Wie die Polizei in Bremen regiert

MEK-Beamter hatte Kopien von Fahndungsunterlagen jahrelang zu Hause und warf sie dann in den Müll / Polizei kündigt Strafanzeige gegen Finderin an / Polizeiapparat hat nach der Geiselaffäre freie Hand  ■  Aus Bremen Klaus Wolschner

Ohne Durchsuchungsbefehl, weitere Erklärung und mit der Bemerkung: „Dann muß ich Sie darauf hinweisen, daß wir das auch gegen Ihren Willen tun werden“, drangen die Polizisten in die Wohnung der Bremer Bürgerin ein und gingen als erstes auf die laufende Fernsehkamera zu. Eine Hand wurde vor die Linse gehalten, der Film riß jäh ab. Dann wurden die Fernsehjournalisten rausgeworfen, weil sie „die Amtshandlungen der Polizei“ störten.

Mit den Journalisten verschwand aber auch das Objekt der polizeilichen Begierde: Die Beamten waren auf der Suche nach einer kompletten, unzerstörten Akte mit Fahndungsunterlagen. In der Nachrichtensendung „Buten&Binnen“ konnte die Akte später dem Bremer Datenschutzbeauftragten vor den Augen der Zuschauer übergeben werden.

Kinder hatten die Akte im Müll gefunden und mit nach Hause gebracht. Daraufhin hatte die Mutter in der Redaktion der beliebten Regionalsendung angerufen. Die Akte, so mußte der Polizeipräsident dem innenpolitischen Ausschuß der Bremer Bürgerschaft in einer vertraulichen Sitzung mitteilen, hatte sich ein ehemaliger MEK-Beamter zu Schulungszwecken selber angelegt. In den kopierten Original-Dokumenten waren weder Namen noch Gesichter geschwärzt. Dies sei „gang und gäbe“, meinte der Bremer Polizeipräsident und gab zu: „Das Verfahren zum Datenschutz ist bei der Polizei nicht voll durchstrukturiert.“ Der Polizeibeamte scheint auch keine Probleme dabei gesehen zu haben, persönlichkeitsbezogene Daten acht Jahre lang zu Hause aufzubewahren.

Obwohl der Polizeipräsident am Freitag in der Ausschußsitzung auf heftige Kritik aller vier vertretenen Parteien gestoßen war, rechtfertigte er am Samstag abend in der lokalen Fernseh-Talk-Show das Eingreifen. Die Frau hätte die Akten der Polizei direkt zurückgeben müssen, meinte er. Sie habe die Daten „unbefugt weitergegeben“ und damit gegen einen Paragraphen des Strafgesetzbuches verstoßen. Gegen sie werde Anzeige erstattet.

Die Durchsuchung ohne richterlichen Befehl rechtfertigte der Polizeipräsident mit der Formel der „Gefahr im Verzuge“. Er räumte allerdings ein, daß „die Geschichte optisch keinen guten Eindruck macht“. Sogar dem Vertreter der Bremer CDU im Innenausschuß hatten angesichts des polizeilichen Vorgehens „alle Haare zu Berge“ gestanden. Die Polizei habe offenbar einen Fehler „ausbügeln“ wollen, meinte er zur taz.

Der Bremer Innensenator hat bisher zu dem Vorfall geschwiegen und läßt es zu, daß der Polizeipräsident die Bremer Innenpolitik in der Öffentlichkeit vertritt. Dies ist für den innenpolitischen Sprecher der Bremer Grünen, Martin Thomas, ein Zeichen dafür, daß der Bremer Innensenator nach der Geiselaffäre „auf Tauchstation“ gegangen sei. Der polizeiliche Apparat nutze die Schwäche des Innensenators, um Druck zu machen. Ein Senator, der „mit dem Rücken an der Wand steht, stellt eine große Gefahr dar“, meinte Thomas zur taz.

Paradoxerweise könne der Polizeiapparat nach der Geiselaffäre in Bremen mehr denn je seine Interessen durchsetzen.

So werden derzeit polizeiliche Interessen befriedigt, die noch vor kurzem abgelehnt wurden, „um der Polizei den Mund zu stopfen“. Jüngstes Beispiel: Am vergangenen Freitag, nur drei Wochen nach der Geiselaffäre, sind als „Nachbewilligung“ zusätzliche 1,25 Millionen Mark für neue Polizeifahrzeuge von der vertraulichen Innenausschußsitzung genehmigt worden.

Vor einem Jahr waren in den Haushaltsberatungen dafür nur 880.000 Mark für notwendig erachtet und beschlossen worden.

Radio Bremen hat angekündigt, wegen der Behinderung der Arbeit Dienstaufsichtsbeschwerde einzulegen. Der Bremer Polizeipräsident dazu: „Das läßt mich völlig kalt!“.