und stürzte sich am flachen Ende hinein, so daß er mit dem Kopf am Boden aufschlug.

Der Schauspieler Albert Dekker, der seine Karriere in einem Film von Whale begann, wählte für seine letzte Rolle ebenfalls den glamournen Hollywoodstil: Auf seinen nackten, fett und schwabbelig gewordenen Körper schrieb er mit rotem Lippenstift seine letzten (vernichtenden) Zeitungskritiken, ging ins Badezimmer und erdrosselte sich mit dem Gummischlauch der Handbrause.

Manche planten diese Welt so zu verlassen, wie sie zu ihren Glanzzeiten aufgetreten waren: als Göttinnen. Lupe Veldez, deren Fröhlichkeit und feuriges Temperament ihr den Spitznamen „Mexikanischer Vulkan“ eingebracht hatten, feierte 1944 ihren Abgang. Nach publicity-trächtigen Affären mit Gary Cooper und Johnny Weissmuller, von denen die letztere mit einer Scheidung endete, konnte sie nur noch Cowboys, Stuntmen und andere Nebenrollen der Hollywood-Armee durchhecheln. Hoch verschuldet und von ihrem letzten Liebhaber mit einem kleinen „Andenken“ in der Gebärmutter versehen, beschloß Lupe für immer zu verschwinden: Im heimischen Schlafzimmer, das sie - selbstverständlich auf Kredit - mit einer Riesenmenge von Blumen und Kerzen als Kapelle hergerichtet hatte, kritzelte sie den obligatorischen Abschiedsbrief und schluckte 75 kleine Eintrittskarten in die Ewigkeit. Auf dem seidenen Bett brachte sie nochmal ihre Haare in Form und faltete die Hände zum letzten Gebet, ganz so, wie sie sich ihr Foto zwischen den Schlagzeilen des nächsten Tages vorstellte. Aber wie das mit den kleinen Bösewichtern so ist, verursachten sie dem schon halbwegdämmerten „Vulkan“ Magenkrämpfe. Die ganze Scheiße kam hoch, und Lupe hinterließ eine Kotzspur vom Bett zum Badezimmer, wo sie ausrutschte und mit dem Kopf auf die Luxusausführung ihres Klosetts schlug. Statt des geplanten Stillebens einer toten Hollywood-Göttin war ihr Schlafzimmer mit dem Geruch eines Bahnhofklos erfüllt.

Hollywood killed me heißt der dokumentarische Kurzspielfilm von Christoph Janetzko und Dorothee Wenner, der mit einer fast beschwingten Leichtigkeit diese und andere Hollywoodkarrieren vorführt. Nicht in obiger Ausführlichkeit allerdings, dafür mit einer unterhaltenden (!) Mischung aus nachgespielten Selbstmordszenen und andeutungsvollen Ausschnitten aus originalen Hollywood-Spielfilmen. Eine abgetakelte, ehemalige Hollywoodgröße schiebt ihr Hab und Gut in einem Einkaufswagen durch Glitzerstadt, und gelangt so von Tatort zu Tatort.

Hollywood killed me beläßt es aber nicht beim einfachen Nachspielen der jeweils letzten Momente: „Nur wer von den Stars filmgerecht Hand an sich gelegt hat, durfte es noch einmal tun“, erklären Janetzko und Wenner. Sie haben die Kamera dort aufgebaut, wo die Selbstmordkandidaten gerne selbst eine hätten stehen sehen: „Selbstmord - eine brutal narzistische Angelegenheit.“ Die verwirrenden Bild- und Toncollagen machen den Zuschauer nicht zum mitleidsvollen Voyeur, sondern schaffen Klarheit über das perfekte Ende einer jeden (Hollywood-)Karriere.

Die Wiesbadener Filmbewertungstelle sah die vorgeführten „Selbstmordarten für labile Jugendliche als verführerisch und gefährlich an“, vergab aber das Prädikat „Wertvoll“. Hollywood killed me weidet sich nicht am Elend von menschlichem Film-Abfall, sondern verhilft den publicity -geilen Stars zum verdienten Letzten Geleit: Im Angesicht des Todes hätten sie alles dafür gegeben, nur einmal noch den Löwenanteil der Schlagzeilen zu ergattern.

Neben dem Stummfilm Life and Death of 9413, a Hollywood Extra (USA 1926) haben Janetzko und Wenner noch zwei andere Raritäten zur Uraufführung ihres Fims ausgegraben. Kenneth Angers Puce Moment (1949) überrascht durch seine schreienden Technicolor-Farben und die Sechziger-Jahre -drogengeschwängert-klingende Tonspur, auf der eine näselnde Stimme „I can live of air alone“ singt, während ein dekadentes Hollywood-Starlett ihren Kleiderschrank vorführt und Starruhm schnuppert.

Bruce Connors Marylin x 5 zeigt frühe Amateuraufnahmen der Monroe, wie sie sich auszieht, räkelt, streichelt und unendlich langweilt, während dazu ihr Song „I'm through with love“ erklingt. Durch die mehrfache Wiederholung von Bildern und Tönen kitzelt Connor ein melancholisch-trauriges Gefühl beim Anblick dieser nackten Schönheit hervor, die ihren Abgang zwar nicht ganz so göttlich (wie obige Exemplare) inszenierte, aber wenigstens früh genug, so daß ihr jugendliches Bild als Sex-Göttin für die Ewigkeit erhalten blieb. Torsten Alisc

„Fading Stars„-Kurzfilme im Arsenal, heute und morgen um 22.15 Uhr.