„Ich werde mich nicht auf Reformen beschränken“

Volker fertig, jetzt kommt's Hörnchen: Der Kreuzberger Kandidat der AL und ehemalige RAF-Anwalt Klaus Croissant zu seinem Wahlprogramm  ■ I N T E R V I E W

Die Bezirksversammlung der AL-Kreuzberg hat vergangene Woche den 53jährigen früheren RAF-Verteidiger Dr. Klaus Croissant zu ihrem Direktkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl erkoren. Er schlug seinen Gegenkandidaten Härtig mit 31:15 Stimmen. Croissant, dessen Verteidigung im Stammheimer Verfahren ihm zweieinhalb Jahre Knast und vier Jahre Berufsverbot einbrachte, ist seit drei Jahren wieder als Rechtsanwalt zugelassen.

taz: Was hat dich bewogen, für die AL ausgerechnet in SO36 anzutreten?

Klaus Criossant: Mal abgesehen davon, daß ich seit sechs Jahren dort lebe, betrachte ich meine Kandidatur in dem Wahlbezirk mit dem stärksten Widerstandspotential als Herausforderung gegenüber einem System, das darauf angelegt ist, jede Fundamentalopposition mit seinem ganzen Unterdrückungspotential zu kriminalisieren, zu isolieren, auszuschalten. Das habe ich im Zusammenhang mit den RAF -Prozessen konkret erfahren.

Die von dir verteidigten Gefangenen aus der RAF waren angeklagt, weil sie den Umsturz der bestehenden Gesellschaftsverhältnisse planten und in die Tat umsetzen wollten. Was hat das mit der AL zu tun?

Die AL strebt ebenso wie die Grünen mit Sicherheit nicht die Beseitigung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung an, sondern lediglich ihren „Umbau“. Das heißt: das ökonomische Fundament der Gesellschaft - die Herrschaft weniger Kapitalbesitzer über den lohnabhängigen oder erwerbslosen Rest der Bevölkerung - wird nicht in Frage gestellt. Ich möchte mich nicht darauf beschränken, Schönheitsreparaturen an der Fassade oder Reformen zu fordern. Nach meiner Auffassung gehört die Systemfrage selbst auf die Tagesordnung.

Überschätzt du da nicht die Möglichkeiten einer im Parlamentsbetrieb fest verankerten Partei wie der AL?

Ich weiß, daß viele Autonome in SO36 dazu tendieren, die ganze parlamentarische Ebene rechts liegen zu lassen. Sicher ist, daß revolutionäre Strategien nicht mit dem Stimmzettel verwirklicht werden können. Der Sturz der Regierung Allende 1973 in Chile ist dafür nur ein Beispiel. Das kann aber nicht bedeuten, die parlamentarische Ebene des politischen Kampfes und die dadurch eröffneten Handlungsspielräume einem systemstabilisierenden Reformismus oder der Reaktion zu überlassen.

Parlamentarische Tätigkeit heißt auch, inner- und überparteiliche Kompromisse zu schließen. Wo wären da deine Grenzen?

Beim faulen Kompromiß. Jeder Kompromiß, der die Bedingungen der Unterdrückten im Kampf für eine Gesellschaft frei von Ausbeutung, Faschismus und Krieg stärkt, ist ein weiterführender, ein politischer Kompromiß.

Wo würdest du Schwerpunkte für deine Arbeit setzen?

Im Antifaschismus. In einer Politik, die den völkerrechtlichen Status West-Berlins als Chance begreift. Daß diese Stadt nach dem Viermächteabkommen nicht Teil der BRD ist und auch nicht von ihr regiert werden darf, ist bei vielen zu wenig ins Bewußtsein getreten. Wir müssen durch Aktionsbündnisse und eine verstärkte Kampagnenfähigkeit durchsetzen, daß das Abgeordnetenhaus unsoziale Bundesgesetze nicht nach West-Berlin übernimmt.

Wie siehst du deine Chancen, am 29. Januar 1989 als Direktkandidat für SO36 ins Abgeordnetenhaus einzuziehen?

Wenn alle diejenigen mich wählen, die zur Veränderung der Kräfteverhältnisse auch die parlamentarische Ebene nutzen wollen, sind meine Chancen gut.

Interview: Till Meyer