Soll Vater Staat die Frauen schützen?

Eine Woche nach den Grünen veranstaltete auch die SPD eine Pornographie-Anhörung / Helfen Gesetze gegen die Gewalt gegen Frauen, fragte man/frau sich zwischen der Sorge um eine neue Reglementierung der Sexualität und der Überzeugung, Gewalt und Sexualität seien eine unlösbare Einheit  ■  Von Mechthild Jansen

Nach der grünen Bundestagsfraktion im Abstand von nur einer Woche führte die SPD-Bundestagsfraktion vergangene Woche eine Anhörung Pornographie - hinsehen oder wegsehen? durch. Aber diesmal war es nicht die SPD, die hinterhertrabte, sondern die Grünen hatten eiligst ihre Veranstaltung nachträglich vor jene der SPD plaziert. Die Grüne Diskussion hatte noch manche Verwirrung hinterlassen. Die Mehrheitsmeinung der Fraktion aber schien zu einer Ablehnung gesetzlicher Regelungen zu neigen. Den Minimalkonsens markierte der Wunsch zur Entwicklung einer „erotischen Gegenkultur“. (Genau: neue und GUTE Pornos! d.S.)

Die gründliche Vorbereitung der SPD war ebenso auffallend wie die qualifizierte und breite Liste der geladenen ReferentInnen, ein offenkundiges politisches Signal für ernste Diskussionsbereitschaft.

Die Liberalisierung des Pornographieverbots vor 13 Jahren habe unbeabsichtigt eine „Pornoflut mit wachsender Brutalität“ freigesetzt. Die Porno-Kampagne habe den Frauen dagegen „den Blick geschärft“. Der SPD gehe es um eine „kritische Bestandsaufnahme, ohne komplexe Zusammenhänge auf ein Entweder-Oder zu reduzieren“, erklärte Renate Schmidt, Abgeordnete und Vorsitzende des Arbeitskreises „Gleichstellung von Mann und Frau“. Die Generalisierung von Täter und Opfer sei gerade für Frauen „verhängnisvoll und zutiefst konservativ“.

Es sei der Irrtum der sexuellen Revolution, die vom Stigma der Unzucht und vom Fortpflanzungszwang befreite Sexualität als ein körperliches Bedürfnis wie jedes andere anzusehen. So sei eine „Playboy-Ethik“ entstanden. Jetzt aber gehe es nicht um eine Aufhebung der Liberalisierung, sondern um eine „Sozialisierung der Sexualität“. Ob Vater Staat der richtige sei, Frauen zu schützen, ob die Freiheit der Kunst nicht berührt und Frauen gehindert seien, eigene erotische Bilder zu entwickeln, fragte Renate Schmidt in ihrer Einführung.

In der Debatte gab es mehrere Problemkomplexe. Für Alice Schwarzer ist Pornographie die „Propaganda von Sexualgewalt gegen Frauen und Frauenhaß“. Sexualität und Gewalt seien unlösbar verknüpft. Während sie klar urteilte, bei der „Liberalisierung (hatten) wir alle unrecht“, war die Definition für viele so klar nicht. Einzig die in der Pornographie liegende Gewalt gegen Frauen wollten alle ReferentInnen beheben.

