Neuauflage des Crash 1987?

Ausgangslage der Weltwährungskonferenz in Berlin ähnlich wie 1987 vor dem „schwarzen Montag“ / Partielle Schuldenstreichung nur Gesprächsthema  ■  Von Ulli Kulke

Berlin (taz) - Wenn auch Kenner der Szene stets behaupten, die großen Wirtschaftskonferenzen wie Weltwirtschaftsgipfel und Weltwährungstagungen brächten keinerlei konkrete Ergebnisse - dem letzten Treffen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) vor Jahresfrist in Washington kann ein spektakuläres Ergebnis wahrhaftig nicht abgesprochen werden. Knapp drei Wochen, nachdem die Lenker des internationalen Finanzsystems versucht hatten, die Problemlage der Weltwirtschaft einer Lösung näherzubringen, krachte alles auseinander. Der beispiellose Börsen- und Dollarcrash vom 19.Oktober erschütterte nicht nur das Vertrauen in die Weltwirtschaft. Die gegenseitigen Schuldzuweisungen etwa der Regierungen in Bonn und Washington, die USA lebten über ihre Verhältnisse, ihr übermäßiger Geldbedarf treibe die Zinsen in die Höhe, während die Deutschen angeblich nicht genug konsumierten, und dadurch jegliches Wachstum der Weltwirtschaft abwürgten

-der gesamte Scherbenhaufen zeigte deutlicher als zuvor, wie gering die Bereitschaft der Regierungen während der Washingtoner Jahrestagung gewesen war, die Weltwährungskrise gemeinsam planvoll anzugehen.

„Alle Jahre wieder“ scheint nun die Devise zu sein. Einen Unterschied gibt's allerdings: Während der Septembertage 1987 waren es nur einige Journalisten, die durch hartnäckiges Nachfragen gegenüber den Politikern ihre Befürchtungen in Sachen Zinshoch, Börsen- und Dollartief ausdrückten; Politiker wie Bundesfinanzminister Stoltenberg, sein damaliger US-Kollege Baker, die Notenbankchefs, aber auch die Sprecher des IWF signalisierten dagegen stets unisono: Wir haben alles im Griff - haltlos, wie sich am 19.Oktober herausstellte. Heute dagegen sind Warnungen auch aus höchst offiziellem Munde zu hören. Währungsfonds-Chef Michel Camdessus etwa befürchtet, daß sich bald die internationalen Investoren von der Finanzierung des Defizits im US-Haushalt zurückziehen könnten: „Dann müssen die USA mehr bieten, sie müssen also die Zinsen heraufsetzen.“ Eine ähnliche Äußerung Bakers war es immerhin, die am „schwarzen Montag“ 1987 die Börse erzittern ließ. Ansteigende Zinslinien fahren stets wie ein Blitz in die Landschaft von Aktien und Obligationen.

Aber auch eine zweite Parallele zum Crash 1987 liegt für Camdessus im Bereich des Möglichen: „Da gibt es beispielsweise das Risiko einer weiteren unkontrollierten Abwertung des Dollar“, sprich erneut freier Fall des Kurses der US-Währung. Camdessus will all dies, was zum größten Teil seine „Ursache in dem gewaltigen amerikanischen Haushaltsdefizit“ hat, „in Berlin unterstreichen“.

US-Wahlen blockieren

Wenn auch der IWF in seinem jüngst erschienenen Jahresbericht vieles anscheinend positiv konstatiert weltwirtschaftliches Wachstum wie seit langem nicht mehr, gewaltige Rückzahlungsleistungen der verschuldeten Drittwelt -Staaten, Bemühungen der USA, ihr Haushalts- und Handelsdefizit anzugehen und Versuche Europas und Japans, die Weltwirtschaft weiter anzukurbeln - so hat sich doch an den gewaltigen Ungleichgewichten und Verschuldungsziffern wenig verändert. Das Doppeldefizit der USA ist nur minimal gesunken, die Verschuldung der Dritten Welt sogar noch erheblich gestiegen.

Trotzdem stehen in Berlin keine Beschlüsse von IWF oder Weltbank an, die konkrete Maßnahmen zur Linderung der Schulden beinhalteten. Die anstehenden US-Wahlen verhindern alles, was finanzwirksam für den ohnehin angeschlagenen Washingtoner Haushalt wäre. Es wird mit Sicherheit nichts mit der Erhöhung des Kreditvolumens des Weltwährungsfonds (Sonderziehungsrechte). Einiges ist allerdings schon im Vorfeld entschieden worden. Die Weltbank hat mit Wirksamkeit vom 1. 4. 1988 ihr Kapital um 74,8 Milliarden auf jetzt 171 Milliarden Dollar erhöht.

