Attentat oder Dialog

■ Anschlag auf Finanzstaatssekretär Tietmeyer

Das rätselhaft Glimpfliche des Attentats auf den Staatssekretär Tietmeyer scheint sich aufzuklären. Man habe ihn „angegriffen“, erklärt ein Kommando der RAF; „angegriffen“, die summarische Formel, die eine symbolische Handlung, einen fehlgeschlagenen Mord oder eine gescheiterte Entführung meinen kann. Ansonsten wird Tietmeyer mit einem Begriff vorgestellt, der für von Braunmühl tödlich war: Er sei „Stratege“ des internationalen Krisenmanagements. Weitaus beunruhigender ist aber die allgemeine Attentatserwartung, die über dem IWF-Kongreß selbst hängt. Nicht zufällig. Ein Szenarium der Verschärfung, eine Ideologie der Zuspitzung beherrscht die Beteiligten, Veranstalter und Gegenveranstalter, für das es keinen wirklichen politischen Grund gibt. Es wird aneinandervorbei getagt und protestiert - folgerichtig geht es mehr um Symbole als um politische Wirkung.

Aber: Die Linie, kein Dialog mit der Weltbank, ist eigentlich politisch gescheitert, sie mußte scheitern. Eine Kampagne, die auf einen Kongreß bezogen, eine derartige Flut von Analysen, Entlarvungen, Stellungnahmen zur Politik von Weltbank und IWF produziert, schafft eine dialogische Situation, einen Druck zur Auseinandersetzung. Selbst die Parole „Kein Dialog mit der Weltbank“ zielt auf Auseinandersetzung, besonders im jetzigen Zusammenhang. Oder anders: jeder Druck, der der Straße zumal, verlangt Auseinandersetzung. Sonst wäre ein Polizeispektakel, eine Straßenschlacht nur Folklore im Rahmen des Terminplanes der Banker. Dieser Dialogdruck und das Vakuum, diese Mischung von Argumentationsmacht und Ohnmacht, gegenüber dem Kapital allgemein und der Polizei berlinspezifisch, dies alles drängt zum politischen Symbol. Und das Symbol, das alle anderen niederkonkurriert, das ist nun einmal das Attentat.

Klaus Hartung