Haiti: Staatsstreich der Soldaten

■ Vermeintlicher Offiziersputsch war Aktion von Mannschaften / General Avril soll nichts mit dem Putsch zu tun haben / Marionette der Soldaten? / Soldaten verlangen ziviles Kabinett

Port-au-Prince (dpa) - Der Militärputsch auf Haiti ist offenbar nicht durch Offiziere ausgeführt, sondern durch Soldaten erzwungen worden. Das kristallisierte sich am Montag in Port-au-Prince heraus, nachdem Sergeant Joseph Hebreux (27) dem amtierenden Präsidenten, Brigadegeneral Prosper Avril, einen 19 Punkte umfassenden Forderungskatalog übergeben hat. Die meisten hochrangigen Offiziere der Armee erklärten vor Journalisten, sie betrachteten sich als Gefangene der von Sergeant Hebreux angeführten Soldaten, die sämtliche Entscheidungen fällten.

Wie aus gut unterrichteten Kreisen verlautete, verlangen die Soldaten unter anderem die Einsetzung eines zivilen Kabinetts - bei dessen Besetzung sie mitbestimmen wollen sowie Präsidentschaftswahlen. Den Haitianern wurde am Montag erst allmählich bewußt, daß die Absetzung des bisherigen Staatschefs General Herni Namphy einen wirklichen Staatsstreich der Soldaten darstellt.

Ein Offizier der einflußreichen Dessalines-Kaserne, der nicht genannt werden wollte, erklärte: „Am Sonnabend (dem Tag des Putsches, Anm. d. Red.) befand ich mich in der Desslanies-Kaserne auf der anderen Seite des Tores. Wir konnten den Vorgängen um den Präsidentenpalast lediglich zusehen. Wir hatten damit nichts zu tun und sind auch nicht eingeladen worden, uns daran zu beteiligen. Die Soldaten kontrollieren die Armee vollständig. Sie grüßen uns nicht mehr und verfolgen ihre eigenen Pläne“. Der Ofizier meinte weiter, er bezweifele, daß der neue Präsident Prosper Avril irgend etwas mit dem Putsch zu tun habe, außer, daß er von den Soldaten zum Präsidenten bestimmt worden sei.

Am Sonntag abend durchkämmten Soldaten die Vergnügungsviertel der haitianischen Hauptstadt auf der Suche nach Schlägern des ebenfalls gestürzten Bürgermeisters von Port-au-Prince, Franck Romain, einem einstigen Obersten, der sich angeblich in die Botschaft der Dominikanischen Republik geflüchtet hat. Romain wird für Überfälle auf mehrere Kirchen verantwortlich gemacht, bei denen es mindestens 15 Tote und über 70 Verletzte gegeben hatte.