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Statt Funktionären kamen Jugendliche

Während der Bremer Senat im Rahmen der Städtepartnerschaft zwischen den alten Hansestädten „Berufsjugendliche“ nach Rostock schickte, kamen im Gegenzug aus der DDR ganz normale Jugendliche ohne Linientreue und ohne Lust auf Protokoll / Kontakte zwischen den Städten entwickeln sich schneller als erwartet  ■  Aus Bremen Dirk Asendorpf

„Für Leute von der Stasi seht Ihr aber ganz schön jung aus!“ Nicht nur beim Empfang im Bremer CDU-Büro sorgte eine Rostocker Jugendgruppe, die im September für eine Woche in die neue bundesdeutsche Partnerstadt Bremen gekommen war, für Aufsehen. Doch so unfreundlich wie bei dieser Begrüßung durch Aktivisten der Jungen Union wurden die 30 DDR Jugendlichen an anderem Ort nicht behandelt. Im Gegenteil: Karsten Müller, Delegationsleiter und Erster FDJ-Sekretär im Kreis Rostock, lobte immer wieder die „offene Atmosphäre“ in den zahlreichen Gesprächen. „Man merkte auch hier und da etwas Herzlichkeit“, bilanzierte auch Christa Hamann, die Wert darauf legt, Rostocker „Stadtrat“ und nicht etwa „Stadträtin“ für Jugendfragen zu sein.

Reisen ins nichtsozialistische Ausland, kurz NSW-Reisen genannt, sind in der DDR eine begehrte Sache. Um so erstaunter waren die Bremer GastgeberInnen der Rostocker „Jugendreisegruppe“, daß nur fünf Funktionäre dabei waren. „Wir haben immer wieder Bürger getroffen, die sich das überhaupt nicht vorstellen konnten, daß wir ganz normale Jugendliche sind“, wunderte sich Harald von Beibom, eines der älteren Delegationsmitglieder, über die Reaktionen der BremerInnen. Reisevoraussetzung war allein die Mitgliedschaft in der FDJ, nicht aber besondere Linientreue.

Mit kontroversen Diskussionen stellten die Rostocker Jugendlichen das immer wieder unter Beweis. Nicht nur, als sie im Büro der Bremer Grünen herzhaft für und gegen Atomkraftwerke polemisierten, auch in der Frage, wie auf den Affront im CDU-Büro zu reagieren sei, gab es unterschiedlichste Auffassungen. Ein Teil der Gruppe verließ spontan und empört den Raum, der Rest übte sich in diplomatischer Zurückhaltung. „Unsere Jugendlichen haben dabei viel gelernt, zum Beispiel wie man in der BRD mit 18 schon so verknöchert sein kann“, lachte Delegationsleiter Müller noch am nächsten Morgen über den Auftritt der Jungen Union.

Als ein bißchen „verknöchert“ hatte sich auch im Mai die Bremer Delegation erwiesen, die in Rostock den Auftakt der städtepartnerschaftlichen Jugendbegegnungen lieferte. Ausschließlich Funktionäre, davon zwei Drittel über 30 Jahre alte „Berufsjugendliche“, waren zur Aufnahme von Kontakten in die DDR-Hafenstadt gereist. Rostocks staunender Zweiter Bürgermeister Naumann mußte anfangs erst überzeugt werden, daß er tatsächlich die Bremer „Jugendreisegruppe“ begrüßte.

Während die Bremer Delegation in Rostock vor allem am Knüpfen institutioneller Beziehungen interessiert war, hatten die Rostocker Jugendlichen nicht 600 Mark Ost für ihre NSW-Reise bezahlt, um dann nur von Termin zu Termin geführt zu werden. Doch das von der Bremer Jugendbehörde durchorganisierte Programm ließ zwischen Senatsempfang, Stadtführungen, Gesprächen bei Jugendorganisationen und Parteien, Besichtigungen von Kindergärten, Betrieben und Sozialeinrichtungen kaum Zeit für einen raschen Sprint durchs Kaufhaus, um die 95 Westmark in Mitbringsel umzusetzen.

