„Gorbatschow wäre im Gefängnis gelandet“

Auf Bundesebene streitet die DKP um die Dialektik von Bewahren und Erneuern / Frauen und Öko-Probleme klopfen an der Tür / Stalinismus-Vorwurf gegen Düsseldorfer Apparat / Bremer DKP-Delegierte praktizieren offenen Meinungsstreit für die Erneuerung  ■  Von Klaus Wolschner

Bremen/Düsseldorf (taz) - In Bremen ist alles anders, auch bei der DKP. „Gegen uns hat auch ein Kesseltreiben stattgefunden“, beschwert sich ein Delegierter am Sonntag nachmittag bei einer Konferenz in der Hansestadt, „aber in Bayern wären wir ausgeschlossen worden.“

Die Debatte geht gerade um einen Antrag, der zu den jüngsten Parteiausschlüssen Stellung nimmt und „zukünftig rechtzeitiger, sachlicher und umfassender eine Parteidiskussion“ fordert. In Erlangen waren drei Genossen ausgeschlossen worden, in Karlsruhe einer. Ein Mitglied der zentralen Schiedskommission habe erklärt, es sei „schlimm“, daß in Bremen in den vergangenen zwei Jahren kein einziges Ordnungsverfahren durchgeführt worden sei, berichtet der Bremer DKP-Chef, Dieter Gautier, den empörten Delegierten.

Die GenossInnen aus Bremen haben beinahe einstimmig eine 50 -Prozent-Quotierung für Frauen beschlossen, sie wollen die Begrenzung von Partei- Amtszeiten eingeführt wissen und halten Transparenz, das heißt Veröffentlichung der Parteivorstands-Debatten, für erforderlich. Nahezu einmütig klatschten sie dem Bremer Klöckner-Betriebsratsvorsitzenden Beifall, als der den Genossen das Recht absprach, „von zwei Linien in der Partei zu sprechen“.

Das aber hatte niemand Geringeres als Parteivorsitzender Herbert Mies und der nach Bremen entsandte Vorstands-Emissär Willi Gerns getan. Der Bremer DKP-Chef und fünf andere, so hatte Mies behauptet, seien dabei, Abschied von der Partei -Linie zu nehmen. Bei der Dialektik von Bewahren und Erneuern, hatte Willi Gerns erklärt, werde in der Sowjetunion das Erneuern einseitig betont, aber es sei gänzlich undialektisch, dasselbe auch in der Bundesrepublik zu tun.

Einseitig erneuern wollen die Abweichler einer Arbeitsgruppe beim Düsseldorfer Parteivorstand, die „Zur Lage und künftigen Entwicklung der DKP“ ein Minderheits -Papier in die Parteidiskussion gaben. „Das hat es eigentlich noch nicht gegeben. Das ist ein ganz neuer Stil“, empörte sich Vorstands-Genosse Erwin Ebeling. Er warnt davor, die Partei nicht zu „überfordern“.

Durch solche Argumente lassen sich die Erneuerer aber nicht bremsen. Peter Schütt zum Beispiel hat auf der letzten Parteivorstands-Tagung eine Lektion in Stalinismus gegeben. Stalin habe „fast soviel“ Menschen auf dem Gewissen wie Hitler, erklärte er, sein „Terrorsystem“ habe „die gesamte kommunistische Bewegung seiner Zeit in Mitleidenschaft gezogen“. Schütt folgert: „Es gibt keinen Grund, anzunehmen, daß ausgerechnet wir von diesen Deformationen verschont geblieben wären.“

„Die Wahrheit tut weh“, sagte er seinen Düsseldorfer Vorstandsgenossen, „Lebenszeitbeamte“ beherrschten den Apparat, die Begründungen bei den jünsten Partei -Ausschlüssen läsen sich „wie die Protokolle von Gesinnungsprozessen“. Schütt sieht sich an die „Inquisition“ erinnert und schließt mit der Feststellung, Gorbatschow sei für das, was er heute sagt, „vor fünf Jahren im Gefängnis oder in der Psychiatrie gelandet“.

Schütt ist inzwischen ein Außenseiter, dem selbst auf dem Flur in der Düsseldorfer Parteizentrale einige nicht mehr die Hand geben mögen. Worum die „Erneuerer“ mit den „Bewahrern“ streiten, sind vorsichtigere Korrekturen im Selbstverständnis der DKP. „Der Stellenwert der Reformen wird zu gering geschätzt“, hatte der Bremer Bezirks -Vorsitzende Gautier angemahnt. Und überhaupt, die Ökologie: die Bremer Delegierten haben ohne Gegenrede beschlossen, daß der erforderliche „Umbau des Produktivkraft-Systems keinen Aufschub bis zur Veränderung der Eigentumsverhältnisse in einer sozialistischen Republik“ dulde. Eine Delegation soll sich mit den Umweltproblemen in der DDR befassen.

Die DKP-Zeitung 'Unsere Zeit‘ hatte jüngst eine Meldung aus der DDR-Presse übernommen, daß die Badegäste am Ostseestrand unbesorgt sein könnten und sich verantwortlich verhielten „Das ist der Hohn“, empörte sich ein Delegierter. Wenn die Meldungen über die rumänischen Umsiedlungs-Pläne zutreffen, dann sei das „inhuman und zerstörerisch, ja möglicherweise ein Verbrechen an Tausenden Menschen“, erklärte die Versammlungsleiterin.

Über die Konturen des neuen Selbstverständnisses der DKP als Partei und zum neuen Programm werden derzeit aber eher Defizite und Fragen zusammengetragen als Antworten formuliert. Da das bis zum Januar 1989, wenn die DKP ihr 20jähriges Neugründungs-Jubiläum feiern will, nicht anders sein wird, wollen die Bremer den derzeit vorliegenden „Mehrheitsentwurf“ nicht zur verbindlichen neuen Linie beschlossen wissen. Aber auch in Bremen wurden Stimmen laut, daß man ohne ein Papier nicht nach Hause fahren wolle. Und da es auch noch keine neuen Lied-Texte gibt, sangen die Delegierten zum Ende ihrer zweitägigen Versammlung chorreif die Internationale: „Wir sind die stärkste der Partei'n“, und, seit Menschen Gedenken unerhört: „auf zum letzten Gefecht“.