THE AGITPROP

■ Ken Currie aus Glasgow in der Galerie Raab

Ein Ausschnitt aus der Bildungsreise des schottischen Malers Ken Currie durch die (Kunst-)Geschichte Europas und das Innere Glasgows:

„Ich besuchte Städte, deren Atmosphäre tiefgreifende Spuren von Geschichte und Tragödie erkennen läßt. Ich erlebte zum ersten Mal den Sozialismus Osteuropas, und gewisse tiefempfundene Überzeugungen wurden dabei erschüttert. Der Höhepunkt jedoch war die Gegenüberstellung zweier entgegengesetzter Erlebnisse des Aufbaus und der Zerstörung, die meine bisherigen Ansichten über Europa zusammenzufassen schien - das des Leger-Museums bei Biot, das, auf einem Hügel im hellen Sonnenlicht Südfrankreichs, wie ein kleines Fragment der Zukunft schien; im Gegensatz dazu die Überreste des KZs Dachau bei München mit seinen Stacheldrahtzäunen, Barracken, Kammern, Öfen und Massengräbern. Dieses Kontrasts war ich mir äußerst bewußt, als ich nach Glasgow zurückkehrte, von der Notwendigkeit überzeugt, eine Malerei schaffen zu müssen, die sich mit diesen Fragen unmittelbar auseinandersetzen würde. Doch nach ein paar Tagen zurück in meiner Heimatstadt wurde ich wieder einmal von diesem 'sozialen Verantwortungsgefühl‘ und von der Notwendigkeit, der Gemeinde als Künstler zu dienen, überwältigt. Diese Spannung zwischen Erfüllung einer tagtäglichen sozialen Aufgabe und dem Drang, 'große Themen‘ zu malen, war - und ist heute noch immer - ein tiefgehendes und hemmendes Problem.„ (Ken Currie: Erklärung zum Werdegang meiner Arbeit 1980-88. Im Katalog des „Third Eye Center“ und der Raab Galerie)

Der junge 28jährige Maler Ken Currie steht unter Druck. Er versucht in seinen Arbeiten - monumentalen Tafelbildern, Filmen und Wandbildern - einen Wettlauf gegen das sich verschärfende konservative politische Klima in England und Schottland, gegen die in Glasgow erfahrene Unterdrückung und Ausbeutung, Rassismus, Neofaschismus und konfessionelle Diskriminierung, gegen die Verdrängung von Geschichte und Gegenwart der Stadt durch eine propere Inszenierung für 1990, wenn Glasgow Kulturstadt Europas wird. Da bleibt Pathos nicht aus. Seine Bilder, von Figuren in kaum noch erträglicher Bedrängnis angefüllt, sind Ausdruck einer gewaltigen Anstrengung. Die innere, beinahe krampfhafte Anspannung, die die Adern an den Schläfen der von ihm Dargestellten schwellen und pochen läßt, hält auch den Maler selbst scheint's unerbittlich gepackt. Wenn er das häßliche Gesicht der Dummheit und Brutalität, wenn er die Männer zu Muskelpaketen und Stiernacken degeneriert darstellt, dann ist sein energiegeladener Malstil nicht frei von einer ambivalenten Faszination durch die exhibitionistisch zur Schau gestellte Kraftprotzerei. Er malt wie ein Einzelkämpfer.

„The Scottish Mercenaries“: Einer der Söldner blickt über die Schulter den Bildbetrachter an in so übersteigerter physischer Präsenz, daß man fast befürchtet, eins von ihm aufs Maul zu bekommen. Blaues Scheinwerferlicht reißt Fetzen der Szene aus der Dunkelheit und umgibt die Körper mit einer Kontur aus Helligkeit, als würden sie in ihrer exaltierten Stimmung zu leuchten anfangen und bald explodieren. Im Hintergrund läuft eines jener Spektakel der Erniedrigung ab, mit denen Currie immer wieder die psychische Verelendung skizziert: Frauen-Catchen. Ein Bild, das nach Angst und Schweiß riecht. Der junge Mann mit selbstgebastelter KluKluxKlan-Mütze, Totenkopf-Emblemen, Tarnjacke und Zündschnur in der Tasche, dem die Söldner auf einer fähnchengespickten Karte ihren nächsten Krieg erklären, ist dem Betrachter schon von anderen Bildern bekannt. Man kann in Curries Bildern das Heranwachsen dieses aktionshungrigen Fleischpaketes verfolgen, der schon im Kinderwagen mit Bomben spielte. In „Boys Night Out“, einer Kapelle von Henkersknechten, die sich mit der Kapuze der Inquisition und der Schirmmütze der Söldner ebenso schmücken wie mit der roten Zipfelmütze der Jakobiner und Hitlermaske, scheint er mit den Söldnern zusammen den Tod aufzuspielen. Unter ihren Füßen zertreten sie einen alten Mann, der noch in Büchern lesen wollte.

Curries Bilder lassen sich mit ihren wiederkehrenden Personen und den bald bekannten trostlosen und menschenfeindlichen Gegenden am Rande der Stadt zu einem einzigen Panorama zusammensetzen: eine gewaltsame Auseinandersetzung bereitet sich vor. Ein wenig hilflos wirkt darin das Attribut, mit dem Currie die Gegner der Gewalt und Hoffnungsträger seiner Bilder versieht: seine Helden sind alle die, die sich trotz der Mühsal ihrer Tage um Wissen bemühen und deshalb Bücher in ihren Händen, Jackentaschen, Einkaufskörben oder Rucksäcken tragen.

In der Erklärung zu seinem Werdegang beschreibt Currie seine Suche nach einer figürlichen Malerei, die er mit den Studien nach Fotografien und Besuchen der Raubtiere im Zoo begann, während an der Malereifakultät der Glasgow School of Art hauptsächlich abstrakte Landschaft gelehrt wurde. Glasgow mit seinen sozialen Problemen wurde für ihn zur Herausforderung, der er sich mit seiner Arbeit stellen wollte. Ganz bewußt orientiert sich sein Stil an Leger, an Malern aus der Zeit der Weimarer Republik und an russischen Künstlern. Die Wiederbelebung dieser Tradition machte ihn unter jungen Künstlern zum erfolgreichen Exoten: bis auf sein zuletzt gemaltes Bild sind alle Arbeiten, die die Galerie Raab jetzt zeigt, schon verkauft.

Katrin Bettina Müller

Ken Currie in der Galerie Raab, bis 9.Oktober, Mo-Fr 10 bis 18.30 Uhr, Sa 10 bis 14 Uhr.