Keine Abtreibung auf Privatkrankenschein

Private Krankenversicherungen verweigern Zahlung für Abbrüche nach sozialer Indikation / Begründung: Nur Finanzierung einer „Heilbehandlung“ sei rechtlich vorgeschrieben / Bei Vertragsabschluß verschweigt man diese Praxis / Elf Millionen Versicherte betroffen  ■  Von Helga Lukoschat

Berlin (taz) - Die privaten Krankenversicherungsgesellschaften nehmen das politische Ziel der AbtreibungsgegnerInnen in den Unionsparteien - die Abschaffung der Krankenkassenfinanzierung von Abbrüchen - in ihrer Praxis bereits vorweg. Von der Öffentlichkeit kaum kritisiert bezahlen die rund 40 privaten Krankenversicherer grundsätzlich keine Schwangerschaftschaftsabbrüche nach der sozialen Indikation. Betroffen von dieser Politik sind rund elf Millionen Versicherte.

Auf Hochglanzanzeigen werben die Privaten mit günstigen Tarifen und einem hohen Leistungsangebot. Doch gesetzlich sind sie nach ihren Allgemeinen Versicherungsbedingungen nur verpflichtet, Kosten für eine „medizinisch notwendige Heilbehandlung“ zu übernehmen. Und darunter fällt nach Auffassung der Privaten nur der Schwangerschaftsabbruch bei medizinischer Indikation - wenn Leben und Gesundheit der Frau bedroht ist. „Es gibt keine Überlegungen, diese Praxis zu ändern“, heißt es beim bundesweiten Verband der Privaten.

Dabei nehmen Frauen unter der Klientel der privaten Versicherer - FreiberuflerInnen, Angestellte mit einem hohen Jahreseinkommen und BeamtInnen - einen immer größeren Anteil ein. Die Tendenz zur „Existenzgründung“ steigt bei Frauen, und Freiberufliche sowie Selbständige müssen sich privat versichern - unabhängig von ihrem Einkommen.

Prekär ist die Situation auch für BeamtInnen. Da ihr Dienstherr nur etwa 50 Prozent der Krankheitskosten übernimmt, sind die meisten privat zusatzversichert. In den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern und seit einem Jahr auch in Rheinland-Pfalz wird die soziale Indikation nur nach einem behördlichen Prüfungsverfahren finanziert, so daß die Frauen - aus Scheu vor dieser Kontrolle - den Abbruch meist aus eigener Tasche bezahlen.

Tabuthema Abtreibung

Dennoch wird bei Vertragsabschlüssen kaum auf diesen Bereich geachtet. „Das Thema Abtreibung ist einfach tabuisiert oder mit einem Stigma behaftet“, so die Erfahrungen eines Mitarbeiters des Hannoveraner „Fairsicherungsladens“, der vor kurzem einen Leistungsvergleich anstellte. Das Ergebnis der Untersuchung: Nur zwei private Versicherungsgesellschaften finanzieren den gesamten Abbruch nach sozialer Indikation. Die restriktive Praxis der Privaten hält der Hamburger Rechtsanwalt Wolfgang Gürth für juristisch anfechtbar. Er vertrat jüngst ein Ehepaar, das die „Inter Krankenversicherungs AG“ verklagen wollte, weil sie die Kosten eines Abbruchs in Höhe von 3.000 Mark nicht erstattete. Bevor es zum Prozeß kam, entschloß sich die Inter AG jedoch zu einer Geste der Kulanz und bezahlte die Hälfte.

Furcht vor

öffentlicher Diskussion

„Die Privatversicherer befürchten, daß ihre Praxis öffentlich diskutiert wird“, beurteilt der Hamburger Anwalt diese Reaktion. „Sie haben Angst vor einem Imageverlust.“ „Wir wissen, wie heikel das Thema ist“, so der Stellvertretende Direktor des Bundesverbandes, Aumüller. Dennoch behauptet der Verband, daß die Praxis der Privaten nicht von moralisch-politischen Erwägungen, sondern allein durch die Rechtslage bestimmt ist. Nur bei einer „Heilbehandlung“, so lautet das stereotyp wiederkehrende Argument, bestehe die Pflicht, die Kosten zu übernehmen. Doch dies steht im Widerspruch zu anderen Leistungsangeboten der privaten Versicherer. So finanzieren sie aufwendige Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen - Leistungen, die im strengen Sinne keine Heilbehandlung darstellen. Seit kurzem werden auch nach Intervention der entsprechenden Öffentlichkeit die Kosten für Entziehungskuren bei Suchtkranken übernommen. Nicht so in puncto Schwangerschaftsabbruch: „Bisher ist noch niemand in dieser Frage an uns herangetreten“, heißt es lakonisch. Den Frauen fehlt offenbar eine Pressure-Group.