„Albaner raus aus Kosovo“

■ Serbische Nationalitätenkampagne gegen Albaner bedroht den Vielvölkerstaat Jugoslawien / Von Roland Hofwiler

Permanente serbische Demonstrationen gegen die albanische Minderheit, ein serbischer Parteiführer, der den Konflikt anheizt, und eine hilflose Bundesregierung in Belgrad bringen die mühsam hergestellte Balance zwischen den unterschiedlichen ethnischen Gruppen im Vielvölkerstaat Jugoslawien in ernsthafte Gefahr. Die Albaner in der autonomen Provinz Kosovo sehen mit wachsender Angst in die Zukunft, aber auch andere Minderheiten fürchten die nationalistischen Ansprüche der Serben.

Manche Jugoslawen fühlen sich in finstere Zeiten versetzt, wenn sie zur Zeit die serbische Parteipresse aufschlagen. „Sicherlich herrschen in unserem Land riesige soziale Gegensätze“, schrieb da kürzlich das Massenblatt 'Vecernje Novosti‘ aus Belgrad, und sicherlich gehe es der albanischen Minderheit in der autonomen serbischen Provinz Kosovo nicht gerade gut, aber andererseits wimmele es unter den Albanern im Kosovo nur so von „Konterrevolutionären“, die es darauf anlegten, die serbische Minderheit aus ihrem Gebiet zu verjagen. Die Albaner, so tönt es landauf, landab, wollten der serbischen Bevölkerung Angst einjagen, vergewaltigten serbische Frauen und gefährdeten den Bestand der jugoslawischen Nation.

Rund 80.000 Menschen sind erst am Sonntag wieder auf die Straße gegangen, um gegen die angebliche Unterdrückung ihrer Landsleute in Kosovo zu demonstrieren. Nach Angaben der jugoslawischen Pressegantur 'Tanjug‘ versammelten sich allein 50.000 Personen in Niksic einer Stadt in der südjugoslawischen Republik Montenegro. Und nur 30 km entfernt, forderten 30.000 Demonstranten Sofortmaßnahmen zur Lösung der Krise in Kosovo.

Diese „Meetings“, wie die serbischen Massenaufmärsche genannt werden, halten den Vielvölkerstaat nun schon seit zwei Monaten in Atem, und die Parolen werden immer militanter. „Albaner raus aus Jugoslawien“ und „Gebt uns Waffen - Verteidigen wir die altserbische Heimat“, skandierten kürzlich in der mehrheitlich von Ungarn bewohnten Stadt Apatin in der autonomen Provinz Wojwodina die serbischen Demonstranten. „Kosovo und die Wojwodina sind serbisch“ hieß eine andere Parole, die zugleich aufdeckt, worum es den serbischen Nationalisten wirklich geht.

Hinter dieser beispiellosen serbisch-nationalen Kampagne steht der serbische Parteichef Slobodan Milosevic, den seine Kritiker gern mit dem rumänischen Dikatator Ceausescu vergleichen. Milosevic, der erst im Herbst vorigen Jahres die alte, auf Ausgleich zwischen den Völkern bedachte serbische Parteiführung entmachtet hatte und seither die Schlüsselpositionen in Staat und Partei mit seinen Anhängern besetzt, hat sich als ein Demagoge erwiesen, dem es gelingt, die serbische Bevölkerung zu mobilisieren. Sein Ziel ist eine Verfassungsänderung, die der Republik Serbien größere Rechte in der mehrheitlich von Albanern bewohnten autonomen Provinz gewährt und auch Schluß macht mit Sonderrechten der auch von Ungarn bewohnten autonomen Provinz Wojwodina. Die serbische Großmacht soll wieder entstehen und die mühsam erkämpften Rechte für die nationalen Minderheiten eingeschränkt werden. Offenbar trifft Milosevic die Stimmung der Bevölkerung, weil sich die Serben als größtes Volk des Vielvölkerstaats benachteiligt oder in ihrer Führungsrolle eingeschränkt fühlen.

