Polizei bricht Streik und Türen

Streik der Lkw-Fahrer im bayerischen Hengersberg durch Polizei beendet / Fahrertüren aufgebrochen Streikbrecher mit Polizeischutz und gegen EG-Recht hinter das Lenkrad gesetzt / Fahrtenschreiber manipuliert  ■  Von Wolfgang Gast

Hengersberg (taz) - Die bayerische Polizei verhalf dem österreichischen Speditions-Besitzer Gerhard Stadler mit dem Einsatz einer Hundertschaft jetzt zu seinem vermeintlichen Recht.

Auf dem Autohof im niederbayerischen Hengersberg, etwa 30 Kilometer vom Grenzübergang nach Österreich entfernt, standen seit acht Tagen 24 Sattelschlepper still, weil die Fahrer streikten. Nach über drei Jahren hatten sie, bei der belgischen Transportgesellschaft „Reul“ eingestellt, endgültig die Schnauze voll. Die Firma Reul, ein Subunternehmen der „GST“ des 48jährigen Oberösterreichers Stadler, zwingt die Fahrer nicht nur zu Arbeitszeiten von bis zu 400 Stunden im Monat. Die Fahrtenschreiber werden serienmäßig manipuliert, die Sozialabgaben nicht gezahlt und die Zugmaschinen mit über 300 PS nur unregelmäßig den gesetzlich vorgeschriebenen technischen Untersuchungen unterzogen.

In der Nacht zum Sonntag auf Montag machten Einheiten der Bereitschaftspolizei, die tags zuvor noch die rechtsextreme DVU in Passau beschützt hatten, dem Arbeitskampf ein Ende. Gegen 21 Uhr schlich sich eine Hundertschaft von hinten an den Autohof heran, sprang hervor und umstellte die Lastkraftzüge. Die ersten LKWs wurden aufgebrochen, wiederum von Mechanikern der Vertragswerkstatt in Marchtrenk bei Linz. Auch diesmal verweigerten sich die von der Polizei angekarrten Fahrer nach einem Gespräch mit dem Betriebsrat Feuerbacher: „Jetzt, wo wir die Lage kennen, wollen wir die Fahrzeuge nicht mehr übernehmen“. Die Polizeiaktion stockte, fieberhafte Besprechungen fanden in der fahrbaren Einsatzzentrale statt.Erst nach 22 Uhr schließlich wurden fünf LKW-Fahrer präsentiert, die nacheinander die abgestellten LKWs wegfahren sollen. Die Fahrer sind direkt aus Österreich und auch beim Unternehmer Stadler beschäftigt. Den heftigen Vorwürfen ihrer Kollegen („Kamaradenschweine“) versuchten sie im Schutz der Polizeikette zu entgehen. An sich hätten sie die Lastzüge nicht einmal anrühren dürfen.

Die EG-Bestimmungen verbieten, ohne die gültige Arbeitserlaubnis einen Sattelschlepper zu fahren. Die Proteste der Fahrer, des Bürgermeisters und der ÖTV -Vertreter fruchteten nicht. Einsatzleiter Lindner: „Das ist eine polizeiliche Anordnung, und das langt!“ Als einzelne die Abfahrt der Zugmaschinen verhindern wollten, drohte er mit Festnahmen wegen Nötigung und brüllte los: „So ist's angeordnet, und so wird's durchgezogen!“

Zusammen mit der zuständigen ÖTV in Passau versuchten die LKW-Fahrer seit Februar, den Unternehmer Stadler zum Einhalten der gesetzlichen Bestimmungen zu zwingen. Als dann die Wahl des Betriebsrates Ludwig Feuerbacher von der Firmenleitung nicht anerkannt wurde, weil er in einem lokalen Blättchen die Mißstände anprangerte und dafür die Kündigung bekam, platzte den Brummi-Fahrern der Kragen.

„Mami, ist Papi tot? Nein, er arbeitet bei Stadler!“ heißt es auf einem der vielen Transparente, die die Fahrer an die Windschutzscheiben gehängt haben. Ein anderer charakterisiert seine Arbeitgeber: „GST: Gangster-Schnell -Transporte“. Was Stadler einen „wilden Streik“ nennt, der ihn 600.000 Mark kostet, heißt bei den Fahrern „rechtmäßige Zurückhaltung der Arbeitskraft“. Sie wollen erst wieder ans Steuer, wenn der Unternehmer bereit ist, sich an die gesetzlichen Bestimmungen zu halten.

Die Berichte der Fahrer wurden über die ÖTV an den Staatsanwalt weitergegeben. Am letzten Mittwoch wurde dann eine Sicherstellung der 24 Zugmaschinen verfügt. Aber erst als die ÖTV einen Experten hinzuzog, gelang es diesem unter der Mithilfe der Fahrer, die „perfekte Manipulation (Jochen Barabas, ÖTV-Geschäftsführer in Passau) nachzuweisen. Eine Veränderung im Sicherungskasten macht es den Fahrern möglich, per Knopfdruck während der Fahrt den Schreiber auszustellen. Obwohl stundenlang unterwegs, verzeichnet die Tachoscheibe dann „Ruhezeit“. Hier in Passau sei das jetzt das erste Mal bekannt geworden. Aber es steht zu befürchten, so die Gewerkschafter, daß dieser Schwindel im großen Maßstab bei allen möglichen Transportgesellschaften betrieben wird. Die einzelnen Fahrer könnten sich dagegen meist nicht wehren. Die Gefahr einer Kündigung ist oft Druckmittel genug, und zudem haben sich viele von ihnen durch zinsgünstige Kredite für den Hausbau in eine langjährige Abhängigkeit zu ihren Unternehmen begeben.

Am Donnerstag wurde der Sicherstellungsbeschluß für die 24 Brummis auf Antrag des Unternehmers Stadlers aufgehoben. Mit einer Einstweiligen Verfügung des Landgerichts Passau erwirkte er die Freigabe der LKWs. Die Situation auf dem Autohof spitzte sich zu. Stadler drohte mit der Kündigung aller Fahrer, doch diese weigerten sich weiterhin, ihre „rollenden Bomben“ wieder in Betrieb nehmen.

Gerüchte, daß der Streik mit einem Polizeieinsatz beendet werden sollte, wurden zuletzt am Sonntag nachmittag vom Oberbürgermeister nach einem Gespräch mit der Polizei bestätigt. Zwei vorangegangene Versuche des Unternehmers, die LKWs aus dem Betriebsgelände des Autohofes herauszuholen, waren gescheitert. Am Freitag konnte Stadler keine Ersatzfahrer auftreiben und am Samstag sollte einer der österreichischen Mechaniker, die die Tachos manipulierten, die abgesperrten Zugmaschinen aufbrechen. Nachdem die Fahrer den Österreicher aber wiedererkannten, zeigten sie ihn beim Einsatzleiter Lindner an. Der forderte den Mechaniker aber nur zur Rückfahrt nach Linz auf. Der Versuch, die LKWs in Gang zu setzten, wurde abgebrochen. Sonntag nacht war die Aktion erfolgreich.