Menschenjournal

■ Auf der Suche nach verlorenen LeserInnen trifft der 'Stern‘ auf Menschen und sucht nach trefflichen Geschichten / Ein Gespräch mit dem primus inter pares der 'Stern'-Chefredaktion Michael Jürgs

taz: Deutliche gesellschaftliche und politische Impulse gehen nicht mehr vom 'Stern‘ aus. Denken Sie an „Wir haben abgetrieben“, Ostpolitik oder die Nachrüstungsdebatte. In den letzten zwei Jahren gab es außer dem Zufallstreffer Barschel in Genf nicht mehr die großen Würfe.

Michael Jürgs: Ich glaube, das Problem des 'Stern‘ ist, daß wir zum einen nicht mehr die großen Auflagen haben wie früher, zum anderen, daß wir die meisten Tabus gebrochen haben. In einer Gesellschaft, die schon an alles gewöhnt ist, ist die Bereitschaft, einem Blatt zu folgen, das bereit ist, nach vorne zu gehen, erstens gesunken, und zweitens gibt es nicht mehr so viele Tabus.

Dem politischen 'Spiegel‘ folgen die LeserInnen weiterhin.

Ich glaube nicht, daß der 'Stern‘ ein Pflichtblatt war. Der 'Stern‘ war immer ein Blatt, das durch seine Respektlosigkeiten, aber auch Geschmacklosigkeiten, das gebe ich gerne zu, kritische Aufklärung und das Heranwagen an Tabuthemen groß geworden ist. Aber im Wachsen der elektronischen Medien und der vielen neuen Blätter gab es Verluste von Lesern. Wir müssen wegen der Aktualität des Fernsehens andere Wege gehen. Früher war es so: Da ist eine Überschwemmung im Sudan, wir schicken ein Team hin, ein paar Tage später steht es im Blatt, das war der 'Stern‘. Das haben Sie heute jeden Tag im Fernsehen. Bei diesem Informationsüberfluß ist es das Problem, wie man da die eigene 'Stern'-Geschichte findet. Wir haben manchmal zu viele Reports statt Reportagen gemacht. Wir haben sicherlich auch durch die Hitlerschweinerei viele Leser verloren, die den 'Stern‘ nie mehr anfassen werden. Die sollten dann aber auch nicht über den heutigen 'Stern‘ urteilen. Ich denke, daß der 'Spiegel‘ seine Krise noch vor sich hat.

Konkurrieren Sie mehr mit dem 'Spiegel‘ oder mehr mit 'Quick‘ oder 'Bunte‘?

'Quick‘ und 'Bunte‘ interessieren mich nicht mehr. Die 'Quick‘ habe ich nicht mehr auf der Rechnung, und die 'Bunte‘ macht jetzt Bilder der Frau . Unsere Konkurrenz ist der 'Spiegel‘.

Deshalb rufen Ihre Verlagsoberen öfters an, wie zum Beispiel Gerd Schulte-Hillen, warum haben wir die Geschichte nicht.

Das kann er ruhig machen, aber nur der Chefredakteur entscheidet, was wir machen oder was nicht.

An welchen internationalen Blättern orientieren Sie sich? Am alten 'Life‘?

An 'Life‘ nicht mehr, eher an 'Time‘, 'Newsweek‘, 'Vanity Fair‘, 'Rolling Stone‘, 'Sunday Times‘. Mit 'Rolling Stone‘ haben wir sogar einen Auswertungsvertrag.

Im europäischen Ausland drängen sich im Gegensatz zu Deutschland die politischen Magazine. G&J ist mit anderen Objekten in Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien aktiv. Gibt es bald einen 'Stern‘ in Länder-Ausgaben?

Eine Übertragung des 'Stern'-Konzepts im Ausland wird es nicht geben. Aber wir arbeiten zum Beispiel in Spanien mit der neu gegründeten Zeitschrift 'El Globo‘ zusammen. Im Hinblick auf den europäischen Binnenmarkt 1992 gibt es viele interessante Märkte.

Inzwischen titeln Sie 'Stern mit TV-Magazin‘.

Ich glaube nicht, daß wir uns mit dem TV-Magazin journalistisch verstecken müssen. Im Gegenteil. 'Hör zu‘ und andere Programmblätter haben sicherlich auch deshalb Probleme mit der Auflage, weil wir dieses hervorragende Magazin gemacht haben.

Die Bedeutung des Fernsehens für den 'Stern‘ ist unverkennbar.