Ein zweites Diskussionsfeld betraf die Frage, ob Pornographie Quelle oder Ausdruck und Teil von Gewalt ist. Professor Eberhard Schorsch sah Pornographie weniger als „Waffenschmiede“ im Kampf der Geschlechter als als ein „Symptom“ für Feindseligkeit im kollektiven Frauenbild der Männer. Dr.Günter Amendt sprach aus der Betroffenheit als Homosexueller und oft zensierter Sexualwissenschaftler. Er warf der Kampagne vor, es werde der „gesellschaftliche Zustand ausgeblendet“. Dadurch verkomme „die sexualpolitische Diskussion zu einem Zeitgeistthema“. Aids, Safer-Sex- und Porno-Kampagne verdienten es, in einem Atmezug genannt zu werden, da gesellschaftliche Probleme konsequent individualisiert und entpolitisiert würden. Er sah nur „neue Reglementierungen“ der Sexualität, ohne sich der Frage nach der Aufhebung der Reglementierung weiblicher Sexualität wirklich zu stellen. Es fiel auf, wie sehr Männer auf die Alleinzuständigkeit der Frauen für dieses Problem setzen und von neuen gesetzlichen Regelungen im Namen der „Zensur“ überwiegend nichts halten. Pornographie verschwände bei neuen Gesetzen höchstens auf dem Schwarzmarkt. Die Verlegerin Claudia Gehrke hielt von einem Gesetz nichts, weil es „die Opferrolle der Frau zementiert“. Frauen würden angeregt, nach ihre Würde verletzenden Bildern zu suchen und dann zu klagen, die „reine Defensivität als Programm“. Was aber angesichts der Tatsache, daß herrschendes Recht und Gesetz die Geschlechterbeziehungen zugunsten des Mannes regelt? Die Mitverfasserin des 'Emma'-Gesetzentwurfes, Susanne Baer, forderte eine Loslösung vom Strafrecht und ein neues Zivilrecht, Rechte für Frauen, klare Benennung der Gewalt-Tatbestände und Schadenersatz wie Unterlassungsansprüche. „Recht organisiert Macht.“

Die Frage nach einem neuen Gesetz blieb umstritten. Ansonsten werde der Rechtsstaat als demokratische Errungenschaft gefeiert; wenn es aber um den Schutz der Würde der Frau geht, sollen angeblich Gesetze nicht weiterhelfen, wunderte sich eine Diskutantin. Schließlich ging es um die Freiheit der Kunst. Dem SPD-Abgeordneten Freimut Duwe lag an Klarheit über den Diskussionsgegenstand, der um das Gegenteil von Aufklärung, nämlich um die Freiheit des Marktes gehe. Er sah noch keine Lösung für die in Gang gekommene Diskussion. „Die fernsehbestimmte Kultur steht erst ganz am Anfang einer die Würde achtenden eigenen Ethik.“ Professor Peter Gorsen bezweifelte, ob eine „befriedete, gereinigte Darstellung“ der Frau in der Kunst wünschenswert sei, die „zwar der feministischen Ethik Rechnung trägt, aber dafür die Reflexion eines erheblichen Teils der gesellschaftlichen Wirklichkeit ausblendet“. Davon abgesehen sei es schwer, die Grenze zwischen kritischer oder verherrlichender Realitätsdarstellung zu ziehen. Die Malerin Gisela Breitlin stellte dem gegenüber: „Jedes ästhetische Urteil ist in Wahrheit ein politisches.“ Dem Zensurvorwurf hält sie entgegen, daß der vorhandene Ausschluß von Frauen aus Kunst und Kultur seinerseits bereits Zensur ist. Das Bild der Frau werde von Männern bestimmt. Frauen hätten selbst nie Gelegenheit, ein eigenes Bild von sich zu entwerfen. Die erotische Kunst der europäischen Tradition sei überwiegend frauenfeindlich. Sie wünscht, daß die Pornographie verschwindet, daß das Geschäft mit dem Körper der Frau und die Kunstzensur für Frauen aufhört. Das wahrhaft gigantische Geschäft mit der Pornographie wurde im übrigen bei der Anhörung eindrucksvoll belegt. Renate Schmidt und Freimut Duwe sahen in ihrer ersten Auswertung deutlichen Handlungsbedarf. Sie wollen das Vollzugsdefizit gegenüber der Gewaltpornographie beseitigen, die Formulierungen des Strafgesetzbuches besonders bei der Definition von Gewaltpornographie präzisieren (Vergewaltigung gilt zur Zeit nicht als Gewaltdarstellung, wenn die Darstellerin „Lust“ oder der Zuschauer „Ekel“ empfindet), die PornodarstellerInnen an den Gewinnen der Produzenten beteiligen und sozialversicherungsrechtlich schützen. Das trotz Aids offenbar als selbstverständlich vorausgesetzte Arbeiten ohne Kondome soll untersagt werden und mehr Finanzmittel und Planstellen für Sexualforschung für Frauen zur Verfügung gestellt werden.

Eine sorgfältige Auswertung will die SPD in den nächsten Monaten folgen lassen.