Die nationalistische Welle in Serbien hat nun sogar die Intellektuellen erfaßt. Der 57jährige Dissident und Drehbuchautor Miodrag Milic, distanziert sich zwar wie manche andere Intellektuelle von Milosevic. Der Marxist hält den herrschenden Kommunisten, die ihn mehrmals ins Gefängnis steckten, weiterhin vor, die Ideale der Revolution verraten zu haben. Doch weigert er sich auch, dem Lügengewebe um die angeblichen Aktionen der Kosovoalbaner entgegenzutreten. Und er glaubt, die Meetings seien Ausdruck eines „demokratischen“ Volksempfindens.

Schon 1986 leiteten 216 serbische Intellektuelle dem jugoslawischen Parlament eine Denkschrift zu, indem sie den „Genocid an der serbischen Bevölkerung“ in Kosovo beklagten. Die in nichtserbischen Zeitungen ausgedrückte Kritik, daß diese Denkschrift „eine Schande für das serbische Geistesleben“ ('Mladina‘ April 1986) und eine Verdrehung der tatsächlichen Unterdrückungsverhältnisse in der autonomen Provinz Kosovo sei, blieb folgenlos. Die serbische Intelligenz hat ihr „historisches Erbe“ wiederentdeckt, war doch Kosovo noch vor 700 Jahren serbisches Kernland.

Doch langsam formiert sich auch der Widerstand in anderen Teilen Jugoslawiens. Radio Novi Sad, die ungarischsprachige Sendeanstalt für die 450.000 Ungarn der autonomen Provinz Wojwodina, nahm scharf Stellung gegen die großserbischen Machtansprüche: „Wir werden nicht zulassen, daß unsere Provinz ein zweites Kosovo wird, wir fühlen uns als Minderheit in Jugoslawien bedroht.“ Milosevic, so auch ungarisch sprechende Pareiführer, sei persönlich verantwortlich für die nationalistischen Massenaufmärsche. 'Magar So‘, das Sprachrohr der ungarischen Jugoslawen, warnte, in Serbien herrsche eine „Massenhysterie“ und meldete in der letzten Woche fassungslos, daß vor der Wohnung des Obersten Bundesrichters von Wojwodina, Marko Buljovicic, eine Schmierei auftauchte, die alle Ungarn erschrecken müßte: „Autonomistenführer nimm dich in acht, das ist nur der Anfang“.

Daß die serbischen Massendemonstrationen das Ende des Staates Jugoslawiens bedeuten könnten, davor warnt jetzt auch das kroatische Wochenblatt 'Dansa‘. Die slowenische Wochenzeitung 'Mladina‘ spricht jetzt sogar von einer „Maoisierung Serbiens“. Und selbst konservative Kreise erklären, in Serbien bastelten die Genossen an einer „Atombombe“.

Doch trotz dieser Proteste scheint die Machtverteilung in Jugoslawien auf eine Pattsituation hinzuweisen, die Milosevic genug Spielraum gewährt, mit seiner Politik fortzufahren. Als Indiz dafür kann der Rücktritt des Vorsitzenden des einflußreichen Partisanenverbandes, Matic, am 13.September gelten, der die Provinz Wojwodina vertritt und zuvor scharf gegen Milosevic Stellung bezogen hatte. Er begründete seinen Schritt mit „unbegründeten Angriffen gegen seine Person“. Der lange Arm Milosevics, darin sind sich viele Nichtserben einig, habe ausgereicht, den „verdienten Kämpfer“ aus dem Amt zu hebeln.

Selbst Regierungschef Branco Mikolic kann sich eine Konfrontation mit dem starken Mann aus Serbien nicht mehr leisten. Nachdem sich Staatspräsident Stipe Suvar vorige Woche noch über die Großmannssucht Milosevics, der sich gern mit Tito auf eine Stufe hebt, lustig gemacht hatte, verfügte der Regierungschef am letzten Samstag „alle in der Verfassung erlaubten Mittel anzuwenden“, um die Ruhe in Kosovo wiederherzustellen. „Dazu gehört auch die Entsendung weiterer paramilitärischer Polizeieinheiten“, erklärte der jugoslawische Premier.

Und die sollen nun nach den Wünschen von Milosevic nicht mehr kaserniert sein, sondern gruppenweise in die albanischen Dörfer verlegt werden. Die albanische Bevölkerungsmehrheit bekommt es mit der Angst zu tun und bleibt doch sprachlos: Die Provinz Kosovo ist von der Außenwelt abgeschnitten. Übergriffe und Gewaltakte werden nicht mehr lange auf sich warten lassen.