„Nicht die Stunde der Strafverfolgung“

■ Die taz im Gespräch mit Senator Kröning: über die Preiserhöhung für Gerechtigkeit, die „geringere Inanspruchnahme des Sanktionsapparates“, über Politik und Polizei und das „Geiseldrama“

Als der Stuhl von Innensenator Bernd Meyer für einige Tage zu wackeln schien, war er als Nachfolger im Gespräch. Würde Justizsenator Volker Kröning wieder gern ins Innenressort zurückkehren? Die Antwort kommt schnell und bestimmt, aber man hat das Gefühl, daß sie mehr vom Herzen diktiert ist. „Nein, man würde damit dem Justizressort Unrecht tun“, sagt er und läßt Gerechtigkeit walten, wo Liebe noch nicht entflammt zu sein scheint. Immerhin hat er nicht ohne Überraschung festgestellt, wie vielfältig die neuen Aufgaben sind. Diese Woche präsidiert er der Konferenz der Justizminister in Bremen, ohne Hoffnung, an die Tradition sozialdemokratischer

Rechtspolitik in den 70er Jahren anknüpfen zu können. In einer Zeit und in einem Bundesland, in dem „Ressourcenfragen im Vordergrund stehen“, ist Pragmatismus bereits eine professionelle Tugend. Es ehrt ihn gewiß, daß sich da dem Besucher noch ein wenig Melancholie mitteilt, aber die neue bremische Definition von Politik hat auch er sich voll zu eigen gemacht: „Einhaltung der Sparquote“. Hier wenigstens liegt Bremen im bundesrepublikanischen Trend. „Entlastung der Justiz“ und Computerisierung der Rechtsprechung sollen die „knappe Ressource Recht“ umverteilen. Auch Gerechtigkeit hat schließlich ihren Preis, und der soll offenbar bundesweit er

höht werden.

Die List der Vernunft hat es aber auch eingerichtet, daß sich in Bremen Sparzwang und Liberalität vereinigen können: Aus demographischen Entwicklungen erwartet man zu Beginn der 90er Jahre eine „geringe Inanspruchnahme des Sanktionsapparates“, zu deutsch: einen Rückgang der Kriminalität und daraus folgend einen zurückgehenden Bedarf an Staatsanwälten, Strafrichtern, Haftplätzen etc. In der planerischen Umsetzung dieser Entwicklung, die glücklicherweise viel politische Phantasie nicht erfordert, ist Bremen daher allen Ländern weit voraus. Immerhin leistet sich Kröning den Luxus einer politischen Reflexion; Einsparen sei ohnehin eine eher archaische Reaktion der Gesellschaft auf abweichendes Verhalten. Man glaubt ihm, daß er dies nicht nur denkt, weil auch Repression immer mehr Geld kostet, das Bremen nicht hat. Einsparen statt Einsperren - honni soit qui mal y pense. Was hält Kröning von der gegenwärtigen Debatte um die Begnadigung von Angelika Speitel und Peter-Jürgen Boock? Er findet es richtig, daß der Bundespräsident persönliche Gespräche mit den Betroffenen führen will. Aber das Problem militanter und gewaltsamer Politik gehöre noch keineswegs der Vergangenheit an; man müsse deshalb aus den Erfahrungen mit der RAF für die Gegenwart lernen. Was heißt das? Es gehe darum, einen Umschlag von Protest in gewalttätige Politik zu verhindern, und dies weise über die Möglichkeiten desstrafrechtlichen Apparates hinaus. Man dürfe ehemalige Terroristen nicht schlechter behandeln als andere Straftäter; aber „gesamtgesellschaftlich ist eine Untergrenze der abgesessenen Haft einzuhalten“. Wo diese Untergrenze seines Erachtens zu liegen habe, behält er für sich.

Hätte Kröning als für die Rechtspflege und die Strafverfolgungsorgane zuständiger Minister beim Bremer „Geiseldrama“ nicht die Initiative ergreifen und

eine nicht-polizeiliche Lösung ermöglichen sollen? Die Aufgabe der Justiz sei es in dieser Situation gewesen, im Interesse der unversehrten Freilassung der Geiseln den staatlichen Strafverfolgungsanspruch zurückzustellen - dies sei auch durch einen anwesenden Staatsanwalt geschehen. Alles weitere gehöre in die Zuständigkeit der Polizei und des für sie politisch Verantwortlichen. Hier sei es darum gegangen, unter Zurückstellung aller Fahndungsinteressen eine „neue Verhandlungssituation“ zu schaffen. Hätte er als Innensenator Verhandlungen mit den Geiselnehmern geführt? Ein eindeutiges Nein: Dies wäre mit Sicherheit eine zu hohe Ebene gewesen. Schließlich habe es sich um Kriminelle gehandelt, und es wäre ein für das allgemeine Rechtsbewußtsein schwer erträgliches Bild entstanden, wenn ein Minister mit Kriminellen verhandelt hätte. Der Senatsdirektor oder eine angesehene Persönlichkeit (z.B. Pastor Albertz) hätten es allerdings schon sein können. Was sagt er dazu, daß dieser Versuch in Bremen nicht unternommen

wurde? Nichts.

Kröning ist einer der maßgeblichen Urheber des bremischen Polizeigesetzes, das den polizeilichen Todesschuß nicht legalisiert. Wie denkt er darüber nach den Ereignisen der letzten Wochen? Die Entscheidung des Gesetzgebers hält er nach wie vor für richtig, die Polizei habe durchaus die Möglichkeit, den Todesschuß anzuwenden, wenn dies das wirklich einzige und letzte Mittel sei, um das Leben von Geiseln zu retten. Die Politik müsse den Mut haben, dies dann auch zu billigen. Soll das heißen, daß die Entscheidung darüber bei der Polizei liegt? Ist das nicht eine Verpolizeilichung einer hochpolitischen Frage? Kröning hat da eine klare Vorstellung über das Verhältnis von Politik und Polizei: Es gebe die fachliche Kompetenz der Polizei, in die der Politiker nicht hineinpfuschen sollte; aber der zuständige Minister habe die Pflicht, „sich Alternativen zu erschließen“. Und zweifellos trage er die politische Verantwortung für die etwaigen Fehler der Polizei. Konkreter will der Senator nicht werden. U.K.P