Ein Blatt wie der 'Stern‘ muß sich überlegen, ob er jeder Aktualität nachrennt wie das Fernsehen oder ob er eigene Aktualität schafft. Es gibt zwei Aspekte: der kühl Überlegende, der sagt, wir müssen eine andere Richtung gehen, der fragt, wo sind unsere Geschichten, die kein anderer hat. Der zweite ist ein Gefühl bei mir, mehr noch nicht. Die Zeit des Mit-dem-Scheckbuch-Wedelns sollte vorbei sein. Ebenso das Geschichten-Einkaufen um jeden Preis. Ich kann das Wort exklusiv nicht mehr hören, das Wort exklusiv wird es im Stern nicht mehr geben, wohl aber die exklusive Geschichte.

Sind das Konzeptänderungen durch den neuen Herausgeber Rolf Schmidt-Holz?

Das liegt ganz sicher nicht am neuen Herausgeber, der ist noch gar nicht da.

Rolf Schmidt-Holz ist der zweite Herausgeber nach Scholl -Latour, der vom Fernsehen kommt.

Das sind halt Figuren oder Persönlichkeiten, die sich beim Fernsehen einen Namen gemacht haben. Ich würde sie beide in ihrer Art unterscheiden. Scholl-Latour hatte nach dem Hitler -Desaster eine ganz andere Funktion. Scholl-Latour hatte mit der täglichen Arbeit des Stern nichts zu tun, weil er diese Art von Journalismus gar nicht kannte. Die Aufgabe von Schmidt-Holz kann ich nur umschreiben mit dem, was ich aus meinem Vertrag kenne. Der Vertrag sagt, daß für alle inhaltlichen, konzeptionellen und personellen Sachen des Stern der Chefredakteur zuständig ist.

Aber mit dem Neuen gibt es doch klare Absprachen?

Das wird man dann sehen. Auf jeden Fall liegt Schmidt-Holz politisch auf der Stern-Linie. Denken Sie an seine Kommentare als bisheriger WDR-Chefredakteur. Er wird sicher eine Bereicherung für den Stern sein. Trotzdem bleibt klar, die Chefredaktion entscheidet, was ins Blatt kommt.

Aber es wird doch über Konzeptänderungen nachgedacht.

Jetzt muß/ man den Mut haben, Geshichten zu machen, die noch nicht auf der Straße liegen. Es reicht nicht nur, die Katastrophen zu zeigen, sondern auch die möglichen Auswege. Wir wollen wegkommen von dem Voyeur-Leser, hin zu dem Betroffenheits-Leser im Sinne von, was betrifft mich, was kann ich tun.

Dann müßten Sie aber wirtschaftskritischer werden, als Sie z.B. bisher Manager porträtieren.

Der Vorwourf in Ihrer Frage trifft nicht, weil er nicht den Tatsachen also den gedruckten Geschichten entspricht. Die Ideologie, alle Bosse sind a priori schlimme Finger, halte ich für schwachsinnig. Der englische Grafiker Neville Brody von 'The Face‘ behauptet, der Stern sei optisch beim Stil von 1972 stehengeblieben. Sind deshalb Zeitschriften wie 'Tempo‘ und 'Wiener‘ mit ihrer Machart eine Bedrohung für Sie?

Ich denke, daß sie für uns keine Bedrohung sind, aber man muß schon genau darauf achten, was die machen. Ich halte den Journalismus, den die betreiben, nicht für den, der für den Stern beispielhaft ist. Ich möchte mal wissen, was im Stern los wäre, wenn wir ein frauenfeindliches Stück, wie in den beiden Blättern, drucken würden. Ich möchte mal wissen, was los wäre, wenn der Stern-Chefredakteur die Leserbriefe selbst schreibe, wie bei 'Tempo‘. Oder wenn die Aids -Geschichten machen, an denen nichts dran ist.

Den klassischen Illustrierten geht es doch zunehmend schlechter. Auch die Auflage des Stern ist doch auf 1,38 Millionen gesunken.

Wir haben sicher Auflage verloren. Wir liegen jetzt bei 1,4 Millionen. Aber wenn Sie sich anschauen, wieviel die anderen verloren haben, dann stehen wir als Größte immer noch gut da und das mit einer unstrittig links-liberalen Mischung. Wie es jetzt weitergeht nach dieser nostalgischen 40-Jahre -Feierei, das ist eine große Frage und sicher ein Problem.

Interview: Henning Gehrmann/Susanne Hürpfer