Auch der IWF hat noch kurz vor dem Berliner Treffen scheinbar good will gezeigt. Der neugeschaffene Kredittopf für Länder, deren IWF-Anpassungsprogramme durch weltweite Zinserhöhungen oder Rohstoffexportpreis-Senkungen in Gefahr geraten, ist allerdings so gering ausgefallen, daß auch IWF-Mitarbeiter in der Washingtoner Zentrale offen von einem „Flop“ sprechen.

Keine finanzwirksamen Beschlüsse also, kein Großschuldner, der eigene Wege gehen will und den IWF-Technokraten Kopfzerbrechen bereitet, wie im vergangenen Jahr Brasilien, und auch kein so origineller Vorschlag wie im vergangenen Jahr, als Finanzminister Baker die Fachwelt mit dem Plan für eine neuen Goldstandard-Währung belustigte - was bleibt also zu bereden für die immerhin 10.000 angereisten Teilnehmer?

Abgesehen von den Selbstdarstellungen von Regierungen und Geschäftsbanken, die regelmäßig einen Großteil der Weltwährungsshow ausmachen, werden die Teilnehmer bei ihren diesjährigen Beratungen weniger denn je - verbal - an einem Thema vorbeikommen: der Erlaß eines Teils der Drittweltschulden. Ohnedies unter dem Druck einer breiten Gegenöffentlichkeit diverser Aktionsgruppen, die in Berlin zur argumentativen Totaloffensive gegen die Schuldeintreiber Fonds, Weltbank und Geschäftsbanken aufrufen, müssen sich die Vertreter der Gläubigerländer inzwischen mit Forderungen nach Schuldenstreichungen aus dem eigenen Lager auseinandersetzen, die sie nur schwerlich ignorieren können.

Banker wollen streichen

Auch wenn er an keine nennenswerte Schuldenerlasse denkt, so hat doch der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, in einem Aufsatz der letzten 'Zeit‘, erneut an seinen Coup erinnert, mit dem er auf einer Pressekonferenz im vergangenen Jahr in Washington seine Branche erschütterte: „In bestimmten Fällen“ sollten „Konzessionen bei den Altschulden“ drin sein, also ein „partieller Schuldenerlaß“.

Vor allem seine US-Kollegen waren damals hellauf entsetzt, könnten sie doch Verzichtsleistungen nicht ganz so locker wie die Deutschen Banken wegstecken. Nunmehr hat sich in der vergangenen Woche eine Gruppe bedeutender US-Banker für dieselbe Forderung ausgesprochen. Darunter sind Vertreter erster Adressen wie Morgan Guaranty, Citicorp, Chemical Bank und andere.

Und wenn in der Vergangenheit kirchliche Gruppen für Schuldenstreichungen eintraten, so konnten die Schuldenmanager dies stets mit dem leise belächelten Hinweis auf den besonderen fürsorglichen Auftrag der Kirchen, der aber an den technischen Sachzwängen vorbeiginge, abtun.

Wenn nun aber neben dem Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirchen Deutschlands, Bischof Kruse, auch die bundesdeutsche Regierungspartei CDU über Schuldenstreichungen nicht nur bei den allerärmsten Ländern nachdenkt, ist das eine andere Sache. So heißt es in einem Grundsatzpapier der CDU, „bei entsprechenden Eigenanstrengungen sollte ein Schuldenerlaß auch für hochverschuldete Schwellenländer wie Brasilien oder Mexiko erwogen werden“. Nicht zuletzt dürften ähnliche Anregungen von Bundespräsident Richard von Weizsäcker die Diskussion anregen. Bundesentwicklungsminister Klein will schließlich mit Unterstützung des Wirtschaftsministers den Ländern südlich der Sahara einige wenige staatlich verbürgte Kredite erlassen, was bisher von Stoltenberg blockiert wird. Die UN -Organisation für Handel und Entwicklung, Unctad, hat sich ebenfalls um Konkretisierung der Debatte in Berlin bemüht. In umfangreichen Szenarien hat sie errechnet, daß die Dritte Welt ohne die Streichung von mindestens einem Drittel ihrer Schulden in noch tieferes Elend gestoßen würde.

Niemand sollte sich der Illusion hingeben, all das könnte zu irgendwelchen Streichungsbeschlüssen in Berlin führen. Außer den Grünen fordert auch momentan kaum jemand die totale Streichung aller Drittweltschulden. Die Rede ist eher von Ausnahmen und geringen Summen. Aber immerhin kann, wer mag, es als einen Fortschritt ansehen, daß das Thema hinter den Kulissen - auf der Tagesordnung steht.