„Ich hatte so meine Bedenken bei dem Programm“, sprach denn auch „Stadtrat“ Christa Hamann bei einer ersten Bilanz der Reise kritischen Klartext zwischen den Zeilen. Schließlich hätten die Jugendlichen in Rostock Urlaub genommen und dafür in Bremen Freizeit erwartet. „Aber wir können das den Bremern nicht verdenken, wir haben es mit ihnen genauso gemacht“, erinnerte sie sich an den Gegenbesuch im Mai.

Im Alltag der deutsch-deutschen Städtepartnerschaft regiert noch mehr das Protokoll als den Beteiligten lieb ist. Als „zartes Pflänzchen“ hatte sie Rostocks Oberbürgermeister Schleiff bei Vertragsabschluß bezeichnet. Vor allem die Bremer Seite war peinlich darauf bedacht, keine Verletzung der vorgestanzten Formeln zu riskieren, die das zarte Pflänzchen umknicken könnten. Immer wieder versuchten die Bremer damit zu gefallen, daß sie sich so preußisch steif gebärdeten, wie sie es offensichtlich von ihren Städtepartnern erwarteten. Doch die zeigten an der deutsch -deutschen Mimikry häufig gar kein Interesse.

Um so tiefer prägten sich denn auch den Rostocker Jugendlichen ihre kurzen Ausflüge außerhalb des offiziellen Besuchsprogramms ein. „Mir gehen die Augen über“, gestand ein junger Werftarbeiter nach dem ersten Tag im bunten Westdeutschland und beim Gedanken daran, daß er am Morgen zuvor noch in Rostock gefrühstückt hatte und nun zwischen Boutiquen, Puff und selbstverwalteten Kulturzentren im Bremer Szene-Viertel Ostertor herumlief: „Ich denk‘, ich träume.“

Weniger traumhaft präsentierte sich dem Ost-Besuch das Wirtschaftswunderland in einem Jugendzentrum. Deren regelmäßige Besucher - fast ausschließlich türkische Jugendliche - berichteten von Arbeitslosigkeit und „Null Bock“ als Normalfall ihres Lebens. „Hätten Sie da nicht gerade die Aufgabe, die Jugendlichen an eine sinnvolle Beschäftigung heranzuführen?“, wollten die Rostocker vom Sozialpädagogen des Zentrums wissen. Seine Antwort, daß es keinen Sinn habe, den Jugendlichen etwas „überzustülpen“ oder „aufzudrücken“, empörte die Gäste aus dem Osten. Sie sind daran gewöhnt, daß der Staat umfassende „Fürsorge“ auch denen entgegenbringt, die davon gar nichts wissen wollen. „Diese Perspektivlosigkeit ist doch deprimierend“, bediente sich eine Rostocker Krankenschwester anschließend des West -Jargons, um auszudrücken, was sie im Jugendzentrum erschreckt hat.

„Getragen von dem Willen, aktiv zur Erhaltung und Festigung des Friedens sowie dazu beizutragen, daß von deutschem Boden nie wieder Krieg, sondern immer nur Frieden ausgeht...“, heißt es in der Präambel der Rahmenvereinbarung, die vor einem Jahr zwischen Bremen und Rostock geschlossen wurde. In der kurzen Zeit sind seitdem viel mehr gegenseitige Kontakte gesprießt, als es die hölzerne Formel und das offiziell vereinbarte Delegationsprogramm erwarten ließ. Die vielfältigen Begegnungen haben die 300 Kilometer Entfernung deutlich verkleinert: ein Bremer Kunstrad-Akrobat auf dem Rostocker Marktplatz, Rostocker TeilnehmerInnen an einer Fachtagung des Bremer Instituts für niederdeutsche Sprache, Freundschaften zwischen Kirchengemeinden und Jugendgruppen, gegenseitige Beteiligung an Kunst-, Buch- und Technikausstellungen gehören inzwischen fast schon zum Alltag beider Städte. Vor allem in den vergangenen sechs Monaten verging kaum eine Woche ohne die Ankunft neuer BesucherInnen.

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