Das Pogrom gemeinsam erinnern

■ Die „Reichskristallnacht“ jährt sich am 9. November zum fünfzigsten Mal Gedenken von 65 Bremer Organisationen vorbereitet

Vertraute Bremer Gebäude, Straßen und Plätze werden in diesem Herbst in ein neues, beklemmendes Licht getaucht: Die Obernstraße erscheint darin als eine Ansammlung „arisierter“ Geschäfte und Handelshäuser. Der Dom als der Ort, an dem zum 50. Geburtstag des Diktators Adolf Hitler ein Dankgottesdienst abgehalten wurde. Die Comet-Zentrale an der Oslebshauser Heerstraße 125 als Nachfolgerin des Lichtspieltheaters, das einem jüdischen Besitzer gehörte. Das humanistische „Alte Gymansium“ als nächtlicher Sammelpunkt von 170 jüdischen Jungen und Männern, die in der Pogromnacht im November 1938 verhaftet wurden und dann ins Gefängnis Oslebshausen und von dort ins Konzentrationslager Sachsenhausen verbracht wurden.

50 Jahre nach der „Reichskristallnacht“ vom 9. auf den 10. November 1938 macht sich die Stadt Bremen daran, das kollektive Vergessen in ein kollektives Erinnern zu verwandeln. Mehr als 65 Bremer Gruppierungen, inklusive des Senats und der Israelitischen Gemeinde, haben sich zusammengeschlossen, diesen Akt der Erinnerung an das Judenpogrom und an die einstmal 1.300 jüdischen EinwohnerInnen Bre

mens (1933) zu organisieren.

In der „Reichskristallnacht“ vom 9. auf den 10. November 1938 ist nicht nur „Kristall“ zu Bruch gegangen. Allein in Bremen starben fünf jüdische EinwohnerInnen und 170 jüdische Jungen und Männer wurden verhaftet und ins KZ transportiert. Aus diesem Grund haben sich die OrganisatorInnen darauf geeinigt, nicht - wie sie finden - verniedlichend und an den NS-Sprachgebrauch anlehnend von der „Reichskristallnacht“ zu sprechen, sondern von der „Reichspogromnacht“.

Mehr als 70 Veranstaltungen sind in einem schmalen Programmheft aufgeführt. Sie erstrecken sich von September bis November 1988 und häufen sich am 50. Jahrestag.

Der 9. November ist vom Senator für Bildung engagiert zum Projekttag an allen Schulen erklärt worden. Und am 10. November haben SchülerInnen die Möglichkeit, statt am Unterricht an einem Gedenkgang teilzunehmen. Zwischen Dechanatstraße und dem Gefängnis Oslebshausen werden sie dem Weg folgen, den die 170 jüdischen Jungen und Männer am Morgen nach dem Pogrom zu gehen hatten und den ein Überlebender mit den Worten

charakterisierte: „Wir schritten durch eine schweigende Stadt.“

Die zentrale Saalveranstaltung ist für den Abend des 10. November angesetzt. Mehrere Bremer Theater und Chöre, der Bürgermeister und der Rabbiner Dr. Banjamin Barslai werden den Abend in der festlichen „Oberen Rathaushalle“ gestalten.

In Kirchengemeinden hat die Arbeit des Erinnerns schon begonnen, Gemeindemitglieder befragten ZeitzeugInnen, z.B. ehemalige Bedienstete aus jüdischen Häusern, und machten sich daran, die Geschichte ihres Stadtteils neu zu schreiben.

Am 3. November eröffnet die Waller Immanuel Gemeinde die Ausstellung „Juden in Walle“, ab 9. November zeigt das Staatsarchiv die Ausstellung “...sofort über den Haufen schießen. - Die Kristallnacht in Bremen“. Das Kommunalkino nimmt ins Programm „Shoah“, eine 9 1/2 stündige Dokumentation über die Judenvernichtung und das MOKS-Theater läd SchülerInnen zu seiner Trilogie zum Thema Faschismus. In all dieser geschäftigen Vielfalt des Programmhefts ist eine Veranstaltung nicht öffentlich angekündigt: Die jüdische Gemeinde möchte still und ungestört gedenken.

B.D