Polens Regierung wirft das Handtuch

■ Kritik am Wirtschaftskurs erzwingt ersten Regierungsrücktritt seit 1945 / Von Klaus Bachmann

Polen verändert sich schneller, als viele dies für möglich hielten. Lech Walesa bemängelt zwar in einer ersten Stellungnahme, daß der Regierungsrücktritt das Steuer wohl kaum grundsätzlich herumwerfen wird. Aus offiziellen Qellen verlautet aber, daß in einer neuen Regierung mehr unabhängige Experten mitarbeiten sollen. Der alte Regierungschef Messner könnte auch zum neuen gekürt werden. Doch noch ist es nicht so weit. Unser Korrespondent berichtet über die politischen Querelen und den Stimmungsumschwung in unserem Nachbarland.

Eingeweihte Journalisten der polnischen Parteipresse wußten es schon zuvor. „Messner wird zurücktreten“, erklärte einer, noch bevor die Sitzung begonnen hatte. Schon am Sonntag abend sei es bei einer Sitzung der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei hoch hergegangen. „Von Disziplin war da keine Spur zu sehen.“ Und eigentlich hätte sich der Rücktritt schon seit der letzten Versammlung des Zentralkomitees angedeutet, meinte der Journalist und verwies auf die zahlreichen Schelten in der Presse, aus den unterschiedlichen Gremien, auf die Kritik der offiziellen Gewerkschaften und den Unmut in der Bevölkerung. Am Montag, 9 Uhr 35, war es dann soweit: Messner trat vor die Abgeordneten des polnischen Parlaments, dem Sejm, und hielt eine lange Verteidigungsrede, in der er viele Fehler zugab. Als Grund für seinen Schritt, den Rücktritt der Regierung anzubieten, nannte er den mangelnden Vertrauenskredit, „um die Reformen zum Erfolg zu führen“. Messner, der auch dem Politibüro der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei angehört, hatte seinen Posten im November 1985 vom jetzigen Staats- und Parteichef General Wojciech Jaruzelski übernommen. Einen Rücktritt der Regierung hat es in Polen seit 1945 nicht mehr gegeben. Am gestrigen Abend sollte dann der Sejm über das Angebot Messners abstimmen.

Hauptgrund für seinen Rücktritt sind die Schwierigkeiten in der Wirtschaftspolitik. In der Stellungnahme der außerordentlichen Sejmkommission, die Messners Rede vorausging, ist von den Streiks der letzten Wochen nur am Rande die Rede. Hauptkritikpunkt der Kommission dagegen ist, daß die Regierung mit den Preiserhöhungen von Anfang des Jahres die Wirtschaft völlig aus dem Gleichgewicht gebracht habe. Dies habe zu einem Zusammenbruch der Güterverteilung und des Konsums geführt und einen weiteren Vertrauensverlust in die Währung der Volksrepublik eingeleitet. Die Flucht in den Dollar nimmt tatsächlich immer groteskere Formen an: 2.400 Zloty müssen die Polen inzwischen auf dem Schwarzmarkt für einen Dollar zahlen, und das bei einem Monatseinkommen von durchschnittlich 40.000 Zloty. Offiziellerseits erklärt man sich diesen Umstand damit, daß die Zinsen hinter der Inflationsentwicklung zurückblieben seien. Viele Kontoinhaber leerten ihre Sparkonten und legten ihr Geld relativ inflationssicher in Devisen an. Damit, so heißt es in der Stellungnahme der Kommission, wurden den Betrieben weitere Investitionsmittel entzogen. Die Sondervollmachten der Regierung bei der Durchführung der Wirtschaftsreform hätten nichts genützt. Es sei deshalb „notwendig, tiefgreifende Änderungen im Kabinett vorzunehmen und Spezialisten einzubinden, die bereits seit längerem die Umsetzung der Wirtschaftsreform kritisieren“, heißt es in dem Bericht.

Messner gab im Verlauf seiner Rede zu, daß sich die Reform hauptsächlich auf die zentralen Instanzen beschränkt habe, ohne größere Auswirkungen außerhalb der Zentralverwaltung zu zeitigen. Darüber hinaus sei die Streikwelle unter anderem auf die berechtigte Enttäuschung der Arbeiterschaft zurückzuführen. Deshalb habe man auch darauf verzichtet, gegen die Streikenden durchzugreifen, da dies nur die Symptome, nicht aber die Ursachen den Unmuts beseitigt hätte. Er räumte auch „Gegensätze“ und „Meinungsverschiedenheiten“ in den höchsten staatlichen Führungsgremien ein, die es „nicht zu verschleiern, sondern zu überwinden“ gelte.

Arbeiterführer Lech Walesa erklärte nach Bekanntwerden des Messner-Rücktritts, es müsse „das System verändert und nicht die Personen ausgewechselt werden“. „Solange es keine Veränderungen der Strukturen gibt, sondern nur Leute ausgetauscht werden, werden wir keine Ergebnisse bekommen“, teilte der Chef der verbotenen Gewerkschaft Solidarnosc 'afp‘ telefonisch aus seinem Wohnort Danzig mit.

Mit Messner traten am Montag 18 weitere Kabinettsmitglieder zurück. Messner könnte erneut mit der Kabinettsbildung beauftragt werden und - gemäß der Empfehlung der Parlamentskommission - nun liberalere Wirtschaftsexperten in die Regierung aufnehmen.