Zumutung-betr.: "Internationalismus und taz", taz vom 12./13.9.88

Betr.: „Internationalismus und taz“,

taz vom 12. und 13.9.88

Wenn in Frankfurt immerhin 3.000 Leute anläßlich des Jahrestages des Putsches in Chile bzw. der Türkei demonstrieren, dies aber auf Seite 5 mit ganzen vier Zeilen abgetan wird (taz v. 12.9.), wenn außerdem die Stuttgarter IWF-Demo vom 10.9. mit schätzungsweise 1.000 Teilnehmern völlig unterschlagen wird, dann ist dies bei einer „normalen“ bürgerlichen Zeitung schlimm genug - bei der taz aber wird es zur grotesken Leserverarschung. Und es ist auch schlicht eine Zumutung, beispielsweise die anmaßend -demagogische Sprachregelung von „Antiamerikanismus“, mit der eine Gegnerschaft zu den USA bezeichnet wird, auch noch in den Überschriften der taz wiederfinden zu müssen (vgl. taz 12. und 13.9.88).

Analog dazu steht diese „Europatümelei“, wenn in Wahrheit von der EG die Rede ist: sie ignoriert völlig, daß der Mittelpunkt Europas in Warschau sogar besichtigt werden kann, und daß das größte europäische Land doch nicht etwa die BRD oder Frankreich, sondern die Sowjetunion ist.

Es zeugt von Internationalismus, wenn J.Gottschlich unter der Überschrift „Wo bleibt die EG?“ (taz 12.9.) eine „gemeinsame europäische Außenpolitik“ gegen den irakischen Völkermord an den Kurden fordert. Als ob die EG nicht eine Zusammenballung imperialistischer Macht ist, die den Interessen aller Trikontvölker grundsätzlich entgegensteht. Sicher gibt es Konstellationen, in denen man auch von den imperialistischen Staaten fordern muß, auf ein bestimmtes Regime im Trikont Druck auszuüben (wie etwa jetzt gegen den Irak wegen der Giftgas-Massaker), aber dann doch im entsprechenden internationalen Kontext (UNO, etc.) und nicht als Produkt einer speziellen innerimperialistischen Zusammenarbeit! Und man muß wirklich erst die Halbkolonie Türkei bemühen, um mit Gottschlich davon reden zu können, die kurdische Tragödie spiele sich „direkt vor der Haustür“ der EG ab; immerhin liegt Irakisch-Kurdistan etwa auf der Höhe von Wolgograd oder Gorki, d.h. östlicher als Moskau.

Hubert Zehrer, Heiligkreuzsteinach